Das Wahlkampfthema mischt sich ein

Quer durch die Bundesrepublik bereiten sich Flüchtlinge, MigrantInnen und deutsche AntirassistInnen auf einen sechswöchigen Protestmarsch vor
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"Okay, could somebody translate it into Turkish?" Im kargen Raum des Bremer Internationalen Menschenrechtsvereins herrscht Sprachenvielfalt - in Englisch, Türkisch, Französisch und Deutsch wird die Diskussion geführt. Nur die Disziplin aller Anwesenden, die geduldig jede Übersetzung abwarten und sich in ihren Beiträgen kurz fassen, verhindert babylonische Verwirrung. Der Stil der Auseinandersetzung ist ihrem internationalem Thema angemessen: Es geht um ein ehrgeiziges Projekt von Menschen aus verschiedensten Ländern.

Ein Protestzug, bestehend aus Flüchtlingen, MigrantInnen und antirassistisch aktiven Deutschen soll zur schärfsten Wahlkampfzeit sechs Wochen lang Deutschland durchqueren und damit den Rahmen für eine Reihe von weiteren Aktionen in den einzelnen Städten bilden. Dabei wird von den Flüchtlingen auch bewußt gegen die Residenzpflicht verstoßen. "Wir wollen uns sowohl regional wie auch bundesweit während des Wahlkampfs kräftig in die Politik einmischen", heißt es in dem in neun Sprachen veröffentlichten Aufruf. Und: "Es ist klar, daß - egal, wie die Wahlen ausgehen werden - man uns unsere Rechte nehmen wird und weitere Zehntausende gewaltsam abgeschoben werden; noch weit mehr werden so eingeschüchtert werden, daß sie Deutschland 'freiwillig' verlassen werden. Wir werden natürlich kein Stimmrecht und damit keinen direkten Einfluß auf die Wahlen haben - obwohl wir ihr Thema sein werden."

Die "Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen" entstand im November 1997 als Idee von Mitgliedern des Menschenrechtsvereins, wurde in den folgenden Monaten in antirassistischen Kreisen diskutiert und dann auf Veranstaltungen in ganz Deutschland vorgestellt. Nun ist das Projekt, das von der "Caravane des sans-papiers" in Frankreich und ähnlichen Protestmärschen in England inspiriert wurde, in seine heiße Phase getreten. Über 25 Städte, von Lübeck bis München, von Dresden bis Köln, haben den Bremer Vorschlag aufgegriffen und bereiten sich vor, um die Demonstrationslawine ins Rollen zu bringen. "Wichtig ist uns, daß wir uns auf den Widerstand der Betroffenen beziehen", erklärt ein Vertreter des Menschenrechtsvereins. "Deswegen wird der Empfang der Karawane nicht bei jeder Station gleich sein, sondern in jeder Stadt sollen die Themen angesprochen und die Orte besucht werden, an denen sich antirassistische Kämpfe entzündet haben. Wo sich Widerstand gegen das Asylbewerberleistungsgesetz geregt hat, werden wir das thematisieren. In Hamburg wird das beispielsweise die Bedrohung von Afrikanern durch die Polizei sein, während in Köln der große Hungerstreik der kurdischen Familien sicherlich ein wichtiges Thema sein wird. In Massenlagern wollen wir die Unterbringungspolitik angreifen, und auch am Abschiebeknast in Büren wird haltgemacht. Das Projekt steht und fällt daher mit den Aktionen, die die einzelnen Städte vorbereiten."

Zwei Schwächen, an denen die antirassistische Bewegung in Deutschland bisher gelitten hat, will die "Karawane" abbauen helfen. So agierten die Gruppen bisher meist ausschließlich regional und ihr Protest blieb angesichts von Maßnahmen und Entscheidungen auf Bundesebene, die bekämpft werden sollten, ein rein symbolischer. Ähnlich wie das Netzwerk "Kein Mensch ist illegal", das eine wichtige Rolle bei ihrer Planung und Durchführung spielt, soll jetzt die "Karawane" dazu beitragen, diesen Widerstand zu bündeln. Wenn die Aktionen das erfüllen, was zumindest die Zahlen versprechen - über 100 beteiligte Gruppen in 26 Städten -, könnte die antirassistische Bewegung vielleicht hinterher mit Verblüffung feststellen, daß sie stärker ist, als sie selbst bisher glaubte.

