Maifestspiele '98

Der 1. Mai in Berlin bedeutet Spaß. Für alle Beteiligten. Außer für die kommkomm GbR. Die möchte vor allem eines: Geld. Ohne Kohle gibt's schließlich keine Revolution, nicht mal eine Revolutionäre 1. Mai-Demo - weder am Oranien- noch am Rosa-Luxemburg-Platz. "Demonstrieren ist sinnlos", steht so auf dem Transpi von kommkomm, Deutschlands erster professioneller Demonstrationsagentur. Und daneben: "Hier könnte Ihre Werbung stehen."

Weit weniger professionell gemanagt ist der etwa 20-köpfige Demonstrationszug, der am frühen Abend über den Gehweg der Rykestraße in Prenzlauer Berg zieht. Ihr kleines Pappschild ist bloß eine billige Kopie: "Esst Obst." Ein Ablenkungsmanöver, denn eigentlich geht es ihnen um Getreide - in flüssiger Form. "Kein Bier darf mehr als drei Mark fuffzich kosten", wird gefordert, "ein großes Bier wohlgemerkt." Ecke Sredzkistraße bringen sie der Besatzung vierer Polizeimannschaftswagen - "Deutschlands Hooligans Nummer eins" - ein schaurig schlechtes Ständchen dar. Aber die Beamten stampfen trotzdem den Takt mit, weil ihnen langweilig ist.

Auch die Polizisten des Zuges D 3 hängen den ganzen sonnigen Nachmittag eher tatenlos am Kollwitzplatz herum. Den dürfen sie ganz für sich alleine beanspruchen, auch wenn sie gar nicht wissen, warum. Eine "geschützte Grünanlage" ist der Platz auch an den 364 übrigen Tagen des Jahres, nur am 1. Mai wird das eben etwas anders interpretiert. Bei Anbruch der Dämmerung machen sie sich kampfbereit. "Jetzt geht's richtig los", freut sich einer, "das ist Fun." Seine Kollegin ist weniger begeistert, obwohl "Schönbohms Ninja-Truppe" (B.Z.) sogar endlich mit frauengerechten Brustpanzern ausgerüstet ist.

Etwas weiter südlich, am Rosa-Luxemburg-Platz, formiert sich die andere Fun-Fraktion: Viele junge Leute, sommerlich gekleidet mit bunten T-Shirts und kurzen Hosen, viel guter Laune, einem riesigen Lautsprecherwagen und reichlich Bier. Die Ähnlichkeit zur Love Parade ist nicht ganz zufällig, wie der Veranstalter verrät. Eine der aufrufenden Organisationen wollte die Konkurrenzdemo zu Kreuzbergs traditionell-revolutionärem O-Platz-Event unbedingt

als jugendgerechtes Spektakel mit Techno-Musik und Anmoderation gestaltet sehen.

Weil das alles auf die Dauer ganz schön langweilig ist, wird das Finale diesmal vorgezogen. In der Oderberger Straße halten sich Staffeln behelmter Grünlinge nicht an die Spielregeln und rennen einfach alle mit Staffelstäbchen herum. Der Veranstalter hat keine Lust mehr: Schluß mit "love, peace and happiness". Maifeuer werden entzündet und die kommkomm kann erste Erfolge verbuchen, denn die meisten Wurfgeschosse tragen Sponsorennamen: Berliner Kindl, Beck's, Schultheiß. Teilweise wird die geplante Kommerzialisierung jedoch falsch verstanden und als Kampagne für ladenöffnungszeitenunabhängiges Konsumieren gedeutet, insbesondere Computerzubehör und Drogeriewaren erfreuen sich der Nachfrage markenbewußter Jugendlicher.

Die Festspielbilanz - 407 "Freiheitsentziehungen", 26 Haftbefehle, rund 200 zu erwartende Strafverfahren, 17 verletzte Beamte, 32 verletzte Nicht-Beamte, Sachschaden in sechsstelliger Höhe und eine tote Katze - gilt bei allen Beteiligten als "voller Erfolg". Wer weiß, ob sich dies 1999 überbieten lassen wird, denn Innensenator Jörg Schönbohm möchte das Spektakel entweder ganz untersagen oder ersatzweise am Stadtrand stattfinden lassen.