Weltliche Übermacht

Der Erfolg vieler Kirchenasyle beruht auf dem glücklichen Zusammenspiel von humanitär ausgerichteten Gemeindevorständen und unbürokratischen Ordnungsämtern

Der bayerische Amtsklerus sorgt seit Monatsfrist für erstaunliche Koalitionen im Freistaat. Anfang April, einige Tage nach seiner Abschiebung vom Münchner Franz-Josef-Strauß-Flughafen, wurde ein Kosovo-Albaner nahe der Provinzhauptstadt Pristina von Unbekannten ermordet. Zwar warf Innenminister Günther Beckstein (CSU) daraufhin den jugoslawischen Behörden vor, sie hätten gegen die Abmachung verstoßen, Rückkehrer nicht in den Kosovo weiterzuschieben. Das aufgebrachte bayerische Kirchen-Establishment jedoch konnte er damit nicht mehr besänftigen.

Weil der Unionspolitiker auf ihren Appell nach einem Abschiebestopp in die Krisenregion wie in früheren Fällen nicht reagiert hatte, rügten die vier evangelischen Dekane von Nürnberg die Politik ihres Glaubensbruders im Innenministerium. Beckstein empfahlen sie, sich "die christliche Beistandspflicht für gefährdete Menschen" ins Gedächtnis zu rufen.

Seit der öffentlichen Schelte stellen sich nicht mehr allein Repräsentanten der evangelischen Kirchenhierarchie gegen das Landessynodenmitglied Beckstein. Auch katholische Bischöfe protestieren gegen die Ausländerpolitik des Innenministers - und schlagen sich offen auf die Seite von Kirchenasyl-Aktivisten. So hielt der Augsburger Bischof Viktor Dammertz seine Osterpredigt demonstrativ in der Pfarrgemeinde "Zum Guten Hirten" ab, in der einer fünfköpfigen türkischen Familie seit drei Jahren Unterschlupf gewährt wird. Kurze Zeit später ließ die Erdzdiözese Bamberg verlauten, daß man die Arbeit der Kirchenasyl-Gemeinden "gar nicht hoch genug" einschätzen könne.

Für Beckstein freilich endet die christliche Beistandspflicht dort, wo der Rechtsstaat anfängt. Kirchenasyl ist in seinen Augen "eindeutig rechtswidrig". Daß die Kirchen sich in ihrer Kritik an der bayerischen Asyl- und Abschiebepraxis nun positiv auf die humanitäre Flüchtlingsarbeit in den Gemeinden beziehen, mag überraschen. Doch wenn die Katholische Sonntagszeitung für das Bistum Augsburg Beckstein zu "Reue und Buße" mahnt, wird klar, worin das gemeinsame Interesse von Landesregierung und Amtskirchen besteht: in der Sorge um die "Stammklientel der CSU" nämlich, "die ausgesprochen christlichen Wähler", wie das Blatt schreibt.

Ist es in Bayern die unerwartete Unterstützung durch Bischöfe und Dekane, die die humanitären Erfolge des Ökumenischen Netzwerks Kirchenasyl zu sichern hilft, verteidigen sich Flüchtlinge in anderen Bundesländern mit eher unkonventionellen Bündnissen ebenfalls erfolgreich gegen die geplante Abschiebungen. Die Erfolgsquote von rund 70 Prozent bei 2 000 Kirchenasylfällen beweise, so kritisiert der ehemalige EU-Administrator in Mostar, Hans Koschnik, "daß in Asylfragen der Irrtum in der öffentlichen Verwaltung zu Hause" sei. Bei der Verleihung des Dietrich-Bonhoeffer-Preises an die Bundesarbeitsgemeinschaft "Asyl in der Kirche" würdigte er, daß im Gegensatz zu den Parteien sich die gläubigen Aktivisten in den Gemeinden mit besondere Fürsorge für die Flüchtlinge eingesetzt hätten.

Dennoch ist zumindest für Teile der ausgewiesenen Asylgeber klar: Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus politisch und praktisch zu helfen, ist eine Sache. Mit der Forderung, "daß jeder Mensch das Recht hat, selbst zu entscheiden, wo und wie er leben will", soll ihre Position jedoch nicht verwechselt werden. Folglich wandte sich das Ökumenische Netzwerk "Asyl in der Kirche" Nordrhein-Westfalen schon vergangenen Herbst gegen diese Formulierung im Aufruf der Kampagne "Kein Mensch ist illegal".

Während innerhalb des losen, bundesweiten Bündnisses besonders antirassistische Initiativen darum kämpfen, illegalisierten Flüchtlingen den Zugang zur allgemeinen Gesundheitsversorgung und zum Bildungssystem zu verschaffen, bleibt die Praxis in den Kirchenasyl-Gemeinden allgemein humanitär. Konkrete Forderungen an den Staat werden nicht gestellt. Ihre Empörung über den staatlichen Umgang war in vielen Fällen politisch dennoch erfolgreich - in Form von positiven Anerkennungsbescheiden für viele der Asylbewerbenden. Das erklärt sich aus dem glücklichen Zusammentreffen von kirchlichen und kommunalen Amtsträgern an vielen Orten. In den meisten Orten, wo Kirchenasyle sich längere Zeit erfolgreich halten konnten, trafen unbürokratische Ordnungsämter auf kooperative Gemeindevorstände. So meldete in Aachen der Gemeinderat der Hubertus-Gemeinde die Ankunft von dreißig Kurden und Kurdinnen direkt beim Chef des Ordnungsamts an, der ihnen im Gegenzug die Erlaubnis erteilte, die Duschen der angrenzenden Schule zu benutzen.

Wenn aber die weltlichen Vertreter das stillschweigende Einverständnis mit der Kirche aufkündigen, enden Kirchenasyle wie in Osnabrück. Dort nahm die Polizei im Januar ein kurdisches Ehepaar und fünf ihrer sechs Kinder in den Gemeinderäumen fest und ließ sie noch am selben Tag in die Türkei abschieben. Auch der Protest der Amtskirche konnte daran nichts ändern.