Der du bist im Himmel

'Vater ist unscharf' stand in der taz. Und es war klar. "Was dem Hollywoodfilm sein 'boy meets girl', ist für den Dekonstruktivisten nurmehr 'boy' 'meets' 'girl'." Au wei. Ein Blinder sieht, daß das Blödsinn ist. Wo alles doch einfach so ist, soll alles auf einmal Häkchen haben. Häkchen, die man nicht mal mitsprechen kann.

'Vater ist unscharf' ist so ein Artikel. Ein Tag vor dem Vatertag. Es geht, glaube ich, um Woody Allens neuen Film. (Ich bin mir da aber nicht so sicher). Was diesen Artikel mit vielen anderen Artikeln verbindet, ist sein

Setzen auf Selbstevidenz: 'Man sieht doch sofort, daß das alles Quatsch ist. Und das hier Spaß.' 'Der gesunde Menschenverstand' treibt mal wieder Blüten. Geschrieben werden sollen Erfolgsgeschichten.

"Die Erfolgsgeschichte der Dekonstruktion ist um so verblüffender, als dekonstruktivistische Texte ja nun wirklich keine Bedienungsanleitungen enthalten und überhaupt sich nicht durch Leichtverständlichkeit verdächtig machen wollen." Ein Glück, "Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt", sagt Lessing, also Mariam Lau ist besser nicht Derrida, allerdings: "Der Kunstrichter empfindet nicht bloß, daß ihm etwas nicht gefällt, sondern er fügt auch noch sein denn hinzu." Das wird bei Lau aber nicht mehr mitgeliefert. Da ist eben alles so. Man sieht doch, was Sache ist.

Jammerschade, daß in solchen Artikeln gerade die Gegenstände, zu deren Verteidigung angetreten wird (hier: der Hollywoodfilm), für dumm verkauft werden. Obwohl sie doch Subjekt geworden sind, Mariam Lau spricht in ihrem Artikel auf seiten des Films, hat sich in 'Hollywood' hineinversetzt: So denkt der Gegenstand. 'Boy meets girl'. Auf der einen Seite also das Selbstverständnis des Gegenstands, Film/Lau, gar nicht kompliziert, ein Satz. Jeder kennt ihn. Auf der anderen Seite die, die dem Gegenstand zuleibe rücken, die Intellektuellen, furchtbar kompliziert, lächerlich kompliziert. Nur noch einzelne Wörter. Kein vollständiger Satz. Oder ganz viele Sätze. Keiner versteht was. Auf der einen Seite die Wahrheit, auf der anderen Seite die Konstruktion. Die Dekonstruktion. Political Correctness.

Aber geht es bei der 'Political Correct-ness' denn nicht darum, so heißt es doch immer, daß man jemandem vorzuschreiben sucht, wie er sich gefälligst 'richtig' auszudrücken habe? "Trotzdem sind gerade die geschraubtesten Formulierungen, ihre [Dekonstruktion] Laubsägearbeiten am Wort, heute längst als ready-mades jedem besseren Feuilletontext zuhanden. Das 'kreisende Begehren', die 'gekreuzte Leere', die 'Spur', das disloziierte Subjekt, das 'Wiedereinschreiben' in den 'Körper' - diese Kathederblüten gehören mittlerweile in jeden Haushalt [sprich: in den Müll]. Man stelle sich eine Milliarde kreisender chinesischer Begehren vor!" Wieso 'chinesisch'? Ach ja, 'Unverständlichkeit'. 10 000 Blüten. Mariam Laus Artikel ist voll PC. Da sind sie: die bösen Ausdrücke. Können sie nicht Deutsch reden?

Der Text, der so vehement gegen PC vorgeht, ist selbst ein PC-Text. Was übrigens auch unvermeidlich ist. "There is no such thing as free speech and it's a good thing, too", wie Stanley Fish sagt. Der Ausdruck 'Political correctness', ein genialer Schachzug der Neokonservativen, suggeriert, Modell Verschwörungstheorie, daß einige fiese, skrupellose Linke, Afrikanisten und Dekonstruktionäre versuchen, ihre besonderen Ansichten anderen Leuten aufzudrücken, statt sich mit den Ansichten zufriedenzugeben, die für keine Gruppe charakteristisch sind, weil alle sie teilen.

