Netanyahu fest im Sattel

Während der israelische Premier die Rechte sammelt, droht die parlamentarische Linke zu zersplittern

Von Neuwahlen redet zur Zeit in Israel niemand mehr. Und das verwirrt, zeigten sich doch beinahe das gesamte vergangene Jahr nahezu alle Parteien überzeugt, daß die konservative Netanyahu-Regierung, gestellt vom Likud-Block und etlichen kleinen, zum Teil ultra-orthodoxen, zum Teil liberalen Parteien, nicht mehr lange halten könne und deswegen der Wahlkampf eigentlich schon begonnen habe.

Besonders abgehalftert erschien Benjamin Netanyahu im Januar dieses Jahres. Da verabschiedete sich Außenminister David Levy gerade von seinem Amt und dessen Gesher-Partei von der Koalition. Die linksliberale Ha'aretz titelte "Netanyahu: Das Ende", die Boulevardzeitung Yediot Ahronot sprach vom "Count-Down", und auch im Likud selbst folgte eine Distanzierung: Prominente Likud-Politiker - unter ihnen der Bürgermeister Tel Avivs, Roni Milo - kündigten eine neue Partei namens Atid (Zukunft) an, die sich als "antireligiöse" Gruppierung der politischen Mitte formieren will.

Netanyahu aber überlebte die Vorhersagen. Außenpolitisch erreichte er, daß US-Außenministerin Madeleine Albright den Friedensprozeß nicht beendete, innenpolitisch gelang es ihm, allerlei Skandalen aus dem Wege zu gehen - ob es sich um die rigide Personalpolitik seiner Frau oder die Pannen des Auslandsgeheimdienstes handelte. Und Ende April zauberte er sogar einen neuen Koalitionspartner aus dem Hut: die Moledet-Partei.

Moledet hat zwar nur zwei Parlamentssitze, aber so knapp, wie es bei Knesset-Entscheidungen manchmal zugeht, kann Netanyahu auch diese gebrauchen. Moledet heißt übersetzt "Heimat" und wird von der konservativen Jerusalem Post als die am stärksten die Falken in der Außenpolitik repräsentierende Partei charakterisiert. Der in der israelischen Friedensbewegung nur spöttisch "Gandhi" gerufene Parteigründer Rehavam Ze'evi diente schon etlichen Premierministern als Experte in Sachen Terrorismusbekämpfung. Moledet lehnt jegliche territorialen Zugeständnisse an die Palästinensische Autonomiebehörde ab und favorisiert statt dessen die Übersiedlung der Palästinenser in benachbarte arabische Staaten. Die Wählerschaft von Moledet, die bei den letzten Knesset-Wahlen 2,3 Prozent der Stimmen erhielt, stammt zum größten Teil aus dem extrem rechten Wählermilieu - es sind die Unterstützer des Meir Kahane, dessen Kach-Partei wegen ihres rassistischen Programms seit 1992 von Wahlen ausgeschlossen ist.

Ganz unter Dach und Fach ist die Regierungsbeteiligung von Moledet noch nicht, vor allem soll Ze'evi nicht mit Netanyahus Vorschlag einverstanden sein, ihn im Rang eines Ministers im Büro des Premierministers unterzubringen. Dabei ist das politische Kalkül des Premierministers offensichtlich: "Netanyahu signalisiert", schreibt Ha'aretz, "daß seine Zielgruppe bei der nächsten Wahl die Rechte ist - die ganze Rechte." Nicht, daß ihm liberale Koalitionspartner wie die Gesher-Partei, die Partei des dritten Weges (Haderech Hashlishit) oder die von sowjetischen Immigranten gegründete Yisrael Ba'aliya wegbrechen, macht Netanyahu Sorge, sondern seine Abhängigkeit von den Schwankungen im rechten Lager. "Er glaubt", zitiert Ha'aretz einen Berater des Premiers, "daß er so die Wahl mit den Unentschiedenen und denen aus der Mitte gewinnen kann - vor allem, weil der Kandidat der Gegenseite nicht attraktiv genug ist." Nach Einschätzung der Tageszeitung geht es dabei weniger um die wirkliche Aufnahme der Rechtsaußen ins Kabinett als um die Botschaft an die Wähler, daß Netanyahu zu einem solchen Schritt bereit wäre. Die Rechte soll sich sammeln, während Likud darauf setzt, daß das linke Lager zersplittert.

Besonders attraktiv wirkt Oppositionsführer Ehud Barak von der Arbeitspartei in der Tat nicht. Die bereits 1930 aus mehreren zionistisch-sozialistischen Parteien hervorgegangene Partei befindet sich in einer tiefen Krise. Bei den letzten Parlamentswahlen 1996 wurde sie zwar noch mit 26,8 Prozent der Stimmen stärkste Partei, aber wider Erwarten verlor ihr Spitzenkandidat Shimon Peres die erste direkte Ministerpräsidentenwahl. Damit wurde die von dem später ermordeten Yzhak Rabin zusammengestellte und unter Peres fortgesetzte Koalitionsregierung abgelöst. Sie galt als bisher progressivste Regierung Israels.

