Das Boot ist voll

Auf dem Rhein fuhren kurdische Flüchtlinge von Köln nach Düsseldorf, um bei Nordrhein-Westfalens Landesregierung für die Rechte der Papierlosen zu werben. Doch die blieb hart

Hatice hat noch nie eine Bootsfahrt auf dem Rhein gemacht. Eine Premiere also. Und bei soviel Prominenz, die sich um sie herum gruppiert, ist das Wort "Premiere" durchaus angebracht. Da ist die WDR-Moderatorin Bettina Böttinger, neben der Schauspielerin Renan Demirkan gibt sich die PDS-Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke ein Stelldichein, und auch der Kölner Autor Günter Wallraff ist mit von der Partie. Sie alle sind gekommen, um Hatice bei ihrem ersten Ausflug auf einem Rheindampfer zu begleiten.

Die MS Godesia befördert normalerweise Kegelvereine und Betriebsbelegschaften, die bei Kölsch und Rheinwein feiern. Kornblumenblau geht die Bergfahrt dann bis zur Lorelei. Hatice würde vielleich auch einmal die Lorelei sehen wollen, aber am 24. April fuhr sie von Köln nach Düsseldorf. Ginge es nach den deutschen Behörden, dann würde Hatice überhaupt keine Schiffstour machen, sondern säße schon längst in einem Flugzeug Richtung Türkei, in einer Polizeistation in Istanbul oder Ankara. Hatice hat keine Aufenthaltsgenehmigung. Und ohne Papiere ist man vor dem Gesetz kein Mensch.

Vor Wochen schon ist Hatice deshalb mit ihren Eltern untergetaucht, um sich vor der Abschiebung zu schützen. Wie Hatice leben in Nordrhein-Westfalen zur Zeit rund 140 kurdische Mädchen und Jungen, Frauen und Männer im kirchlichen Asyl. 17 evangelische und vier katholische Kirchengemeinden in Köln, Düren, Herzogenrath, Brühl, Aachen und Bielefeld haben den kurdischen Familien Schutz gewährt, um deren Forderung zu unterstützen: Bleiberecht und Abschiebestopp.

An diesem sonnigen Freitag ist Hatice nach 90 Tagen Kirchenzuflucht aufgetaucht. Sie steht neben kurdischen Landsleuten an der Reling der MS Godesia, umringt von Prominenten und UnterstützerInnen, und beobachtet das Ablegemanöver. Wo normalerweise Alkoholfahnen wehen, flattern jetzt Transparente- "Bleiberecht und Papiere für alle", "Keine Abschiebungen" und "Kein Mensch ist illegal". "Das Boot ist voll", verkündet der Kabarettist Heinrich Pachl mit Sinn für historische Zitate, "und ein volles Boot macht Laune und ist eine frohe Botschaft."

In der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt am Oberrhein wollen die rund 320 Bootsinsassen demonstrieren und Landesinnenminister Franz-Josef Kniola (SPD) einen Protestbrief sowie rund 6 000 Unterschriften von Menschen übergeben, die sich gegen die Abschiebung von Flüchtlingen aussprechen. Daß die Landesbehörden und die im Landtag vertretenen Parteien überhaupt bereit sind, Delegationen der KurdInnen und ihrer UnterstützerInnen vom Netzwerk "Kein Mensch ist illegal" und dem ökumenischen Zusammenschluß "Asyl in der Kirche" zu empfangen, grenzt fast an ein Wunder.

Denn seit die Kirchenzufluchtsaktion am 21. Januar begann und sich ausweitete, haben sich der Innenminister und seine Beamten geweigert, den Forderung der illegalen KurdInnen nachzukommen oder auch nur eine Abordnung von ihnen zu empfangen.

Aber dem öffentlichen Druck, der in drei Monaten in Nordrhein-Westfalen organisiert wurde, kann sich mittlerweile auch die offizielle Politik nicht mehr entziehen. Die Bürgermeister der Städte Aachen, Bielefeld und Brühl fordern vorübergehendes Bleiberecht für die Kurdinnen und einen vorläufigen Abschiebestopp in die Türkei. Sozialdemokratische, grüne und PDS-Abgeordnete im Europaparlament, Bundes- und Landtag setzen sich für die Kirchenflüchtlinge ein. Pax Christi hat sich ebenso in die Schar der Unterstützer eingereiht wie regionale Caritas-Verbände und Menschenrechtsorganisationen.

Und so schickt denn auch der Sozialdemokrat Kniola der Papierlosen Hatice und ihren BegleiterInnen nur ein kleines Polizeiaufgebot entgegen, als das Schiff nach zwei Stunden Rheinfahrt in Steinwurfweite vom Düsseldorfer Landtag anlegt. Eine Delegation trifft sich im Landtagsgebäude mit Vertretern von SPD, CDU und Bündnisgrünen. Vier Polizeireiter begleiten den Demonstrationszug bis zum Innenministerium, wo eine weitere Gruppe vom zuständigen Abteilungsleiter Hans Engel empfangen wird.

Der zeigt vor laufenden Kameras noble Gesten und freundliche Begrüßungsworte, hilft einem kurdischen Mädchen höflich aus dem Anorak, um danach hinter verschlossenen Türen und fern der Medienöffentlichkeit in der Sache knallhart zu bleiben: kein Abschiebestopp, kein Bleiberecht.

Ganz ohne Erfolg kehren die aus der Illegalität aufgetauchten kurdischen Papierlosen allerdings nicht zurück. Die Landtagsgrünen einschließlich ihrer MinisterInnen befürworten einen sofortigen Abschiebestopp. SPD und CDU haben sich zu weiteren Gesprächen bereit erklärt. Den Grund sieht Albrecht Kieser von "Kein Mensch ist illegal" in dem breiten Bündnis und im ständigen Anwachsen der Zahl von KurdInnen, die in Kirchen Zuflucht suchen und auch erhalten. "Die waren sichtlich beeindruckt davon", sagt Kieser, "daß wir so viele sind und daß wir immer mehr werden."