Erstmal sehen, was Joschka hat

Der Schwulenverband in Deutschland (SVD) beschloß grüne Forderungen als Wahlprüfsteine

Das Timing stimmte: Just zum 10. Verbandstag seines Arbeitgebers am letzten April-Wochenende zog der Kölner SVD-Pressechef Klaus Jetz in den Wiener Lambda-Nachrichten gegen jene "vielen anderen Homosexuellen in Deutschland" blank, die "gegen eine standesamtliche Aufhebung der rechtlichen Diskriminierungen" seien und "überdies das Bild vom schwulen Single, der seine sexuellen Bedürfnisse im Park und Dark Room befriedigt", propagierten. In der Tat, seit man die Ruhe als erste Bürgerpflicht entdeckt hat, ist von freien, nicht durch den Staat gesegneten Sexualverhältnissen beim SVD allenfalls der "fatale Hang zum Analverkehr" (Matthias Frings) geblieben; ihr Maximum erreichen rektale Freuden anscheinend nur mehr im Ehebett. Sexuelle Subversion war gestern.

Die Öffnung der Ehe ist dann auch der wichtigste Punkt der in Frankfurt / Main verabschiedeten "schwulen- und lesbenpolitischen Prüfsteine zur Bundestagswahl 1998". Beim SVD folgt dieses heitere Polit-Quiz der aparten Regel: Erstmal sehen, was Joschka hat. Ob nun Ehe, Antidiskriminierungsgesetz, Verbandsklagerecht, Bund-Länder-Programm zur Gewaltprävention oder ein Bundesbeauftragter für Schwulen- und Lesbenfragen - all das beschlossen Bündnis 90 / Die Grünen bereits am 8. März in Magdeburg, und zwar fast wörtlich (allein das Kürzel Aids vergaß man dort).

Eine Diskussion darüber, ob diese rosa-grünen Wünsche mit all ihren Nebenwirkungen wirklich progressiv sind, wurde indes weder hier noch da geführt. Klar ist allerdings schon jetzt die SVD-Wahlempfehlung, die ähnlich wie die von 1994 lauten wird: "Bündnis 90 / Die Grünen haben in fast allen Punkten unsere Forderungen unterstützt. Die SPD hat sich in vielen Fragen zumindest offen für unsere Vorstellungen gezeigt (...). Die PDS wird wegen ihrer Vergangenheit von keiner der anderen Parteien als Partner akzeptiert (...)." Warum wird sie dann überhaupt gefragt?

Nach den Kriterien eines vom neuen SVD-Geschäftsführer Karl-Heinz Hagendorf kreierten "Aktions Pack", einem Arabella-Feldbusch-tauglichen Karteikasten mit Politikerfragen, muß künftig in SVD-Wahlforen jede Politlesbe damit rechnen, mit dem Button "geprüft anti-homosexuell" bedacht zu werden. Zumindest, wenn sie die Eheprivilegien lieber abschaffen als auf andere Gruppen ausdehnen oder schwule Bundeswehrsoldaten lieber nicht auf Befehlsebenen sehen will. Diese Anmaßung der alleinigen Definitionsmacht eines nur 1 163 Mitglieder starken, parteinahen Männerbundes über schwule - und lesbische! - Interessen wird mit Formeln legitimiert wie "Wir sprechen für alle Lesben und Schwulen, die sich vom SVD vertreten fühlen", so der abgetretene grüne Bundessprecher Stefan Zacharias gegenüber Jungle World. Und das sind halt alle, die nicht widersprechen, eben "die schweigende Mehrheit", auf die sich Zacharias' Kollege Volker Beck beruft.

Jenseits der begrenzten Welt des homophilen Staatsbürgerbundes namens SVD liegende gesellschaftliche Konzepte erfordern freilich etwas mehr Phantasie, theoretische Konditionierung und Geduld und sind folglich derart unbeliebt, daß man seine Prüfsteine wohlweislich nicht mit dem antikapitalistisch-feministischen Lesbenring abgestimmt hat, sondern mit der befreundeten Bundesarbeitsgemeinschaft lesbische und schwule Paare.

Das Beispiel des SVD nährt einmal mehr den Verdacht, gepflegte Langeweile sei das Credo aller Organisationen, die mit "S" anfangen und auf "D" enden. Anlässe zu kritischem Nachhaken der Basis beim alten Bundessprecherrat hätte es zur Genüge gegeben. Warum etwa stellt der einen Geschäftsführer ein, der vor allem Marketingkompetenz aufweist? Was signalisiert in diesem Kontext Volker Becks Aussage "Wir wollen lesbisch-schwule Verbrauchermacht stärker am Markt etablieren"? Ist es angesichts der Erfahrungen mit "Rosa Listen" zu tolerieren, daß derselbe SVD-Bundessprecher als grünes MdB am 1. Oktober 1997 im Bundestags-Rechtsausschuß forderte, "die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten über das Sexualleben" durch BND, MAD und Verfassungsschutz sollten "ausdrücklich besonders restriktiven Kriterien unterworfen" - und nicht etwa strikt verboten werden? Welches sind die Gründe für den Austritt der ökumenischen Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche (HuK) - der mit 750 Mitgliedern nach SVD und Gay Managern (ca. 850) drittgrößten bundesweiten Schwulenorgansiation - aus dem SVD?

Nichts dergleichen, statt dessen eitle Freude über die Gnade eines Grußtelegramms von Guido Westerwelle an den Verbandstag "in meinem eigenen sowie im Namen der FDP" oder den für Herbst avisierten SVD-Beitritt der stockkonservativen Schwulen Christdemokraten Deutschlands (SCD) und Applaus für die Drohung des SCD-Vertreters Lars Lüttich (Bonn), damit dem "linken Image des SVD" abzuhelfen. Kein Hinweis auch, daß viele der rund 120 interessierten schwulen Christdemokraten jenem RCDS angehören, der maßgeblich dafür verantwortlich ist, daß Gerichte den Asta-Schwulenreferaten diverser Unis bei hohen Geldstrafen allgemeinpolitische Aktivitäten verboten. Im Gegenteil schlug der neu in den Bundessprecherrat zu wählende Rudolf Hampel (Berlin) noch auf die "verzickten Zausel" vom Asta der FU Berlin ein: Alles zu links und zu intellektuell für die schwule Solidarität ˆ la SVD.

Nicht einmal inhaltliche Fragen an die drei Kandidaten brachte die besagte Sprecher-Neuwahl. Weder politische Heimat noch längerfristige Zielvorstellungen von Schwulenemanzipation waren von Belang im "linkenfreien Biotop", wie der Hamburger Schwulenaktivist Ralf Dorschel den SVD schon 1991 nannte. Statt politische Aussagen zu machen, rühmte sich Frank Karge (Berlin), einen Überweisungsträger ausfüllen zu können. Außerdem wolle er daran mitwirken, "daß wir uns im richtigen Licht in unserer Gesellschaft darstellen". Doch als was und in welchem Licht? Sein neuer Vorstandskollege Jörg Michel bekundete schriftlich, im Landesverband Berlin-Brandenburg Partner für junge Schwule zu sein, "die Fun und Politik miteinander verbinden wollen". Aber was für eine Politik? Die Schwulen werden es nach dem 27. September zu spüren bekommen. Oder besser nicht.