Nur eine Mutter ist eine Frau

1990 war das Autonome Frauenhaus in Zagreb das erste seiner Art in Osteuropa. Jetzt steht es vor dem finanziellen Aus

Sie weiß nicht mehr, wann, doch irgendwann hielt sie es nicht mehr aus. Ja, doch, sie liebte ihn. Irgendwann aber veränderte er sich. Vielleicht wegen des Krieges. Glaubt sie. Wie oft er sie vergewaltigt hat? Irgendwann hörte sie auf zu zählen und packte ihre Habseligkeiten in einen kleinen Koffer. Von Freundinnen erfuhr sie die Adresse des Autonomen Frauenhauses Zagreb. Dort würde sie sicher sein. Und dort faßte sie endlich Mut und zeigte ihn an. Nach Wochen der Erholung aber kam er wieder. Er und seine Freunde von der Front. Schwer betrunken, aber noch schwerer bewaffnet. Er wollte sie holen. Rache nehmen für die Flucht und für die Anzeige. Alle paar Minuten, wenn wieder einmal Beschimpfungen und Drohungen nichts nutzten, kündigte er an, sein Waffenarsenal zu nutzen, um ins Haus zu kommen. Erst die von den Bewohnerinnen alarmierte Polizei forderte ihn höflich, aber bestimmt auf, den ungleichen Häuserkampf zu beenden. Er zog ab.

Als Newa Tölle, die Leiterin des Frauenhauses, Anzeige erstattete, passierte jedoch nicht viel. Die Staatsanwaltschaft Zagreb lud ihn zu einem Gespräch. Schulterklopfend, von Mann zu Mann, wurde ihm gesagt, er solle so etwas nicht mehr tun. Kein Wort von den Schmerzen und der Angst der Frauen. "Das ist typisch für unsere Situation hier", bedauert Tölle. Im Kroatien des alternden Generals Franjo Tudjman zählen die wahren Werte noch etwas - Vergewaltigung wird als Kavaliersdelikt betrachtet. Laut einer Statistik des Innenministeriums stieg die Zahl der Vergewaltigungen allein zwischen 1996 und 1997 um 23 Prozent. Aber, so Tölle, "das sind geschönte Statistiken der Polizei". Sie glaubt, daß die Dunkelziffer um das Zwei- bis Dreifache höher liegt.

Die Anzahl der Vergewaltigungen in Kroatien nimmt weiter zu - und die Polizei hat weniger damit zu tun. Dafür sorgt eine Gesetzesnovelle, die seit Beginn des Jahres in Kraft getreten ist: Mußten bis dahin Vergewaltigungen von Ehefrauen oder Lebensgefährtinnen von den Behörden umgehend verfolgt werden, wurden sogenannte "interne Vergewaltigungen" jetzt vom Offizialdelikt zum Antragsdelikt juristisch zurückgestuft. Das Opfer muß selbst Anzeige erstatten, damit die Justizbehörden überhaupt tätig werden.

Zudem werden im zutiefst katholischen Kroatien auch Scheidungen immer schwieriger. Mußten sich die Ehepartner bisher mindestens dreimal bei einem Sozialarbeiter aussprechen, um geschieden werden zu können, müssen nun mindestens sechs solcher Gespräche geführt werden.

Diese Gesetzesnovellen wirken sich laut Tölle direkt auf das Frauenhaus aus: "Unsere Warteliste wird immer länger." Die Bezeichnung Frauenhaus ist eigentlich eine Übertreibung: Es handelt sich um eine etwa 200 Quadratmeter große Wohnung. In einer winzigen Küche wird für 35 Menschen gekocht, aus einem langen Flur wurde ein Eßzimmer improvisiert, das größte Zimmer mit Möbeln in neun kleine Kojen unterteilt.

Mehr war zu Beginn der neunziger Jahre nicht verfügbar. Denn die Wohnung wurde damals besetzt. "Wir haben einfach den Umbruch ausgenützt", erinnert sich Tölle lächelnd und beschreibt die spontane Aktion: "Wir haben schon drei Jahre lang nach einem geeigneten Objekt gesucht. Als sich die staatlichen Strukturen aufzulösen begannen, dachten wir sofort an die Jugend. Wir gingen also zum Sozialistischen Jugendverband und baten um die Schlüssel zu einem leerstehenden Büro. Und da sind wir nun. Seit acht Jahren."

Täglich laufen die Frauen Gefahr, geräumt zu werden. Vor zwei Jahren war wieder einmal der Gerichtsvollzieher da. Doch der hatte nicht mit der Solidarität der Frauen gerechnet: Mittels Telefon und Fax wurden Frauen aus ganz Europa binnen weniger Tage mobilisiert. Der folgende Sitzstreik überforderte den braven Beamten - er verschwand wieder.

Nun aber wird es wirklich brenzlig. Nicht mehr der Gerichtsvollzieher ist der Feind, sondern die leere Kasse. Weil die Räumlichkeiten als Büros registriert sind, berechnen die Stadtwerke von Zagreb doppelt soviel an Gebühren für Strom, Gas und Wasser wie bei Privathaushalten. Mehrere Bitten um Ermäßigung wurden von den Stadtwerken in höflichen Briefen abgewiesen. So kann das Frauenhaus seit April die Rechnungen nicht mehr zahlen. Darin sieht Tölle eine große Gefahr: "Wenn die Räumung kommt und alle raus müssen, weil man in einer Wohnung ohne Strom und Wasser einfach nicht leben kann, gibt es eine Katastrophe." Die Frauen müßten zurück zu ihren prügelnden und vergewaltigenden Männern. Das Konzept des Autonomen Frauenhauses wäre somit gescheitert. Und das, obwohl es die überwiegende Mehrheit der Frauen dank permanenter sozialer, psychologischer und juristischer Beratung geschafft hat, ihr Leben selbst und neu zu organisieren. Manchmal mit dem ehemaligen Lebenspartner, manchmal alleine. Kaum eine möchte länger im Frauenhaus bleiben als unbedingt notwendig.

Indes forciert das konservative Kroatien den Druck auf die Frauen. "Nur eine Mutter ist eine Frau", lautet die offizielle Diktion. Vermehrt taucht in regierungsnahen kroatischen Zeitungen wieder die nationalistische Unterleibsrhetorik strenggläubiger Männer auf: "Die kroatische Mutter mit ihrem Kind in den Armen und die Wiege im kroatischen Heim ist die Hoffnung für die Erneuerung und das Gedeihen aller greisenhaften und verödeten kroatischen Heime und das Merkmal des kroatischen Sieges."

Für sein letztes Geld mußte das Frauenhaus in Zagreb jetzt erst einmal eine schußsichere Tür kaufen.