Bayern will Freystaat werden

Auch ohne gesetzliche Grundlage versucht der Münchner Ausländeramtschef die Eltern eines straffälligen 13jährigen abzuschieben

Der Mann hat noch viel vor: Hans-Peter Uhl hat seinen Job als Münchner Kreisverwaltungsreferent zwar bald los, denn die rot-grüne Koalition im Rathaus der Landeshauptstadt hat sich im vergangenen Herbst endlich dazu durchgerungen, den strammen CSU-Rechtsaußen von seinem Posten abzuwählen. Doch alles spricht dafür, daß Uhls Ausscheiden aus der Münchner Stadtverwaltung alles andere als einen Karriereknick bedeuten wird. Am 27. September will er sich in den Bundestag wählen lassen. Und Uhl hat beste Aussichten, nächster CSU-Kandidat für das Amt des Münchner Oberbürgermeisters zu werden. In seiner Zeit als Kreisverwaltungsreferent hat Uhl zur Genüge vorgeführt, wie man das Ausländerrecht nach dem politischen Willen der CSU auslegt. Für das Ende seiner Amtszeit hat er sich jetzt noch einen richtigen Knaller aufgehoben, mit dem er nicht nur für sich und seine Partei im braunen Sumpf nach Stimmen fischen, sondern auch gleich Rechtsgeschichte schreiben bzw. revidieren will.

Am vergangenen Donnerstag machte Uhl seine Ankündigung wahr und schickte einem türkischen Ehepaar, das seit 30 Jahren in Deutschland lebt, den Abschiebebescheid ins Haus. Weil der 13jährige, in Deutschland geborene Sohn Mehmet immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt geriet - ihm werden insgesamt 61 Straftaten vorgeworfen, darunter auch Körperverletzungen und Erpressung -, soll nun die komplette Familie büßen (Jungle World , Nr. 18/98). Bis zum 21. Juli sollen die Eltern zusammen mit ihrem Sohn die Bundesrepublik verlassen. Die Wiedereinreise nach Deutschland bleibt ihnen anschließend auf Dauer untersagt. "Es liegt im Interesse Deutschlands, solche strafunmündigen Kinder mit ihren Eltern auszuweisen", so die stramm nationale Rechtfertigung Uhls. "Ich halte es für durchaus denkbar, daß Mehmet eine Straftat bis hin zum Mord begeht. Wir müssen handeln, damit es nicht dazu kommt."

Mit seinem Erlaß möchte Uhl am geltenden Recht vorbei gleich zwei Strafvorschriften aus der Mottenkiste autoritärer Diktaturen wiedereinführen: Die Verbannung - denn von einer Abschiebung ins Heimatland kann man bei der seit 30 Jahren in Deutschland lebenden Familie und vor allem bei ihrem hier geborenen Sohn wohl kaum reden - und die Sippenhaft. Uhl denke an "die Einführung der Familien- und Gruppenverfolgung, wie das im Mittelalter üblich war", kritisiert der Vorsitzende des Münchner Ausländerbeirates Cumali Naz. Hans-Peter Uhl wolle vor allem dafür sorgen, daß seine politische Karriere auch nach dem Ausscheiden aus der Kreisverwaltung weitergeht, vermutet die Fraktionssprecherin der Grünen im bayerischen Landtag, Elisabeth Köhler. Es sei allzu offensichtlich, daß der Kreisverwaltungsreferent in den letzten Tagen seiner Amtszeit Aktivitäten entfalte, die ausschließlich dazu gedacht seien, sich als Bundestagskandidat bei seiner rechten Klientel zu empfehlen. Daß Uhl mit seinem Vorgehen auch vor Gericht Erfolg hat, ist indes vorerst unwahrscheinlich.

Während Uhl sich schon mal im Alleingang als Hardliner profilieren will, strebt seine Partei die gesetzliche Untermauerung seines Vorstoßes an. Nach dem Willen von Staatssekretär Hermann Regensburger soll die Einführung der Sippenhaft für ausländische Familien durch eine "Konkretisierung" des Paragraphen 45 des Ausländergesetzes erreicht werden. Auch gegen verdächtige Ehen zwischen Ausländern und Deutschen interveniert die CSU auf Bundesebene: Laut Bayerns Innenminister Günther Beckstein soll das Eheschließungsrecht so geändert werden, daß es Standesbeamten zukünftig ausdrücklich verboten wird, an der Schließung einer "Scheinehe" mitzuwirken. Die bundesweite Neuregelung stehe unmittelbar bevor, erklärte Beckstein in der vergangenen Woche. Damit wolle die CSU "einem Mißstand entgegenwirken, der mit zunehmender Zuwanderung und globalen Flüchtlingsbewegungen bestehende Normen aushöhlt". Man darf gespannt sein, wie Standesbeamte zukünftig Scheinehen erkennen sollen, um sich nicht selbst strafbar zu machen.

Die bayerische Staatspartei schärft ihr rassistisches Profil mit Blick auf die kommenden Landtags- und Bundestagswahlen im September. Die Taktik ist klar: Die schwarz-braunen Wähler durch schwarz-braune Politik an die CSU binden. Es steht zu befürchten, daß das politische Klima im Freistaat durch die zunehmende Hetze gegen Ausländer, Sozialhilfeempfänger und andere angebliche Randgruppen noch reaktionärer wird. Doch auch für die CSU könnte die Taktik am Ende zu ihrem Nachteil gereichen. Durch das Vertreten brauner Inhalte werden auch die zahlreichen rechtsextremen Vereinigungen, die sich im September um den Einzug in den bayerischen Landtag bemühen, hoffähig gemacht. Schon einmal mißglückte der Versuch der CSU, Rechtsextreme rechts zu überholen: Bei der Europawahl 1989 entschieden sich die Wähler lieber für das Original und wählten mit rund 15 Prozent die Republikaner, die CSU fiel auf 45 Prozent zurück. Schon damals zeigte sich, daß die absolute CSU-Mehrheit im Freistaat nicht von links, sondern vor allem von rechts gefährdet ist. Schon jetzt liegen die Republikaner in Bayern laut Umfragen bei über fünf Prozent.