Sippenhaft im Freistaat

Schon jetzt legt Bayern das Ausländerrecht so rigide wie irgend möglich aus. Ab 11. Mai sollen auch die Eltern jugendlicher Straftäter abgeschoben werden

Vier Jahre lang wurde Tülay O. von ihrem türkischen Ehemann wie eine Sklavin gehalten. Er mißhandelte und verprügelte die junge Kurdin, bedrohte sie mit dem Messer und malträtierte sie mit Fußtritten. 14 Stunden täglich mußte sie ohne Lohn in der Gastwirtschaft ihres Schwiegervaters im bayerischen Kempten schuften, der geringste Widerstand wurde mit Essensentzug für die Frau und ihr Kleinkind bestraft. Vier Jahre ertrug Tülay O. das Martyrium, dann floh sie ins Frauenhaus, erreichte die Scheidung und fand eine Arbeitsstelle. Demnächst wird Tülay O. nach Istanbul abgeschoben.

Als geschiedene Frau hat sie nach Ansicht des Augsburger Verwaltungsgerichts und der CSU im bayerischen Landtag keinen Anspruch auf ein Bleiberecht im Freistaat. Die im Paragraphen 19 des Ausländergesetzes vorgesehene Härtefallregelung könne auf Tülay O. nicht angewandt werden, so Innenstaatssekretär Hermann Regensburger. Dazu müsse schon eine schwere Körperverletzung vorliegen, und das bedeute "Verlust eines wichtigen Gliedes, Verfallen in Siechtum, Lähmung oder Geisteskrankheit oder bleibende Entstellung".

Die achtköpfige kurdische Familie Zan lebt seit neun Jahren in Puchheim bei München. 1989 floh die Familie vor den Häschern des türkischen Militärs, nachdem Vater Hasan mehrere Monate in türkischen Gefängnissen verbracht hatte. Der Grund: Er hatte sich geweigert, als Dorfschütze für das Militär zu arbeiten. Demnächst dürfen die türkischen Sicherheitskräfte Hasan Zan, seine Frau Naciye und die sechs Kinder wieder in Empfang nehmen. Denn "wegen mangelnder Integration" wird die Familie in nächster Zeit nach Istanbul abgeschoben. Zwar würden auch die Zans unter die Härtefallregelung fallen - die Innenministerkonferenz der Länder beschloß im März 1996, daß Asylbewerberfamilien, die vor dem Sommer 1990 nach Deutschland einreisten, Anspruch auf Bleiberecht haben -, nicht jedoch im Freistaat Bayern. Die geforderte "ausreichende Integration" konnte die Familie nämlich erst im Juni 1996 durch die Vorlage von Arbeits- und Ausbildungsverträgen nachweisen. Den Stichtag hatte die bayerische Staatsregierung jedoch auf den 29. März festgelegt.

Als "Rückfall ins Mittelalter" interpretiert mittlerweile so mancher die Rechtsverbiegungen und Willkürentscheidungen durch Staatsregierung und Gerichte in Bayern, wenn es mal wieder darum geht, Ausländer und Asylbewerber möglichst schnell loszuwerden. Um Vorbilder für die aktuellen Tendenzen in der Rechtspolitik der CSU zu finden, ist es jedoch gar nicht nötig, derart weit in die Geschichte zurückzublicken - 60 Jahre reichen völlig. So forderte Bayerns Innenminister Günther Beckstein erst vor ein paar Monaten, Eheschließungen zwischen Deutschen und Asylbewerbern einzuschränken. Die bayerische PDS-Abgeordnete Eva Bulling-Schröter erinnert dieser Vorschlag an die Nazi-Zeit: "Damals sprach man von Rassenschande."

Mit einer groß angekündigten Sicherheitsoffensive, die schon am 12. Mai im bayerischen Kabinett verabschiedet werden soll, will die Staatsregierung nun einen weiteren Rechtsbegriff aus der guten alten Zeit wieder einführen: die Sippenhaft. In Zukunft sollen gleich ganze ausländische Familien abgeschoben werden, wenn ein minderjähriges Kind straffällig wird. Wenn die Eltern von "minderjährigen Intensivtätern" ihre Aufsichtspflicht absichtlich verletzen, solle man diese aus Deutschland ausweisen, forderte Scharfmacher Regensburger und verdeutlichte auch gleich, wegen welcher Bagatelldelikte ausländische Familien in Zukunft mit der Abschiebung zu rechnen haben: "Wenn hier acht- bis zehnjährige Kinder nachts auf den Straßen rumlaufen und Automaten knacken, dann haben Eltern sehr wohl die Aufsichtspflicht verletzt."

