Freiheit für den Friedensengel

In Kolumbien ist das Verfahren gegen den Multi-Agenten Werner Mauss und seine Frau eingestellt worden. Jetzt wollen sie dort weiter humanitär wirken. Nur Bonn will nicht mehr so richtig

Die Mörder kamen am hellichten Tag. Der Rechtsanwalt Eduardo Uma-a Mendoza erwartete am 18. April in seinem Büro Journalisten zu einem Gespräch. Doch die drei Besucher trugen Pistolen statt Kameras.

Uma-a war einer der profiliertesten Verteidiger der Menschenrechte in Kolumbien. Die Trauerfeier für ihn in der Nationaluniversität in Bogot‡ geriet zu einer Demonstration der Wut: In Sprechchören wurden die Militärs beschuldigt, hinter dem Mord zu stehen. Und nicht nur hinter diesem. Wenige Tage zuvor war Mar'a Arango erschossen worden, eine ehemalige Aktivistin der Kommunistischen Partei.

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch veröffentlichte jetzt einen Bericht, der der 20. Armeebrigade vorwirft, als Todesschwadron zu agieren und auch in die Morde an den beiden prominenten Linken verwickelt zu sein.

Nach über 40 Jahren Krieg in Kolumbien sind die Fronten unübersichtlich. Hunderte von paramilitärischen Truppen machen im Auftrag von Großgrundbesitzern und Drogenbossen Jagd auf Campesinos, oft gedeckt und unterstützt von Polizei und Armee. Auf der anderen Seite kämpfen rund 20 000 Rebellen der drei großen Guerillagruppen FARC, ELN und EPL. Mit Entführungen und Schutzgelderpressung füllen sie ihre Kriegskassen. Und alle reden vom Frieden - morden aber gleichzeitig weiter.

Nur einer blickt noch durch - behauptet er jedenfalls. Ausgerechnet der deutsche Privat- und Staatsagent Werner Mauss meint, den Schlüssel für einen Frieden in Kolumbien in der Hand zu halten. Ein Mann, der noch nicht einmal die Landessprache versteht und immer auf die Dolmetscherdienste seiner Frau angewiesen ist. "Wenn mein Prozeß zu Ende ist, dann werden meine Frau und ich innerhalb von drei Tagen im Guerillacamp sein. Und in einem halben Jahr ist der Frieden da", tönte Mauss noch im April.

Da hatte die kolumbianische Justiz bereits 17 Monate gegen ihn und seine Frau Ida ermittelt. Verhaftet wurden die beiden im November 1996, als sie unter konspirativen Umständen die von der Guerilla ELN entführte deutsche Managergattin Brigitte Schöne außer Landes bringen wollten. Zunächst warf die Staatsanwaltschaft dem Ehepaar vor, die Entführung selbst inszeniert zu haben, um sich am Lösegeld zu bereichern. Acht Monate saßen die beiden im Gefängnis, dann änderten die Ankläger kleinlaut die Vorwürfe: "Politische Begünstigung der Guerilla" hielten sie Mauss und seiner Frau vor. Aber selbst dafür fanden die Ermittler keine Belege. Die Generalstaatsanwaltschaft von Antioquia sprach das Ehepaar frei, was nach kolumbianischen Recht möglich ist, und stellte das Verfahren endgültig ein. Mauss & Mauss dürfen das Land wieder verlassen. "Wenn die Kolumbianer es wünschen, dann wollen wir selbstverständlich weiter für den Frieden arbeiten", erklärten beide kurz nach der Entscheidung.

Mauss als Friedensengel? Kurz nach seiner Verhaftung sah das in der kolumbianischen Presse noch anders aus. Als Schwerkrimineller von internationalem Format wurde er gezeichnet. Als enger Verbündeter der Guerilla, gar als Finanzchef der Rebellen in Europa. Als Schmiergeldzahler, der deutschen Konzernen in Kolumbien den Weg freimachte. Sowas läßt ein Werner Mauss, der nach dreißig Jahren klandestiner Arbeit ständig Intrigen gegen sich wittert, nicht auf sich sitzen. Bereits im Gefängnis machte er sich daran, sein Image aufzupolieren. Er suchte Kontakt zu Politikern aus Deutschland und Kolumbien, sprach mit ausgewählten Journalisten.

Mit Erfolg: In Kolumbien brachte das Wochenmagazin Semana eine Titelgeschichte über die angebliche Friedensmission des Ehepaars Mauss, in Deutschland ließ sich die Zeit dazu hinreißen, die Version des Agenten unkritisch zu verbreiten; u.a. zitiert sie den Agenten mit den Worten: "Wenn wir mit dieser Armut und Gewalt groß geworden wären, wären wir auch Guerilleros geworden." In kolumbianischer Haft hatte er sich noch gebrüstet, "1 600 Terroristen, Kriminelle und Mörder" hinter Gittern gebracht zu haben: "Vier Jahre habe ich gegen die Terroristen der RAF (Anarchisten) gearbeitet, und alle wurden verhaftet."

