Lieber Kröten als Euro

Zunehmend organisieren sich in Deutschland Tauschringe. Ihre ideologischen Stützen finden sie in der Selbsthilfeszene ebenso wie bei Rechtsextremisten

200 sind es bereits in Deutschland - und beinahe wöchentlich werden es mehr. Sie geben sich Namen wie "Talentbörse", "Tausch-Oase" oder - weil es schön seriös klingen soll - LETS, was soviel heißt wie "Local Exchange Trading System". Am ersten Mai-Wochenende nun treffen sich Delegierte verschiedener Initiativen zu ihrer Jahresversammlung in München.

Tauschringe haben sich in den letzten Jahren zum Boomprojekt entwickelt, nicht nur in Deutschland, sondern z.B. auch in Frankreich oder Großbritannien, wo ihre Anzahl derzeit auf 250 bzw. 400 geschätzt wird. Die Bewegung strukturiert sich dabei keineswegs als einheitliches Feld. Häufig in ökonomisch benachteiligten Regionen konzentriert, sind es zumeist Nachbarschaftsheime, Arbeitslosen- und Selbsthilfeinitiativen, Pfarrgemeinden und Seniorengenossenschaften, Frauen- und Umweltzentren, von denen die Tauschringe organisatorisch getragen werden. Sie verfügen weder über eine einheitliche Organisationsform noch über einen homogenen ideologischen Hintergrund.

Bei aller Unterschiedlichkeit, die sich aus der im wesentlichen lokal orientierten und nur ansatzweise überregional vernetzten Struktur der Tauschringszene erklärt, sind sich doch in einem Punkt fast alle einig: Die Bewegung, so die Initiatorin des Kreuzberger Tauschrings, Klara Brendle, werde "den Bedürfnissen der Menschen gerecht und unterliegt nicht den abstrakten Regeln einer Weltökonomie". Dieses ehrgeizige Ziel wollen Tauschringe durch die Organisation eines geld- und zinslosen Tausches und bisweilen auch durch eine Neubewertung von Arbeit erreichen.

Die Organisation des Tauschs orientiert sich prinzipiell an den in der Weltwirtschaft mittlerweile üblichen Barter-Geschäften. Wenn etwa die Ukraine eine Lieferung von Daimler-Benz wegen akuter Devisenknappheit mit Steinkohle bezahlt, wird der deutsche Multi entweder selbst für deren Verkauf auf dem Weltmarkt sorgen oder aber, was in diesem Fall wahrscheinlicher wäre, versuchen, die Steinkohle über Stahlkonzerne gegen brauchbare Waren und Dienstleistungen einzutauschen. Dieses Prinzip des Ringtauschs funktioniert auf lokaler Ebene kaum anders, es wird lediglich erschwert durch die begrenztere Anzahl der "Marktteilnehmer", aber auch erleichtert durch die verbindlichere Organisationsstruktur der Tauschringe.

Auf den Tauschkonten der einzelnen Mitglieder werden die Entgelte für verkaufte Waren oder erbrachte Dienstleistungen durch eine Zentrale verrechnet, Angebot und Nachfrage über Mitgliederzeitungen, Tauschbörsen oder Internetseiten vermittelt. Als Verrechnungseinheit zwischen den Mitgliedern dienen Geld- oder Zeitäquivalente, "Talente", "Kröten" oder "Kreuzer". Auf den Konten existieren zumeist Obergrenzen für Soll und Haben, Zinsen werden darauf weder erhoben noch ausgezahlt, eine Rückverrechnung von Schulden oder Forderungen in D-Mark ist zumeist nicht möglich. Diese "geldlose" Form des Tauschs ermöglicht beispielsweise Arbeitslosen und Sozialhilfe-Empfängern eine Ausweitung ihrer durch Ausschluß vom Arbeitsmarkt beschränkten Konsummöglichkeiten.

In ihrer politischen und ideologischen Stoßrichtung können innerhalb der Tauschringbewegung zwei Fraktionen unterschieden werden: geldbasierte und zeitbasierte. Zeitbasierte Tauschsysteme dominieren im eher kommunitaristisch orientierten Teil der Bewegung, der neben verstärkter Selbsthilfe und der Aufwertung kleinräumiger sozialer Strukturen auch eine Neubewertung der Arbeit anstrebt. Hier bemißt sich der Wert einer Ware oder Dienstleistung einzig nach der dafür aufgewendeten Arbeitszeit. In mehr oder weniger "qualifizierte" Arbeit wird hier formal nicht mehr unterschieden. So wird beispielsweise der durch das dominante System lohnvermittelter Erwerbsarbeit gesellschaftlich abgewertete Bereich der Reproduktion gestärkt, die vor allem von Frauen geleistete "Haus"-Arbeit aufgewertet. Doch dieser Ansatz scheitert in der Realität nicht selten am Tauschverhalten der Beteiligten. Einem hohen Maß an Angeboten aus dem Reproduktionsbereich steht ein vergleichsweise geringes Angebot "hochqualifizierter" Arbeit gegenüber. Aufgrund ihrer Privilegien bevorzugen Rechtsanwälte, Ärzte oder Computerspezialisten den formellen Arbeitsmarkt, wo die Arbeitskraft von Putzfrauen oder Babysittern weitaus günstiger zu erwerben ist als in einem zeitbasierten Tauschring.

