Dr. Frey lädt zur Audienz

Während draußen 200 Antifas "Nazis raus!" rufen, gucken sich die schon mal drinnen im Landtag um
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Wo sonst das Kabarett "Die Kugelblitze" seine Satire zum besten gibt, hat sich an diesem Abend die PDS eingerichtet. Doch zur Wahlparty sind nur zwei-, dreihundert Sympathisanten erschienen. Vermutlich ahnten die meisten, daß es hier - unabhängig vom PDS-Ergebnis - heute nicht viel zu lachen geben würde. Als um 18 Uhr die Prognose des Mitteldeutschen Rundfunks über die Großbildleinwand ausgestrahlt wird, verhallt der Applaus, der die 19 Prozent PDS-Stimmen quittiert, augenblicklich nach der Verkündung des DVU-Ergebnisses. Die PDS-Mitglieder fassen sich entsetzt an die Köpfe, Vize-Parteichef Wolfgang Gehrcke frieren buchstäblich die Gesichtszüge ein. Auch wenn die PDS absolut an die 100 000 Stimmen dazugewinnen konnte, wird sie nun nicht mehr das Tolerierungsspiel spielen können. Doch auch unabhängig davon ist die Vorstellung, daß der Nazimillionär Gerhard Frey demnächst 16 ausgemachte Faschos in den Landtag von Sachsen-Anhalt schickt, Grund genug für das Entsetzen.

"Ich habe gleich bei meiner Basis in Wittenberg angerufen", erzählt der PDS-Abgeordnete Matthias Gärtner mit ernster Miene. "Meine alten Genossen, die schon in der KPD gewesen sind, die haben richtig geweint." Gehrcke braucht einige Zeit, bis er das Ergebnis fassen kann. Dann wird er wütend. "Die angebliche politische Mitte hat die Rechtsextremisten salonfähig gemacht", stellt er fest. Es sei die CDU mit ihrer ausländerfeindlichen Hetze gewesen, die die "Saat gelegt" habe, die nun aufgegangen sei. Die erste Sitzung des Landtages müsse zu einer entschlossenen Demonstration gegen Rechtsextremismus werden, fordert er.

Eine Demonstration formiert sich um 19 Uhr auch vor dem Landtag am Domplatz. Gerademal 200 Menschen kommen zusammen: autonome Antifas, vereinzelte Jusos und die PDS-Spitze. Lothar Bisky hält eine Rede: Antifas, Sozialdemokraten, PDS, "Linke Szene" - jetzt müßten alle zusammenhalten gegen die rechte Gefahr. Doch während auf der Straße ein Bündnis gegen Rechts beschworen wird, stolziert DVU-Nazi Frey schon durch den Landtag. Seine Bodyguards lotsen ihn durch die langen Flure direkt ins Sekretariat des Landtagspräsidenten Keitel (CDU). Der Raum war der DVU vom Landeswahlbüro zugeteilt worden. Während die anderen Politiker von Angela Merkel bis Manfred Stolpe durch das Labyrinth der Gänge irren, um den verschiedenen Fernsehsendern jeweils einen Besuch abzustatten, bittet Nazi Frey nun also im Büro des Landtagspräsidenten zur Audienz. Und die Medien stehen Schlange. Über eine Stunde lang drängeln sich die Journalisten vor dem von Leibwächtern abgeschirmten Büro und betteln förmlich um Zugang. "Ich bin Reporter von Spiegel-TV, kann ich bitte jetzt drankommen, später kann ich nicht mehr!" "Hallo, ich bin von Reuters!" "Hallo, Deutschlandfunk, Deutsch-land-funk hier." Alle bekommen ihr Interview. Einzeln werden die eifrigen Reporter eingelassen, um der braunen Eminenz ihre Fragen zu stellen. Der Nächste bitte!

Indes fragt Jungle World lieber die Vizepräsidentin des Landtages, warum Frey im Sekretariat des Präsidenten untergekommen ist. Als sich daraufhin die Vizepräsidentin bei der Landeswahlleitung beschwert, entfernt die kurzerhand das Türschild und erklärt damit das Problem als gelöst. Als die DVU 1991 in die Bremer Bürgerschaft gewählt wurde, hatte Frey noch vom Bürgermeister persönlich Hausverbot für den Wahlabend erhalten.

Wie nun ist die DVU zu ihrem in dieser Größenordnung doch überraschenden Erfolg gekommen? Für CDU-Generalsekretär Hintze ist an allem die SPD schuld, weil sie sich mit der PDS eingelassen habe. Dadurch sei Radikalismus hoffähig gemacht worden. "Zwischen Dunkelrot und Angebräunelt kann ich keinen Unterschied erkennen", hetzt der Pfarrer im Fernsehen. Daß es die CDU ist, die hauptsächlich an die DVU verloren hat, stört ihn in seiner Stammtischanalyse nicht.