Es sind diese allgemeingültigen Ansichten (der gesunde Menschenverstand), die eigentlich korrekt sind; während die Ansichten von Feministinnen, Schwulen, Sozialdemokratinnen und Multikultis bloß 'politisch korrekt' sind, korrekt also nur aus der Perspektive derjenigen, die diese Ansichten teilen. In eine PC-Diskussion kann man so nur einsteigen, wenn man gegen PC ist, ansonsten befindet man sich unweigerlich in der Defensive. Ist man hingegen für das, gegen das 'PC' sich richtet, bleibt einem nichts anderes übrig als dieses Label abzulehnen, und damit die Prämisse des ganzen Spiels, daß es irgendwie möglich sei, eine sprachliche Position einzunehmen, die frei von Bedeutungseffekten wäre. Zu Lebzeiten im Himmel zu sitzen.

Was von der politischen Rechten mit diesem Kürzel angegriffen wird, sind Versuche, die Konstruktion jedweder sprachlicher Bedeutung transparent zu machen. Das heißt, zu markieren, daß der Gebrauch bestimmter Ausdrücke bestimmte Effekte zeitigt.

Nicht mehr und nicht weniger. 'Boy meets girl' ist natürlich nicht 'Hollywood', sondern eine andere - ziemlich mickrige - Konstruktion von dem, was "Hollywood" sein soll. Von einer Beobachtungsperspektive. Mit der man seine Artikel zu schreiben gedenkt. Mit "'boy' 'meets' 'girl'" würde man bei der Analyse von Hollywoodfilmen, die sich um 'boys' und 'girls' drehen - sagen wir 'Screwballcomedies' -, sicher weiterkommen als mit der Welt aus einem Satz, die unweigerlich Sätze nachsichzieht wie: "Der Witz dieses Besetzungsspektakels entsteht aus dem Clash zwischen Gehobenem, Erhabenem, Ernstem und Profanem".

Dabei geht es bei der Reflexion auf die Effekte des jeweiligen Sprachgebrauchs nicht um eine 'Lektion', die man einmal lernen muß - got it, wir habens kapiert, wir sind aber schon weiter, alle heiklen Wörter zu mir, alle Rollis fliegen hoch, wir alten Zyniker! -, auch nicht um die ewige Handlungshemmung oder das Moraltraktat, sondern um die Chance, Texte zu schreiben, in denen mehr passiert als in 'Vater ist unscharf'. In denen man mit etwas mehr Spaß etwas differenzierter beobachten kann.

Mariam Lau hat offensichtlich eine reichlich hölzerne Vorstellung von eigentlichem, natürlichem Sprechen vs. uneigentlichem, akademischem Sprechen. Und weil 'natürlich' lustbetont sein soll, denkt sie, daß sie die ganze Zeit über Sex reden muß. Sie ist unglaublich locker. 'Vater ist unscharf' besteht denn auch nur aus Sprüchen aus dem Locker Room. Ja, wir wollen endlich wieder Spaß haben, wir wollen wieder 'Votze' sagen dürfen, kannst Du haben; "[j]ede Nachtclubschranze in Las Vegas weiß heute ihren Striptease mit ein paar wohlgesetzten Bemerkungen über die soziale Konstruiertheit des Geschlechts zu schmücken und erhöht so den Überraschungseffekt angesichts der zuletzt enthüllten biologischen Gegebenheiten". Da ist sie in Fahrt, in ihrem Element. Nachtclub. Las Vegas. Wer kennt sich nicht da aus? Bio auf dem Tisch, am Ende die ungeschminkte Wahrheit: alles Votzen. Möse bleibt Möse. Kais Kleider. (Das Standardbeispiel). ('Jede' 'Nachtclubschranze' 'in Las Vegas' 'weiß' . . . Sie wissen, wie es geht).

