Zeit zum Aufwachen!

Statt wehleidig Nabelschau zu betreiben, sollte die etablierte Linke besser die neue internationale Solidaritätsbewegung unterstützen.

Eigentlich merkwürdig: Da bildet sich ein weltweites Aktionsbündnis, das sich auf die Fahnen geschrieben hat, durch zivilen Ungehorsam die Vorherrschaft des Kapitals auf der Welt zu bekämpfen. Ein Bündnis, das nicht auf Lobby-Arbeit setzt, sondern auf klaren Konfrontationskurs zu sämtlichen "Handlanger-Institutionen" geht. Ein Bündnis, das strukturell nicht autoritär aufgebaut ist, sondern auf Dezentralisation und Autonomie basiert, das breiten Rückhalt in der Bevölkerung in der sogenannten Dritten Welt hat, das von unten das System durchbrechen will.

Die People Global Action (PGA), im Februar dieses Jahres in Genf als Bündnis gegen "Frei"-Handel und die Welthandelsorganisation WTO gegründet, ist ein Zusammenschluß von zahlreichen Initiativen und Bewegungen vor allem aus den südlichen Ländern; unter anderem sind die brasilianische Landlosenbewegung MST, die mexikanischen Zapatisten und die nigerianische Ogoni-Bewegung daran beteiligt. Die PGA stellt eine Plattform für alle Basisgruppen dar, die ihre Wut über die verheerenden Auswirkungen der Globalisierung äußern wollen und sich gegen die Vorherrschaft des Kapitals und die einseitige politische Ausrichtung nach wirtschaftlichen Interessen auflehnen. Ihr Manifest verbindet die Vision von einer Welt, in der Menschen selbstbestimmt und frei leben, mit einem konkreten Aufruf zum Handeln, zu zivilem Ungehorsam und konstruktiven Aktionen.

Doch anstatt in wilde Euphorie auszubrechen, verharrt die etablierte Linke in Deutschland in skeptischer Distanz und kühler Reserviertheit, das "Aufflackern" eines Anti-MAI-Aktivismus wird keineswegs als begrüßenswert beurteilt. Die Klage, mensch befinde sich seit Anfang der neunziger Jahre in einer Krise, erinnert an eine wehleidige Nabelschau, bei der übersehen wird, was sich international wirklich bewegt.

Natürlich ist die Reserviertheit nicht völlig ohne Gründe. Die im Rahmen des Bündnisses veranstaltete Kampagne gegen das MAI gab Anlaß zur Kritik: nicht klar genug hatten manche MAI-Gruppen ihre Position zum Nationalstaat dargelegt, was nicht nur zu Mißverständnissen, sondern auch zu unliebsamer Resonanz im rechten Lager führte. Ein Poster, auf dem ein böser Kapitalist auf der Erdkugel ritt, weckte schlummernde Nazi-Assoziationen und trug ein übriges zur Diskreditierung der Aktivisten und Aktivistinnen bei. Grund genug, der ganzen MAI-Kampagne und dem Bündnis insgesamt die kalte Schulter zu zeigen? Wir denken: Nein. Hier schießt die teilweise durchaus berechtigte Kritik übers Ziel hinaus.

So wird moniert, daß der von der Kampagne angeprangerte "Souveränitätsverlust des Nationalstaates" nichts sei, worüber die Linke eine Träne vergießen müßte; daß eine Selbstentmachtung der Politik doch sehr begrüßenswert sei, da der bürgerliche Nationalstaat per Definition den Interessen des Kapitals diene. Mag sein, aber ein bißchen differenzierter könnte mensch die Sache schon sehen. Selbstverständlich geht es nicht um die Stärkung der Nationalstaaten, sondern um die basisdemokratische Selbstbestimmung.

Es macht sehr wohl einen Unterschied, ob die Entscheidungen in der Chefetage eines Konzerns getroffen werden - oder in einem Parlament, das immerhin von der Bevölkerung abgewählt werden kann, wenn es gelingt, sie von der Notwendigkeit eines solchen Tuns zu überzeugen. Im ersten Fall sind die Entscheidungen legitimerweise ausschließlich der Gewinnmaximierung verpflichtet; im zweiten Fall kann mensch die Entscheidungsträger auf so etwas wie Volkssouveränität festnageln. Derzeit wohl eher eine theoretische Möglichkeit, aber was, wenn in Berlin mal eine Million Menschen auf die Straße gehen oder beispielsweise die PDS den Kanzler stellen würde? Würde sich auch dadurch nichts Wesentliches ändern? Ist es nicht möglich, trotz der Bezugnahme auf nationale Institutionen das internationalistische Ziel im Auge zu behalten? Kann eine Revolution nur auf einen Schlag stattfinden?

Sicher, nicht alles, was sich links nennt, ist unterstützenswert. Aber gerade durch Zersplitterung und Grabenkämpfe schwächen wir uns selber. Die People Global Action ist eine großartige Gelegenheit, eine internationale Allianz gegen Ausbeutung und Unterdrückung zu schmieden. Vielleicht gerade, weil sie sich nicht als zentraler Dachverband, sondern eher als Koordinationsbündnis von Gruppen und Menschen versteht, die bestimmte Grundsätze teilen. Diese Chance nicht ergriffen zu haben, sollte sich die Linke nicht nachsagen lassen.