Mehr noch als von der CDU bekam die DVU ihre Stimmen jedoch von Nicht- und Erstwählern. Mindestens ein Viertel der Erstwähler und 30 Prozent der unter 30jährigen machten bei der DVU ihr Kreuz. Ursache dafür ist natürlich neben der ausgeprägten rassistischen Stimmung auch die soziale Lage im Land. Viele wollen ihre rechtsextreme Wahl als Denkzettel verstanden wissen. Doch klar ist auch, daß es inzwischen ein verfestigtes rechtsradikales Potential in weiten Teilen Deutschlands, speziell Ostdeutschlands gibt, gerade unter Jugendlichen. Den kurzhaarigen Bomberjackenträgern - und das ist eben keine kleine Minderheit mehr - ist es nicht egal, ob sie einer links- oder rechtsradikalen Partei ihre Stimme geben. Sie wollen mit ihrer Stimme nicht einfach irgendwie die Regierenden ärgern, sie suchen sich bewußt die Partei, die ihre rassistische, autoritäre und menschenverachtende Einstellung am besten widerspiegelt. Typische Protestwähler dürften eher die 11 000 DVU-Wähler sein, die 1994 noch PDS gewählt haben. Es soll auch Stimmensplitting zwischen PDS und DVU gegeben haben.

Hat die PDS durch die Tolerierung der rot-grünen Koalition ihren Oppositionscharakter und damit das Renommee als Protestpartei eingebüßt? "Wenn Opposition nur noch von Rechts kommt, werden sich auch mehr Leute nach rechts wenden", erläutert Gehrcke. "Wir dürfen das Terrain der Opposition und des Protestes auf keinen Fall freigeben." Doch als Votum gegen eine Regierungsbeteiligung der PDS will Gehrcke das nicht verstanden wissen. Im Saal der Kugelblitze wird mit gedämpften Stimmen über die künftige Regierungsbildung diskutiert. Inzwischen steht das Ergebnis weitgehend fest: Die SPD bleibt mit 35,9 Prozent hinter den Erwartungen zurück, die CDU verliert erdrutschartig über 12 Prozent - soviel wie noch nie bei einer Landtagswahl - und kommt auf nur noch 22 Prozent, die PDS folgt dicht dahinter mit 19,2, die DVU springt von 0 auf 12,9 Prozent. Grüne und FDP müssen draußen bleiben aus dem Landtag. Für Matthias Gärtner, früher Kritiker jeder Regierungsbeteiligung, ist klar, daß es nun keine Zurückhaltung der PDS geben darf. "Jetzt brauchen wir klare linke Verhältnisse. Wir sollten der SPD ein Angebot ohne Vorbedingungen machen." Keinesfalls dürfe die CDU, die mit ihrer rassistischen und anti-linken Hetze an dem Boom der Nazis Verantwortung trage, an der Regierung beteiligt werden. Auch Gregor Gysi spricht sich für eine "neue Form der Zusammenarbeit" mit der SPD aus. Man müsse jetzt "einen Schritt weitergehen". Doch die meisten PDS-Sympathisanten, die an diesem Abend hier noch ihr Bier trinken, glauben nicht daran, daß ihre Partei an der künftigen Regierung in irgendeiner Form beteiligt werden wird.

Fast alle gehen von einer SPD-CDU-Koalition aus. Kanzlerkandidat Schröder signalisiert bereits, daß er dies erwartet. Ein Signal für einen Politikwechsel in Bonn wäre das natürlich nicht gerade. Das dämpft die Stimmung nicht nur bei den Demokratischen Sozialisten, sondern auch die bei den Sozialdemokraten. Die CDU an der Regierung zu beteiligen wird Höppner nicht leicht fallen. Erstens kam er mit der PDS ganz gut zurecht, zweitens sind die Protagonisten des Magdeburger Modells, SPD und PDS, durch die Wahl bestätigt, drittens sind Höppner und CDU-Fraktionschef Bergner auf persönlicher Ebene Erzfeinde und viertens ist die CDU in Sachsen-Anhalt ein besonders rechter, pöbelnder und völlig provinzieller Verein ohne jede politische Souveränität. PDS-Chef Lothar Bisky glaubt nicht an eine schnelle Regierungsbildung. Vor der Bundestagswahl werde sich nicht viel bewegen, schätzt er.

Jedenfalls, da ist sich ein PDS-Genosse, der - schon spät am Abend - nach einem Faßbier ansteht, sicher, wird eine SPD-CDU-Regierung niemals so stabil wie das bisherige Tolerierungsmodell werden. Außer aus der Sicht der Kabarettisten. "Die Kugelblitze haben dann jedenfalls Stoff satt für ihr Programm." Die DVU allerdings auch.