Her mit der Hauptstadt!

Die belgischen Nazis vom Vlaams Blok wollen Brüssel erobern - zusammen mit einer "radikalen linken flämischen Partei", die es noch gar nicht gibt

Als sich vor 20 Jahren in Belgien der Vlaams Blok (VB) von der als zu bürgerlich angesehenen niederländischsprachigen Flamenpartei Volksunie abspaltete, geschah zunächst nichts. Erst als sich der VB Ende der achtziger Jahre zu einer rassistischen Partei wandelte und mit Losungen wie "Egen volk eerst" ("Das eigene Volk zuerst") bei Wahlen antrat, wurde er erfolgreich. 1991 konnte die Partei bei den belgischen Parlamentswahlen mehr als sechs Prozent der Stimmen gewinnen, 1994 wurde der Blok bei den Stadtratswahlen in Antwerpen mit 28 Prozent der Stimmen zur stärksten Partei.

Obwohl in Belgien selbst auf lokaler Ebene keine Partei allein regieren kann und grundsätzlich auf Koalitionen angewiesen ist, schaffte es der VB bisher nicht, Bürgermeister zu stellen oder Bündnispartner in einer regionalen Regierung zu werden, auch nicht in Antwerpen. Dafür sorgt eine "Cordon sanitaire" genannte Abmachung aller demokratischer Parteien Belgiens, die 1989 auf Initative der Umweltpartei Agalev zustande kam. In der Abmachung verpflichteten sich die Parteien, nicht mit dem Vlaams Blok zusammenzuarbeiten und ihn zu isolieren, was bisher - auch bei schwierigen Mehrheitsverhältnissen - eingehalten wurde.

Der Vorsitzende des Vlaams Blok sieht dies jedoch locker: "Ich habe kein Problem mit dem Cordon sanitaire", äußerte jüngst Frank Vanhecke, denn der bestünde hauptsächlich darin, daß man "vom Kaffeekränzchen beim Kammervorsitzenden Langendries" ausgeschlossen sei und "an der einen oder anderen Debatte" nicht teilnehmen dürfe.

Eher beklagen er und seine Parteifreunde einen anderen Cordon sanitaire, der dafür sorge, daß die Standpunkte des VB nicht in den Medien erscheinen - der Vlaams Blok verfügt über keine eigenen Zeitungen oder Rundfunksender. Also muß er auf spektakuläre Aktionen setzen, wie den im Februar 1996 verteilten "Offenen Brief an die Bürger von Brüssel". Darin findet sich neben dem VB-üblichen Mischmasch aus Rassismus, Haß auf den belgischen Staat und Law-and-order-Konzepten auch eine Aufforderung an die französischsprachigen Einwohner, den Vlaams Blok zu unterstützen: "Nur mit Flandern lassen sich die großen Probleme der Hauptstadt - die Kasbah (vor allem von Migranten bewohntes Stadtviertel; K. B.), die mangelnde Sicherheit, das unzureichende Steueraufkommen - lösen. Nur durch Flandern kann Brüssel wieder eine wohlhabende Stadt werden, in der es sich gut leben läßt."

Brüssel soll, wenn es nach dem VB ginge, zur Hauptstadt eines unabhängigen Flanderns werden. Der VB versprach den französischsprachigen Einwohnern, daß ihre kulturellen und sprachlichen Rechte vertraglich gesichert würden. Bei den Wallonen rief das keine Begeisterung hervor. Ein halbes Jahr später legte die Partei nach und veröffentlichte einen zweiten "Open brief aan de Brusseler / Lettre ouverte aux Bruxellais", in dem gegen Ausländer gehetzt und vor den Auswirkungen des Stimmrechts bei Kommunalwahlen für EU-Bürger gewarnt wurde.