Der zweite Schwachpunkt antirassistischer Arbeit rührt daher, daß zwar viele Aktivitäten für Flüchtlinge unternommen wurden, aber nur wenige von diesen getragen wurden. Dadurch bekamen viele Proteste statt einen offensiven, fordernden Charakter den ungewollten Beigeschmack von paternalistischer Fürsorge. In dieser Hinsicht hat die "Karawane" bereits während der Vorbereitung ihren ersten Erfolg erzielt: Flüchtlinge und MigrantInnen aus den verschiedensten Ländern arbeiten an dem Projekt mit. Seine Anziehungskraft auf Nichtdeutsche beweist das Beispiel Berlin: Klagten dort die Aktiven zu Beginn noch darüber, daß fast nur Deutsche auf den Treffen seien, so sind mittlerweile von den neun an der Vorbereitung beteiligten Gruppen sechs MigrantInnen- beziehungsweise Flüchtlingsorganisationen. Gerade der geplante zweitägige Aufenthalt in Berlin verspricht bereits jetzt, ein Höhepunkt der Protesttour zu werden.

Neben den diversen Einzelpersonen haben sich - auch das ist neu für deutsche Verhältnisse - große Gruppen wie Sokoni (Dachverband der AfrikanerInnen in Hamburg), und bundesweite Organisationen wie der Rat der iranischen Flüchtlinge, der kurdische Yek Kom-Verband und die World Tamil Movement aktiv in die Mitarbeit eingeschaltet. Delegierte aus Großbritannien werden die Tour auf einem Teil der Strecke begleiten, und ein Treffen mit den französischen Sans-papiers in Strasbourg ist ebenfalls anberaumt. Dieses neue Maß an unterschiedlicher Beteiligung dürfte auch daran liegen, daß sich die antirassistischen deutschen Gruppen verstärkt genau darum bemüht haben. So hat in Göttingen das Vorbereitungsplenum nach Startschwierigkeiten seinen Treffpunkt direkt in ein Flüchtlingsheim verlegt und damit Menschen anziehen können, die nicht ohne weiteres in einen "Szene"-Treffpunkt gekommen wären.

Ein anderer wesentlicher Grund für diese Beteiligung ist im Internationalen Menschenrechtsverein zu suchen, dessen Zusammensetzung und Geschichte es ihm erlauben, glaubwürdig in der ersten Person Plural über die Lebensumstände von Flüchtlingen und MigrantInnen zu sprechen. Hervorgegangen aus einer Reihe von internationalen Kämpfen im Jahr 1995, setzt sich der Verein auch heute noch aus einer Mischung von Deutschen und AusländerInnen mit verschiedensten Aufenthaltstiteln zusammen. Einige seiner AktivistInnen waren schon akut von Abschiebung bedroht gewesen und konnten nur durch Kampagnen der Gruppe davor bewahrt werden.

Doch trotz der Erfolge, auf die man bereits jetzt zurückblicken kann, bleiben eine Menge offener Fragen. So ist beispielsweise die Finanzierung bislang noch ungesichert. Besonders problematisch aber ist die Einbeziehung von MigrantInnen ohne Flüchtlingsstatus, von denen sich wesentlich weniger an der Karawane beteiligen werden als Flüchtlinge. Denn dies macht sich natürlich auch in den Inhalten und der Außendarstellung bemerkbar. Flüchtlinge waren in der Vergangenheit widerständiger als andere MigrantInnengruppen, weil sie schärfer vom staatlichen Rassismus ins Visier genommen wurden. Doch mittlerweile, insbesondere im Wahlkampf, verschieben sich auch die verbalen Angriffe. "Kriminelle Ausländer" und "nicht rentable" MigrantInnen der zweiten Generation werden als neues Feindbild etabliert.

Darüber und über andere praktische und politische Schwierigkeiten wird zur Zeit in allerlei Sprachen auf den verschiedenen Vorbereitungsplena in den Städten diskutiert. Und während noch offen ist, wie im Detail das Ergebnis dieses Prozesses aussehen wird, steht mindestens fest, daß die Karawane im August und September durch das Wahlkampfgebiet Deutschland ziehen wird, ohne Stimmrecht zwar, dafür aber neunsprachig.