Aber Vorsicht, vielleicht ist es hier das Problem der girls, die gerne bei den (erklärten) boys mitspielen wollen und deshalb selbst die größten Zoten reißen; ich weiß nicht, wie es beim Merkur ist, bei der FAZ, die die Gesten vorgeben. "In seiner [ihrer (?), dieser (?)] Welt geht es rauh und sexy zu ... Die ... Synchronfassung haut einem auch unerbittlich . . . 'Scheiß' ... um die Ohren, eine '... Votze' und so weiter." Daß die Dekonstruktion überall steckt - "die Theoretiker des Dekonstruktivismus ... Jacques Lacan [?], Jacques Derrida und Michel Foucault [?] ..., die sich mittlerweile bis in die entlegensten Gegenden von Ohio vorgefressen haben", (Heuschrecken? Virus Uni?) - ist allerdings ein kurioses Phantasma. Klar, 'die anderen' müssen immer mehr sein, aber wenn etwas von der Mehrzahl der Professoren und Dozenten, Väter und Feuilletonisten vertreten wird, und zwar seit es sie gibt, lang vor jeder Dekonstruktion, dann der 'gesunde Menschenverstand'.

Mariam Lau, die alle Stripperinnen in Ohio und China kennt, könnte ja mal spaßeshalber eine dekonstruktive Lektüre - sie kann ja von jemand anders sein - an die 'Fachorgane' herumschicken und versuchen, sie abgedruckt zu bekommen. Oder sich mit solchen Lektüren um eine Stelle zu bewerben.

Geschichten wie 'Vater ist unscharf' kommen aus einem hermetischen Biotop, das davon lebt, daß sie sich gegenseitig drucken. Eine lustige Blase, in der es keine Widerstände gibt. Nur die Feier der eigenen Ressentiments. Man druckt in der taz tapfer die Kinospalten des Merkur-Koeditors ab, der dafür tapfer das deutsche Denken der taz-Kinofrau im Merkur abdruckt. Wenn man sich so seinen eigenen Stammtisch baut, ist aber alles immer im 'wahren Leben'. Film und Klatsch: 1:1. (Woody Allen, klar.)

Grundsätzlich geht es bei diesen Glaubensbekenntnissen und Entdifferenzierungsträumen darum, sich einen Namen zu machen. Mariam Lau hat neulich - boy meets girl, stand in der taz - endlich ihren 68er-Sklavennamen ablegen können, "das schien mir ebenso unglaublich wie die Tatsache, daß unser Freund Rudi, der noch letzte Woche mit Gretchen und einem noch viel interessanteren Säugling namens Hosea Che bei uns gewesen war, von 'drei Kugeln', just like that, niedergestreckt werden konnte" (Mariam Niroumand, 'Ontogenese der Filmkritik').

Das ist, zumal bei eingeführten Autorennamen, heute zwar nicht mehr so üblich - "Die Ehepartner können bei oder nach der Eheschließung

durch Erklärung gegenüber dem Standesbeamten den Geburtsnamen des Mannes oder den der Frau zum gemeinsamen Ehenamen bestimmen. Treffen sie keine Bestimmung, behält jeder Ehegatte den von ihm z. Z. der Eheschließung geführten Namen." - aber Glückwunsch!, die hier getroffene Bestimmung ist ein Präzisionsgewinn. Vater ist jetzt unscharf.

Hat es nicht vielleicht doch etwas, dieses Auf-den-ersten-Blick-alles- motivierte-Zeichen-Sehen? Setzt man sich diese Brille einmal auf und liest Zeitung, fragt man sich tatsächlich: Warum heißen sie auch noch alle so? Die Autoren dieser Aufblastexte heißen, wie sie schreiben. Sie sind unglaublich motiviert: Lau, 'Lau', Scheel, Bittermann, Greiner, Steinfeld. Aber halt, Votze, Vater ist unscharf, weiter unten, man kennt die Schwachstellen: "Berichtigung. Beknie nie Begnini. Zwar haben wir uns geschworen, bei Namenswitzen fünf Mark in die Kalauerkasse abzudrücken, doch sollte zumindest vermerkt werden: Der Komiker und Regisseur Roberto Benigni heißt nicht Begnini (und dies ist keine Pfeife)."

In den anderen Fällen wäre ich mir da nicht so sicher. 25 Mark in die deutsche Feuilletonportokasse.