Unter Führung des ehemaligen Brüsseler Polizeikommissars Johan Demol, der wegen rechtsextremistischer Betätigung vom Dienst suspendiert ist, soll die Anzahl der VB-Sitze in der Haupstadt von zwei auf fünf gesteigert werden. Bei Erfolg könnte der Blok jegliche Regierungsbildung unmöglich machen - und würde es auch tun. Denn die Partei erkennt die Regierungsgremien der Region Brüssel nicht an. Dafür müßte der VB jedoch dreimal so viele Stimmen erhalten wie bei den Stadtratswahlen von 1995, als zwölf Prozent der Flamen für die Partei stimmten. Daß der Vlaams Blok bei den Stadtratswahlen 1999 Erfolg haben wird, darf dennoch bezweifelt werden. Meinungsforscher rechnen eher mit Stimmenverlusten, die den VB-Plan zur Durchbrechung des Cordon sanitaire zunichte machen würden.

Dennoch macht man sich in der Partei Mut und verweist auf das Beispiel des französischen Front National (FN), dessen belgischer Ableger 1995 in Brüssel 31 000 Stimmen erhielt: "Der Front National konnte in drei französischen Städten mit einem Stimmenanteil von durchschnittlich 37 Prozent die Macht übernehmen. In Vitrolles hat Mégret eine viel härtere Kampagne führen müssen als andere FN-Kandidaten in Frankreich, und er gewann mit 53 Prozent. Die Lehre, die ich daraus ziehe, ist, daß man sehr viele Stimmen holen kann, sogar die Mehrheit, ohne Wasser in den Wein schütten zu müssen", erklärte Vanhecke in einem Aufsatz über die "in Europa endlich wachwerdenden Nationalisten", der in der jüngsten Ausgabe der rechtsradikalen südafrikanischen Zeitung Die Afrikaner erschienen ist.

Obwohl der Vlaams Blok eigenen Angaben zufolge gute Kontakte zum FN pflegt, schielen die Parteifunktionäre neidisch nach Frankreich. Frank Vanhecke bedauerte in einer Rede ausdrücklich, daß es dem Vlaams Blok bisher nicht gelungen sei, Intellektuelle und Akademiker zu einer der Nouvelle Droite ähnlichen flämischen Strömung zu mobilisieren. Er begründete dies damit, daß diese Angst um ihren Job hätten.

Stolz hingegen erklärte der Parteichef den Franzosen: "Im Gegensatz zum FN ist der Vlaams Blok eine staatsgefährdende Organisation. Wir flämischen Nationalisten wollen, daß der belgische Staat zusammenkracht und erklären das auch öffentlich."

Dabei stellen die Flamen keine bedrohte Minderheit in Belgien dar, ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung beträgt 55, der der Wallonen 44 Prozent. Beide Sprachen sind gleichberechtigt - selbst in der Region von Brüssel, wo nur fünf Prozent der Einwohner Flamen sind. Daher sind es fast ausschließlich wirtschaftliche Gründe, die eine Rolle beim Ruf nach einem unabhängigen Flandern spielen. Das angeblich reiche Flandern müsse die armen Wallonier mit durchfüttern, heißt es. Aber selbst Parteichef Vanhecke ist nicht sicher, ob dieser Plan so einfach durchzuführen ist: "Die große Frage ist, ob der belgische Staat es zulassen wird, daß der Vlaams Blok wo auch immer an die Macht kommen kann."

Zumal ein eigenständiges Flandern nicht das Hauptziel der Blok-Politik ist, langfristig will man den Anschluß an die Niederlande. Der ist aber, so sehen es selbst die Blok-Funktionäre, mit einer einzigen kleinen rechtsradikalen Flamen-Partei nicht zu erreichen. Daher setzt man in strategischen Überlegungen sogar auf den politischen Gegner: "Für die flämische Bewegung wäre es eine gute Sache, wenn es neben einer rechten flämisch-nationalen Partei, eben dem Vlaams Blok, auch eine radikale flämische linke Partei geben würde."