Mit den Toten gegen die Roten

Politischer Narrenauftritt: Burschenschafter aus Deutschland und Österreich trafen sich bei einem Festkommers in Wien

Großalarm herrschte Mitte Mai für die Wiener Polizei. Rund 1 000 schlagende Burschenschafter aus Deutschland und Österreich mußten vor rund 500 linken, aber nicht schlagenden Gegendemonstranten beschützt werden. Und so trat nach den Erfahrungen vom letzten Kommers im November 1996 die Wiener Polizei mit rund 800 Mann an: Damals versuchten die Antifaschisten glücklos, aber recht zielstrebig, den Ort des Geschehens - die Wiener Hofburg - zu stürmen.

Die Vorsicht der Ordnungshüter war diesmal etwas übertrieben: Nach einer knappen Stunde Schlachtgeschrei ohne Schlacht verzogen sich die Antifaschisten wieder. Dafür herrschte in der Hofburg Tugendalarm: Um die nötige Zucht und Ordnung garantieren zu können, und damit die Burschenschafter nicht den weiblichen Reizen erliegen, wurde schon Tage vor dem närrischen Treiben gehöriger Aufwand betrieben: Der Veranstalter "Wiener Korporationsring" (WKR) beauftragte eine Schneiderei damit, die allzu kurz geratenen Röcke eventueller Begleit-Damen auf ein züchtiges Maß zu verlängern. Diese wirklich hochpolitische Operation war offensichtlich geglückt - denn die meisten der ohnehin spärlich vertretenen Damen trugen Kleider, die diversen Sommerkollektionen der Jahre 1933 bis 1945 zum Verwechseln ähnlich sahen.

Das BDM-artige Auftreten der weiblichen Besucherinnen und die martialisch anmutenden Uniformen der Burschenschafter selbst sorgten dafür, daß die ehrwürdige Hofburg ein stilsicheres Biotop für jene Menschen wurde, denen Ehre, Freiheit, Vaterland und das dazugehörende Brimborium noch etwas gelten. Schließlich wollte man sich gewichtiger Ereignisse entsinnen: Der Revolution des Jahres 1848. Vor 150 Jahren kämpften auch in Wien Studenten, Arbeiter und Bauern gegen den Absolutismus der Habsburger Monarchie. Doch diese Interpretation reichte denen mit der Gnade der allzu späten Geburt offensichtlich nicht: Sie interpretierten den Freiheitskampf von Anno Dazumal zur Forderung einer europaweiten deutschen Einheit um.

Zwischen markerschütternden Songs vom Format "Schwenkt der Schläger blanke Klingen, hebt die Becher, stoßet an" und dem entsprechenden Genuß von viel Gerstensaft wurden die Burschen auf die nötige Geschichtsschreibung eingeschworen.

Etwa vom Wiener Universitätsdozenten Lothar Höbelt: "Erstmals wurde 1848 das gefordert, was auch heute in unseren Köpfen lebt: die vereinigten Staaten von Großdeutschland." Der Freiheitsbegriff der Burschenschafter ist ein eingeschränkter, an diesem wie wahrscheinlich auch an jedem anderen Abend: "Freiheit und der Begriff der Nation sind für uns das Gleiche", weiß Höbelt.

Die sophistizierte Rede des beamteten Umsorgers wird immer wieder von tosendem Applaus unterbrochen. Denn in der niedrigen Reizschwelle beim Auftreten gewisser Wörter sind alle Anwesenden gleich. Das Wort "Deutschland" führt in dieser offiziellen Hitliste knapp vor "Freiheit". Diese Begriffe werden von den Rechtsextremen besonders gerne vereinnahmt. Im imperialen Glanz der Hofburg versammelten sich die einschlägig intellektualisierten Studenten als Vorhut eines eigenartigen Demokratieverständnisses. Mit Revisionismus schwindeln sie sich um das Thema 1848 herum.

Höbelt gluckst beglückt über die Vorstellung eines vereinten Deutschlands von "der Etsch bis an die Memel", dort, wo "heute wieder Wildnis herrscht". Soll heißen: Dort, wo heute slawisches Land ist. Mut schöpfen die Anwesenden aus dem vergangenen Jahrhundert und aus der Zukunft: "Das 19. Jahrhundert war ein nationales, das 20. war eines der Sozialismen, und ich bin überzeugt davon, daß das 21. Jahrhundert eines der nationalen Bewegungen wird." Für den Moment reicht allerdings die Bewegung zur Biertheke.

Versammelt im Saal ist auch die Prominenz aus Jörg Haiders Rechtsaußen-Partei FPÖ. Der dritte Präsident des österreichischen Nationalrates, Wilhelm Braunewer, läßt die in Österreich noch immer wenig salonfähige deutsche Nation ebenso hochleben wie der Chef der Wiener FPÖ, Hilmar Kabas.

Der darf sogar eine Rede halten und hat keine Mühe, den Freiheitsgedanken von 1848 zu einem freiheitlichen Gedanken von 1998 mutieren zu lassen. In holpriger Rhetorik enthält er sich weitgehender Reminiszenzen an die Geschichte und spult "Best of Jörg Haider" herunter.

Angegriffen wird das "linke Medienmonopol", die "links-linken Chaoten", die sich draußen vor der Hofburg treffen und auch das leidige Ausländerthema bedenkt Kabas mit stotternder Aufmerksamkeit. Klar, daß der FPÖ-immanente Kampf gegen "Filz, Proporz und Postenschacher" auch angesprochen werden muß.

Aufgehorcht haben die wenigen

Journalisten, die durch die Gesichtskontrolle gerutscht sind, bei Kabas Kampfansage an den Parteienstaat. Mit Parteien nämlich können Burschenschaften wenig anfangen, wenn die Freiheitlichen eh schon in ihrem Lager sind. Abgesehen von den kabarettistischen Avancen des Wiener Freiheitlichen-Chefs war der Kommers nur beschränkt unterhaltsam. Denn Kabas war politisch an diesem Abend eher der Blinde unter den Einäugigen. Der Fanatismus scheint ein von Jörg Haider soufflierter zu sein.

Viel vorsichtiger sind die Männerbünde der Burschenschafter zu betrachten: Sie haben in der Hofburg deutlich gemacht, daß auch Muttersöhnchen im Ghetto ihrer eigenartigen Gesinnung über sich hinauswachsen können. Und schließlich muß man schon ordentlich von der Rolle sein, wenn man Freiheit und Nation gleichsetzt. Verschwörungstheorien, wie von Höbelt und Kabas, finden nur bei einem intellektualisierten Publikum Anklang.

In der Hofburg von vergangenem Samstag polterten nicht brutale Skinheads: Hier war die Version der überzeugten ideologischen Schlägertruppe am Werk.