Die Wahrheit des Agenten hat mit der Wirklichkeit nur wenig zu tun. Begonnen hatte sein Kolumbien-Abenteuer keineswegs mit versöhnlichen Friedensverhandlungen, sondern mit knallharten Geschäften. 1983 ging Mauss im Auftrag von Mannesmann nach Kolumbien. Der Düsseldorfer Konzern wollte eine Pipeline konstruieren - mitten durchs Guerillagebiet. Die Rebellen entführten Mannesmann-Mitarbeiter und legten Bomben. Mauss zog seine Fäden - und siehe da: Die Guerilla hielt still. Der inzwischen verstorbene ELN-Chef Manuel Pérez gab zu, daß seine Organisation von Mannesmann und anderen Firmen mindestens zwei Millionen Dollar bekommen hat. Andere Quellen sprechen gar von 40 Millionen.

Um die Geschäftsinteressen eines großen deutschen Konzerns ging es auch bei der nächsten Kolumbien-Mission des Agenten. 1990 engagierte ihn Siemens, um ein Milliardenprojekt in Medell'n zu retten: den Bau der Metro. Die Arbeiten dort waren zum Stillstand gekommen, weil sich die am Bau beteiligten Firmen wegen ungeklärter Fragen der Finanzierung heftige Scharmützel mit der Betreibergesellschaft lieferten.

Mauss alias Möllner lockte eine hochkarätige Delegation - unter anderem den kolumbianischen Außenminister und den Wirtschaftsminister - nach Bonn. Die deutsche Regierung wolle mit einem großzügigen Kredit aushelfen, versprach der Agent. Doch die Kolumbianer mußten mit leeren Händen zurückkehren: Wegen der deutschen Vereinigung waren die Bonner Kassen leer.

Einen wesentlich kürzeren Draht nach Bonn fand Mauss dann 1994. In Bernd Schmidbauer, Staatsminister im Kanzleramt und Koordinator der deutschen Geheimdienste, traf Mauss auf ein Pendant, dem unorthodoxe Methoden mindestens ebenso liegen wie ihm selbst.

Das Dream-Team aus Agent und Minister spezialisierte sich auf Kolumbien, um dort im gemeinsamen Abenteuergeist spektakuläre Geiselbefreiungen zu organisieren. Mauss machte die Kontakte, Schmidbauer organisierte ihm Tarnpässe und Schutzbriefe der deutschen Botschaft. Und wenn es galt, Lösegeldkoffer sicher nach Südamerika zu bringen, dann durften auch BND-Agenten Handlangerdienste verrichten. Unter den ausländischen Diplomaten in Bogot‡ hatte sich schnell herumgesprochen, daß das deutsche Kanzleramt einen Mann für schwierige Fälle hatte. In Kolumbien, wo Kriminelle und Guerilleros eine regelrechte "Entführungsindustrie" betreiben, liegen die Tarife für Ausländer besonders hoch: Auf zwei bis sechs Millionen Dollar schätzen Experten den "Marktwert" eines entführten US-Amerikaners oder Europäers. Und Mauss konnte mit Schmidbauers Unterstützung mindestens neun ausländische Geiseln von der Guerilla in Empfang nehmen.

Nachdem die kolumbianische Polizei das Ehepaar Mauss festgenommen hatte, tauchten Briefe und Tonbandaufnahmen auf, die harte Lösegeldverhandlungen dokumentieren: 3,5 Millionen für die Freilassung von drei argentinischen Ingenieuren, fünf Millionen für einen Engländer und einen Dänen. Der Agent hingegen versichert bis heute hoch und heilig, daß nie Geld geflossen sei. Vielleicht mal ein Feldlazarett für die Guerilla, Operationsbestecke, Medikamente. Und Europareisen für die Rebellen aus dem Urwald.

Im Juli 1995 kam eine vierköpfige Delegation des Nationalen Befreiungsheeres (ELN) nach Bonn und übergab Schmidbauer eine mehrseitige Petition, in der Deutschland und die EU um Vermittlung im innerkolumbianischen Konflikt gebeten wurden. Die Idee zum Friedensplan war geboren, und der Agent und sein Minister schmiedeten große Pläne. Die drei Guerillabewegungen FARC, ELN und EPL sollten sich in Bonn mit der kolumbianischen Regierung treffen, Nicaraguas Ex-Präsident Daniel Ortega sollte als Vermittler dabeisitzen und die katholische Kirche die Schirmherrschaft übernehmen. Und wenn man schon mal dabei sei, in Kolumbien Frieden zu machen, dann sollten natürlich auch die Kokain-Kartelle nicht fehlen.

Die Drogenbosse wollten Mauss und Schmidbauer mit einem besonderen Bonbon locken: Sie sollten eine Garantie bekommen, nicht an die USA ausgeliefert zu werden, ihre Strafen in Kolumbien absitzen und dann bis zu 20 Prozent ihrer beschlagnahmten Güter und Gelder wiederbekommen. Schmidbauer fühlte bei US-Diplomaten in Deutschland vor, ob die US-Amerikaner wohl etwas dagegen hätten. Sie hatten, und der Minister handelte sich eine saftige Ohrfeige ein. Kolumbien ist für die Nordamerikaner traditionelle Einflußsphäre, da hatte Deutschland sich nicht einzumischen. Und schon gar nicht mit großzügigen Angeboten an die Drogenbosse, die die USA am liebsten bei sich hinter Gitter sehen würden, und das möglichst lebenslänglich.