Seinen Vorstoß mag der Innenstaatssekretär freilich nicht als ein Schüren der Ausländerfeindlichkeit verstanden wissen. Schuld am Fremdenhaß sind ja bekanntlich die Fremden selbst: "Kriminelle Karrieren von großer Gefährlichkeit ohne Ausweisung einfach hinzunehmen, schürt Ausländerfeindlichkeit", so Regensburger.

Um die Sippen-Abschiebung in Zukunft zu ermöglichen, strebt das bayerische Innenministerium eine Änderung des Ausländergesetzes an. Mit derartigen Kinkerlitzchen will sich Hans-Peter Uhl, der Münchner Kreisverwaltungschef und mutmaßliche nächste CSU-Kandidat für das Oberbürgermeisteramt der Landeshauptstadt, erst gar nicht aufhalten. Er ist sich sicher, daß die bestehenden gesetzlichen Regelungen längst ausreichen und will noch in nächster Zeit die Abschiebung einer türkischen Familie erreichen, die seit 20 Jahren in München wohnt. Der 13jährige in Deutschland geborene Sohn der Familie ist schon einige Dutzend mal polizeiauffällig geworden. Aus vier Erziehungsheimen wurde er nach kurzer Zeit wegen Raubstraftaten, Diebstählen und Körperverletzungen wieder hinausgeworfen.

Anstatt des Entzugs der elterlichen Personensorge und der Einweisung in eine Wohngemeinschaft oder Kinderpsychiatrie, wie es bei einem deutschen Kind üblich gewesen wäre, soll im Fall des türkischen Kindes nun die gesamte Familie haftbar gemacht werden. Uhl: "Eltern, die ihre Kinder nur ernähren, aber nicht erziehen, sind mit schuld an kriminellen Taten ihrer Kinder. Wir müssen den Eltern sagen: Ihr seid ein Sicherheitsrisiko durch euren Sohn." Natürlich will auch der Kreisverwaltungschef sein Vorgehen keinesfalls als rassistische Hetze verstanden wissen. Ganz im Gegenteil handle er doch lediglich im Interesse des multikulturellen Miteinanders: "Wer einer solchen kriminellen Karriere tatenlos zuschaut, schürt Ausländerfeindlichkeit."

Lob und Schützenhilfe erhalten Uhl und seine CSU genau aus jener Ecke, in der sie mit ihrer fremdenfeindlichen Politik Stimmen für die Landtagswahlen am 13. September fischen wollen - von Haider-Freund Manfred Brunner vom Bund freier Bürger (BFB). Für den ist die Abschiebung des 13jährigen samt seiner Eltern ein humanistischer Akt: "Die Eltern müssen mitgehen, weil es inhuman wäre, das Kind allein abzuschieben", so Brunners krude Logik, die auch bei den Gesinnungsgenossen von der CSU auf Beifall stößt - Hauptsache abschieben.

Bei ihren zahlreichen Massenabschiebungen versäumt es die Staatsregierung nie, auf die Zahl der Sozialhilfeempfänger und Straftäter unter den Betroffenen hinzuweisen. Überführte Massenmörder, die ihre Taten für Deutschland verübten, müssen in Bayern dagegen kaum Angst vor Abschiebung haben - da macht es auch nichts, wenn sie Ausländer und Sozialhilfeempfänger sind. Für Uhl ist der staatenlose SS-Scherge Anton Malloth, der in einem Altenheim in Pullach bei München lebt (siehe Jungle World, Nr. 17), Deutscher geblieben und darf deswegen nicht nach Tschechien ausgeliefert werden. Und Regensburger, der kriminellen Karrieren so gerne durch Ausweisung begegnen würde, meint, die Klärung der Nationalität des Mörders sei Sache von dessen Geburtsland Italien.