Der Wille als Macht

Mit der Nominierung von Lothar Matthäus für den WM-Kader geht ein Ruck durchs Volk

Wie heißt der Präsident von Kamerun? Das weiß hierzulande kein Mensch. Roger Milla dagegen kennt jeder. Was beweist, daß nicht Präsidenten, sondern Fußballspieler die wahren Repräsentanten ihres Landes in der Welt sind.

Deutschland wird in der Welt repräsentiert von Lothar Matthäus. Lothar Matthäus prägt nicht nur das Medienbild des Deutschen, er ist die Inkarnation der geistigen Situation dieses Landes. Dessen größte Tageszeitung erhob wochenlang die Frage, ob Berti ihn mit zur WM nimmt, zur Frage der deutschen Befindlichkeit - und nicht zuletzt zur demokratischen Frage: Wird der Bundestrainer den Willen des Volkes vollziehen?

Klar, daß Berti schließlich zur Vernunft kommen mußte, immerhin hatte die Bild in demokratischer Manier den Souverän persönlich entscheiden lassen, per Telefonumfrage, täglich. Zuletzt war, repräsentativ ermittelt und validiert durch Ted-Umfragen aller maßgeblichen Fernsehsender, eine satte, potentiell verfassunggebende Zweidrittelmehrheit dieses Volkes wild entschossen, sich von Lothar Matthäus in Frankreich und in der Welt vertreten zu lassen.

Kein Politiker der Bundesrepublik genoß je eine derart pralle Zustimmung im Volk wie der Fußballer Lothar Matthäus. Lediglich ein Schlager-Imitator konnte ihm zuletzt das Wasser reichen. Was wiederum beweist: Im Schlager und im Fußball zeigt sich das Wesen eines Volkes. Schlager und Fußball beweisen, daß es etwas gibt, was aufgeklärte Sozialdemokraten, Sozialarbeiter, Soziologen und kritische Protestanten seit 30 Jahren hartnäckig anzweifeln: einen Nationalcharakter. Der postmurale Nationalcharakter des Deutschen ist demnach eine Synthese aus Lothar-Verehrung und Handy-Infantilismus. Wer's differenzierter mag, dem sei erlaubt, noch ein wenig Ballermanie mit in die theoretische Rekonstruktion des deutschen Nationalcharakters einzuflechten, immerhin war Ballermann 6 nach Lothar und Birmingham Deutschlands Frühlingsthema Nummer drei. Und wer noch immer murrt und behauptet, das deutsche Volk sei doch auch das Volk der tieferen Wahrheiten und der Hintergründe, dem sei gesagt, daß selbstverständlich etwas Spirituelles dahinter steht, eine geistige Haltung. Verkörpert wird diese durch den höchsten Repräsentanten, den Präsidenten Roman Herzog.

Auch wenn ihn im Gegensatz zu Lothar Matthäus kaum jemand kennt, auch wenn er im Ausland kaum bekannter ist als das Staatsoberhaupt Kameruns, so hat dieser Sack seines Volkes Befindlichkeit und Gemüt auf den Punkt gebracht. Mit seiner fixen Idee vom Ruck hat er ihm den Marsch und ihm Zucker in den Arsch geblasen. Nach dem klassisch per Urnendemokratie realisierten Ruck nach rechts in Sachsen-Anhalt ging nun ein Ruck und ein Zuck durch die Hand des Bürgers.

Der überwältigende Ted-demokratische Volksentscheid hat Berti keine andere Wahl gelassen, als Lothar Matthäus mit nach Frankreich zu nehmen, wo Lothar als fleischgewordener Ruck die Welt Mores lehren und ihr Respekt vor deutscher Wertarbeit beibringen wird.

So wird Lothar Matthäus in Paris unser Volk ebenso würdig, weil fett basisdemokratisch legitimiert, vertreten, wie ein Sänger dies in Birmingham getan hat. Er wird wieder sexistisch ("Unser Schwarzer hat so 'nen Langen") und ballermannesk chauvinistisch ("Dich hat der Adolf wohl vergessen! ") herumtrompeten, weil er ein ganz gewöhnlicher Deutscher ist, der deutsches Gemüt, deutschen Geist und deutsche Gesinnung verkörpert.

Er wird natürlich auch deutsche Dynamik, deutsches Durchsetzungsvermögen und deutsche Kraft verkörpern, das gehört dazu, der Deutsche ist ja nicht nur blöd, sondern manchmal auch durchtrainiert. Und neuerdings sogar ein bißchen lustig aber das ist ein anderes Thema. Unser einziges Thema ist für die nächsten Wochen der Fußball, die Weltmeisterschaft, Lothars Position im Team. Wird er sich einem Kapitän Klinsmann unterordnen? Wann gibt es den ersten Eklat? Wann gibt er das erste heiße Bild-Interview und spaltet damit die Nation in zwei Lager?

Außer Frage steht, daß er ein würdiger Botschafter unseres Volkes sein wird. Er wird dieses Volk so repräsentieren. wie es wirklich ist.