Schmidbauer leugnete, den US-Diplomaten diesen Vorschlag unterbreitet zu haben. Und fing sich dafür gleich die nächsten Ohrfeigen ein: Sowohl der damalige US-Botschafter in Bogot‡, Myles Frechette, wie auch der US-Unterstaatssekretär Robert Gelbard erklärten, daß es diese Anfrage sehr wohl gegeben habe. Gelbard: "Wir rieten Schmidbauer, daß er sich da besser raushalten sollte."

So mußte der Friedensplan abgespeckt werden auf die Verhandlungen mit der Guerilla.Rührig gingen Mauss und Schmidbauer an die Vorbereitungen. Es gab Treffen mit Daniel Ortega, der damalige kolumbianische Innenminister Horacio Serpa kam nach Bonn. Der Vorsitzende der kolumbianischen Bischofskonferenz, Alberto Giraldo, traf sich mit seinem deutschen Amtsbruder Karl Lehmann in Mainz. Mauss und Schmidbauer konferierten mit Präsident Ernesto Samper am Rande einer UN-Hauptversammlung in New York - Ida Mauss machte die Dolmetscherin.

Innenminister Serpa jedenfalls beteuert bis heute, keine Ahnung gehabt zu haben, wer dieser "Klaus Möllner" war, in dessen Privathaus im Hunsrück er bei seinem Besuch in Deutschland gewohnt hatte. Und daß ausgerechnet dieser Friedensvermittler seit Jahren gute Geschäfte mit der Guerilla machte, blieb ebenfalls im dunkeln.

Schließlich ging das riskante Doppelspiel von Mauss und Schmidbauer mit einem lauten Knall zu Ende. Das Agentenpaar saß in Medell'n im Gefängnis, und der Staatsminister hatte seine liebe Not, der Öffentlichkeit zu erklären, warum er mit Mauss gemeinsame Sache gemacht hatte. Er habe sich halt nicht ausreichend über den Mann informiert, entschuldigte sich der Minister. Dabei wäre das gar nicht schwer gewesen: Vor allem in den achtziger Jahren war Mauss ständiger Gast in den Schlagzeilen, zwei Untersuchungsausschüsse in Niedersachsen durchleuchteten seine zwielichtigen Aktionen im Dienste von Verfassungsschutz und Polizei.

War die Kolumbien-Episode nun Nebenaußenpolitik oder nur der dilettantische Profilierungsversuch der abenteuerlustigen Freunde Mauss und Schmidbauer? Wohl etwas von beidem. Kolumbien ist eine der attraktivsten Ecken im Hinterhof der USA: Das Land hat eine relativ stabile Wirtschaft und ist auch wegen seiner Lage als Einfallstor zum Halbkontinent von geostrategischem Interesse.

Und wenn es um deutsche Weltmarkt- und Weltmachtinteressen geht, dann ist das auch in der Bundesregierung Chefsache. Immerhin berichten Zeugen von Briefen, mit denen sich Helmut Kohl in der Angelegenheit Frieden für Kolumbien direkt an den kolumbianischen Präsidenten Ernesto Samper gewandt hat. Ebenso gab es ein Telefongespräch zwischen Kohl und US-Präsident William Clinton, in dem die beiden Staatsmänner den Plan des Duos Schmidbauer-Mauss besprochen haben. Und das alles an Außenminister Kinkel vorbei.

Mauss habe für sein Wirken in Kolumbien kein Mandat der Bundesregierung gehabt, ließ das Außenministerium jetzt verlauten. Der Agent sieht das anders: Er habe sehr wohl im Auftrag der Bundesregierung Geiseln befreit und Friedensgespräche vorbereitet. Das Kanzleramt wiederum gab eine andere Sprachregelung heraus: Man habe dem Agenten lediglich Unterstützung in einer humanitären Angelegenheit gegeben.

Und was sagt die Bundesregierung heute zu einer möglichen Vermittlung in dem Friedensprozeß, von dem Mauss noch immer schwärmt? Nur in Zusammenarbeit mit Partnern aus der Europäischen Union und nur zum richtigen Zeitpunkt. Und der sei nicht jetzt. So lautet die offizielle Position - ein diplomatisch verpacktes Nein.

Die ELN ist da schon direkter. Felipe Torres und Francisco Gal‡n, zwei in Medell'n inhaftierte Kommandanten, die als Sprecher der Rebellenorganisation fungieren, erklärten: "Wir wollen mit Mauss nichts mehr zu tun haben." Ob das dem Agenten zu Ohren gekommen ist? Im Guerillacamp war er bisher jedenfalls noch nicht.

1997 veröffentlichte Schumacher zusammen mit dem Journalisten Ignacio G-mez den Report "Der Agent und sein Minister. Mauss und Schmidbauer in geheimer Mission" (Elefanten Press, Berlin).

Korrigiert am 7.6.2002