In der Koalition war auch das Bündnis Meretz vertreten, das sich aus drei Gruppen zusammensetzt: Zunächst Mapam (ausgeschrieben und übersetzt: Vereinigte Arbeiterpartei), die auf eine marxistisch-sozialistische Vergangenheit zurückblickt und die auch zu den Gründerparteien Israels gehört, wenngleich sie sich nie als zionistisch begriffen hat. In ihren Anfangsjahren war sie pro-sowjetisch, was sich mit dem Wandel der sowjetischen Israelpolitik änderte. Desweiteren Ratz, ein Bürgerrechtsbündnis, das von der Anwältin Shulamit Aloni mitbegründet wurde, die in der Koalition als Erziehungsministerin so lange und heftig mit ultra-orthodoxen Erziehungsvorstellungen aneinandergeriet, bis sie von Rabin auf den Posten der Kulturministerin versetzt wurde. Aloni war Abgeordnete der Arbeitspartei, brach in den siebziger Jahren mit der damaligen Ministerpräsidentin Golda Meir und gründete jene jetzt in Meretz aufgegangene Bürgerrechtsbewegung. In der neuen Knesset ist Aloni nicht mehr vertreten; sie hat sich aus der Parteipolitik zurückgezogen. Den dritten Meretz-Teil bildet Shinui, eine unabhängige aus den Protesten gegen den Yom-Kippur-Krieg hervorgegangene Gruppe.

Meretz ist zur Zeit die stärkste und wichtigste linke politische Kraft in Israel, weil in ihr jüdische wie palästinensische Israelis arbeiten. Andere linke Gruppen sind Hadash (Demokratische Front für den Frieden), die Vereinigte Arabische Liste sowie die Arabische Einheit für Fortschritt und Erneuerung. In der Hadash arbeiten überwiegend Palästinenser und nur wenige Juden mit. Sie hat das Gros der Mitglieder der früheren Kommunistischen Partei aufgefangen und fordert einen unabhängigen palästinensischen Staat, der das Territorium aller besetzten Gebiete umfaßt, mit der Hauptstadt Ost-Jerusalem. Die der PLO nahestehende und vom früheren Arbeitspartei-Abgeordneten Abdul Wahab Darawshe ins Leben gerufene Vereinigte Arabische Liste besteht aus der Demokratischen Arabischen Partei, der Islamischen Bewegung und dem Islamischen Block. Die Arabische Einheit für Fortschritt und Erneuerung wurde gegründet von ihrem jetzigen Vorsitzenden Ahmed Tibi, der als enger Berater von Yassir Arafat fungiert. Sie fordert einen palästinensischen Staat, der Israel die Grenzen von vor dem Sechs-Tage-Krieg zugesteht.

Bei den Knesset-Wahlen 1996 stabilisierte sich Meretz trotz eines für sie relativ schwachen Ergebnisses von 7,4 Prozent (neun Sitze) als wichtigste linke politische Kraft. Im Unterschied zu den anderen Listen und Gruppen legt Meretz großen Wert auf Bürgerrechte, die es für Juden und Palästinenser gleichermaßen zu erstreiten oder zu erhalten gelte. Auch für einen unabhängigen Palästinenserstaat tritt die Partei ein und steht damit in strikter Opposition zu den Siedlern und der Siedlungspolitik des Likud-Blocks. Außerdem tritt Meretz für eine Trennung von Religion und Staat ein. Diese vielen als gemäßigt links erscheinende Haltung macht die Partei zur potentiellen Regierungspartnerin der Arbeitspartei, wie von 1992 bis 1996 bereits umgesetzt wurde.

Bei den im Juni anstehenden - innenpolitisch hochinteressanten - Wahlen zum Vorstand des Gewerkschaftsdachverbands Histadrut favorisiert Meretz allerdings eine gemeinsame Liste mit der Likud-Abspaltung Gesher und unterstützt so deren Kandidaten Maxim Levy offen gegen den Arbeitspartei-Kandidaten, den gegenwärtigen Histadrut-Vorsitzenden Amir Peretz. In diese Koalition gegen Peretz ist auch die Islamische Bewegung eingeschwenkt, während die Demokratische Arabische Partei zusammen mit dem Likud Peretz unterstützt. Die Gewerkschaften, die in den ersten vier Jahrzehnten der israelischen Geschichte auf das engste mit der Arbeitspartei verbunden waren und die im Zuge einer auch von ihnen unterstützten Privatisierungspolitik zunehmend funktionsloser wurden, sich aber Ende letzten Jahres mit einem mächtigen Streik im Öffentlichen Dienst zurückmeldeten, sind für Politiker beinahe aller politischen Richtungen zum begehrten Objekt geworden. Hier können ganz neue - und noch vor wenigen Jahren undenkbare - politische Konstellationen erprobt werden, ohne daß sie gleich außenpolitische Belastungen nach sich ziehen.