Die Blaue Lagune trocknet aus

In Österreich steckt Jörg Haiders FPÖ nach Finanz-Affären in der tiefsten Krise seit ihrem Bestehen

Vom Urlaubsparadies "Blaue Lagune" auf Mauritius nonstop ins Gefängnis. Am vergangenen Montag gegen sechs Uhr früh war die Karriere des ehemaligen FPÖ-Landesobmanns von Niederösterreich, Bernhard Gratzer, erst einmal beendet. Nachdem Flug MK 028 der Air Mauritius am Wiener Flughafen gelandet war, nahmen Beamte der Wiener Polizei Bernhard Gratzer fest. Gegen den Politiker war ein Haftbefehl ausgestellt worden. Der Vorwurf der Wiener Staatsanwaltschaft: Untreue in mehreren Fällen.

Die spektakuläre Verhaftung Gratzers am Rollfeld ist der vorläufige Höhepunkt eines Skandals, der die Freiheitliche Partei des österreichischen Rechtsaußen Jörg Haider an den Rand des politischen Ruins treibt.

Begonnen hatte alles mit dem plötzlich ausgebrochenen Reisefieber des FPÖ-Nationalrats-Abgeordneten Peter Rosenstingl vor knapp fünf Wochen. Der Parlaments-Hinterbänkler und Fraktions-Kassierer hatte sich gemeinsam mit seiner Freundin ins sonnige Brasilien abgesetzt, nachdem seine Finanzspekulationen schiefgegangen waren. Schon seit Jahren ging Rosenstingl einem zutiefst alchimistischen Treiben nach. Gegenüber "blauen" Parteifreunden gab er vor, Wege gefunden zu haben, um aus viel Geld noch mehr Geld machen zu können. Er betätigte sich - zuerst glückvoll, dann glücklos - als Finanzjongleur. Um die zunehmend desaströser werdende eigene Finanzsituation zu bewältigen und aufgelaufene Schulden zu begleichen, lieh er sich Geld aus Parteikassen und legte es bei dubiosen Off-Shore-Investmentfirmen an. Doch die "Loch-auf-Loch-zu"-Taktik ging schief, übrig blieb ein sattes Finanzloch bei Banken und in der FPÖ-Parteikasse. Noch gibt es keine endgültigen Schadensschätzungen, doch kann angenommen werden, daß Rosenstingl rund 200 Millionen Schilling (etwa 30 Millionen Mark) in den Sand gesetzt hat.

Anfangs versuchte Jörg Haider, den Fall zu isolieren. Das sei kein FPÖ-Skandal, sondern ein Rosenstingl-Skandal, hieß es. Doch weit gefehlt. Immer mehr Spitzenfunktionäre seiner Partei verwickelten sich in die Geschäfte des Peter Rosenstingl. Auch Bernhard Gratzer soll Provisionen dafür erhalten haben, bei Banken Kredite beschafft oder Freunde von den wundersamen Talenten Rosenstingls überzeugt zu haben. Erwischt hat es aber auch Gerold Dautzenberg, Landtagsabgeordneter des Liberalen Forums in Niederösterreich. Der überließ Gratzer nach dessen flehentlichen Bitten und großer Überredungspose rund fünf Millionen Schilling (rund 750 000 Mark) zur Anlage nach Gutdünken. Das Geld ward nicht mehr gesehen.

Auch trotz der Verstrickung von mehreren seiner niederösterreichischen Statthalter setzte Haider weiter auf bewährtes und liebgewonnenes Krisenmanagement: Er selbst habe nichts gewußt, die "schwarzen Schafe" seien aus der Partei ausgeschlossen worden und überhaupt habe die FPÖ nichts damit zu tun. Daß das nicht stimmen konnte, ahnten viele bereits zu Beginn der Affäre, da gerade in einer Führerpartei wie der FPÖ kaum etwas ohne Wissen des Chefs über die Bühne geht. Und daß es nicht simmt, belegte nur wenige Tage später ein Brief an Haider, der bereits im März geschrieben worden war. Darin beklagte eine Firma, daß der Mandatsträger Rosenstingl mit mehr als 300 000 Schilling (43 000 Mark) bei ihr in der Kreide stehe.

Das Krisenmanagement der FPÖ versagte vollends. Anfangs wollte Haider den Brief "nie erhalten" haben, in der Parteizentrale habe man "nullo" Ahnung davon. Da sich diese Version nicht lange aufrechterhalten ließ, verstieg sich Haider zu einer neuen Variante: Der Brief sei zwar angekommen, aber von irgendeinem Sekretär verschlampt worden.

Die nächste Hiobsbotschaft ließ nicht lange auf sich warten. Plötzlich erinnerte sich eine ehemalige Parteifunktionärin, daß die Finanztransaktionen Rosenstingls bereits im November Thema einer Parteisitzung gewesen seien, an der auch Haider teilgenommen habe.

Auch die Neubesetzungen der freigewordenen FPÖ-Posten erwiesen sich als Katastrophen. Als Nachfolger Gratzers wurde Hans-Jörg Schimanek bestellt. Der Vater des wegen "Wiederbetätigung" verurteilten Neonazis Hans-Jörg Schimanek (jun.) gilt zwar als schwerfälliger Polit-Elefant, doch schien es, als habe er zumindest eine weiße Weste. Doch auch hier weit gefehlt: Österreichs Medien nennen ihn seit Wochen einen "Spesenritter", der aus seinem Dienstwagen auch das letzte herauszuholen versucht habe. Ermittlungen der Staatsanwaltschaft werden für die nächsten Wochen erwartet.

Die politischen Grundfesten der "Blauen" sind erschüttert. Aus der selbsternannten Partei der "Tüchtigen und Anständigen" wurde eine Partei der Flüchtigen und Abgängigen. Auch ist Haiders öffentliche Brillanz vergangener Tage dahin. Er schlägt um sich und merkt, wie er und seine FPÖ untergehen. Denn am schlimmsten trifft es ihn, daß sich die Ausweitung der Rosenstingl-Affäre in Umfragen bemerkbar macht. Die Freiheitlichen sind jüngsten Auszählungen zufolge um rund sechs Prozent auf knapp unter 20 Prozent der Wählerstimmen gefallen, was ungefähr ihrem Ergebnis von 1990 entspricht. Die Legende von der "sauberen FPÖ" zieht nicht mehr, die Partei ist somit ins gewohnt korrupte und schwerfällige österreichische Polit-Establishment aufgestiegen.

Vorigen Freitag wurde nun Millionen-Jongleur Peter Rosenstingl in Brasilien gefaßt. Was die Justiz freut, könnte für die FPÖ unangenehm werden. Denn Rosenstingl, soviel hat er schon angedeutet, ist nicht bereit, die ganze Schuld auf sich zu nehmen und könnte weitere FPÖ-Funktionäre belasten.

Für Haider wäre damit die Schmerzgrenze erreicht: Verunsichert und von seinen Getreuen verlassen, sieht er sein "Lebenswerk" in einem Strudel von Affären untergehen und denkt mittlerweile öffentlich sogar an Rücktritt. Mit einem Rücktritt Haiders wäre das Thema FPÖ in Österreich wohl erledigt.