Es sind allerdings nicht nur pragmatische Gründe, die viele Tauschringe geldbasierte Systeme anwenden läßt. Ihr Anteil an der Tauschringbewegung beträgt in Deutschland zwar nur ein Drittel, politisch aber ist dieses Drittel weitaus umtriebiger. Solche Tauschringe unterscheiden sich von zeitbasierten vor allem durch ihre Orientierung an einer Zins- und Geldideologie, die sich in Deutschland zentral mit dem Namen Silvio Gesell und der von ihm begründeten Freiwirtschaftslehre verbindet. In den entsprechenden Tauschringen orientiert sich das Verhältnis der Warenwerte weitgehend am formellen Arbeitsmarkt. In der Tradition des 1930 verstorbenen Gesell sehen Freiwirtschaftler das zentrale gesellschaftliche Übel in der Existenz des Zinssystems, im Vorhandensein "arbeitsloser Einkommen" durch Zinsen. Ausbeutung wird von ihnen ausschließlich im Geldsystem, nicht in der Sphäre von Produktion und Reproduktion verortet. Als ein bedeutendes Mittel zur Überwindung des Zinssystems gelten hier Tauschringe, die sich nach Ansicht der Gesellianer bereits in der Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre als "Dritter Weg" zwischen Kapitalismus und Kommunismus bewährt haben.

Doch dieser Rückgriff auf "Bewährtes" erstreckt sich auf weitaus mehr als formale Organisationstrukturen. Die freiwirtschaftliche Zins- und Geldkritik bewegt sich auch heute noch im wesentlichen zwischen Antisemitismus und neofaschistischen Tendenzen, geht doch auf den Ahnherrn der Bewegung die Unterscheidung zwischen "raffendem" und "schaffendem" Kapital zurück.

Yoshito Otani, einer der Vordenker der freiwirtschaftlichen Bewegung, etwa bezieht sich in seinem Standardwerk "Untergang eines Mythos" ausdrücklich auf die antisemitische Fälschung "Protokolle der Weisen von Zion" und versucht sich ansonsten an der Relativierung des Holocaust und der deutschen Kriegsschuld. Helmut Creutz, derzeit der bedeutendste deutschsprachige Freiwirtschaftler, schreibt regelmäßig für rechtsextreme Publikationen wie die NPD-nahe Deutsche Arbeitnehmer Zeitung. Hermann Benjes, wie Creutz ein häufig eingeladener Redner bei Tauschringtreffen, bewegt sich im Umfeld rechter Umweltorganisationen wie der ÖDP und den "Unabhängigen Ökologen". Fast in keiner Ausgabe der Jungen Freiheit fehlt der Hinweis auf freiwirtschaftliche Projekte.

So konnte es nicht verwundern, daß im vergangenen Jahr der erste rechtsextreme Tauschring ins Licht der Öffentlichkeit geriet. Im Tauschring der niedersächsischen Gemeinde Hemmoor zog Alfred Beyer, Aktivist von Alfred Mechtersheimes "Deutschland-Bewegung" und regelmäßiger Gast im rechtsradikalen Hetendorfer "Heide-Heim" die Fäden. Er ließ sich innerhalb des Tauschrings gar Buttons für die "Deutschland-Bewegung" layouten und vertrieb dort rechtes Propagandamaterial. Die seither in der Tauschringszene häufig geäußerte Befürchtung, weitere Ringe könnten zum Ziel rechtsextremer Unterwanderungsversuche werden, blendet bewußt aus, daß "Oste Talente" bereits von Neofaschisten mitgegründet worden war.

Die Tauschringszene hat indes andere Sorgen. Der Tauschringboom hat mittlerweile auch die Finanzbehörden auf den Plan gerufen, die auf die über Tauschringe vermittelte Arbeit Steuern und Sozialabgaben erheben wollen. Einige Gesetzentwürfe sind in Bonn bereits in Arbeit. Beim jährlichen Bundestreffen der Tauschringe am ersten Maiwochenende in München werden juristische und organisatorische Aspekte dominieren. Die notwendige politische Auseinandersetzung über die Rechtslastigkeit weiter Teile der Bewegung wird Sachzwängen untergeordnet, die Bildung einer bundesweiten Tauschringorganisation hat Vorrang. So zeigt sich in der Tauschringbewegung noch ein weiteres deutsches Spezifikum. Anstatt über politische Inhalte zu streiten, gründet man erst einmal einen Verein.

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