Heiße Informationsflecken

In Frankreich sollen die Atomtransporte wieder aufgenommen werden. Deutsche Behörden müssen nach und nach zugeben, daß sie von kontaminierten Transporten wußten

Täglich ein paar neue Informationen im Atomskandal: Mycle Schneider, Träger des alternativen Nobelpreises und Forscher am Pariser Energie-Institut Wise erklärte in der vergangenen Woche in Berlin, daß die französische Atomaufsichtsbehörde DSIN schon seit Herbst 1997 über die kontaminierten Atomtransporte beriet, aber erst am 23. April dieses Jahres, als Schneider von der DSIN Aufklärung forderte, mit ihrem Wissen an die Öffentlichkeit ging. Ziel war, dem atomkritischen Wise-Institut zuvorzukommen, um nicht als verheimlichende Behörde dazustehen.

Zuvor noch hatte sich die DSIN gemeinsam mit dem Wiederaufarbeitungskonzern Cogema und dem französischen Stromversorger Electricité de France (EDF) auf eine gemeinsame Sprachregelung geeinigt. "Verschmutzungen" hießen danach radioaktiv strahlenden Flecken - also ein bißchen putzen und alles okay.

In Deutschland funktioniert das Krisenmanagment weniger gut. So reagierte das Bundesumweltministerium zunächst unsicher: Auf den Vorwurf der taz von vergangener Woche, die Internationale Atombehörde IAEO habe das Problem für alle Atomaufsichtsbehörden unmißverständlich seit Mitte der achtziger Jahre dargelegt, logen Merkels Ministerialbeamte.

Der IAEO-Report handle nur von einem japanischen Transport aus den Siebzigern, darüber hinaus gebe es nur theoretische Überlegungen zu Kontaminationen. Dann wollten Merkels Beamte zumindest von den "Hot Spots", also den extremen Grenzwertüberschreitungen nichts gewußt haben. Auch das war eine schlechte Ausrede, weil auch geringe Grenzwertüberschreitungen nicht zulässig sind. Schließlich einigten sich die Behörden auf die Sprachregelung, von "konkreten Grenzwertüberschreitungen" nichts gewußt zu haben.

Die jahrelange rechtwidrige Handlungsfreiheit der Atomwirtschaft in Sachen Transporte hat einen Grund: Hot-Spot-Ministerin Angela Merkel, von Anfang an konsequente Fürsprecherin der Atomlobby. "Auch wer sich eine Zukunft ohne Kernenergie wünscht, darf seinen Kindern den Weg zu einer Energieversorgung mit Kernenergie nicht verbauen", formulierte sie im Winter 1997 vor der versammelten Atomgemeinde. "Die Risiken der Kernenergienutzung sind beherrschbar, ebenso wie die Entsorgungsprobleme" schmeichelte sie internationalen Atomwissenschaftlern, AKW-Betreibern und Behördenvertreter in München.

Und Gastgeber Adolf Birkhofer, Chef der Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS), pflichtete bei: "Leider wird die Eigenverantwortung der Betreiber von Kernkraftwerken in Teilen unseres Landes seit einiger Zeit durch ausstiegsorientierten Gesetzesvollzug ausgehöhlt", kritisierte er die Gegner der Atomenergienutzung. Wen wundert es noch, daß ausgerechnet Herr Birkhofer von Frau Merkel beauftragt wird, den Atomskandal aufzuklären - jetzt, nachdem die Betreiber über 200 Grenzwertüberschreitungen meldeten.

Die "Eigenverantwortlichkeit der Betreiber", die zu jahrzehntelanger Grenzwertüberschreitung beigetragen hat, wird der GRS-Chef Birkhofer darum kaum in Frage stellen. Vielmehr ist Business as usual angesagt, nachdem deutsche AKW-Betreiber eine eigenverantwortliche "Sonderkommission" gegründet haben und die französische Strahlenschutzbehörde OPRI den Betreibern der Dekontaminationsanlage in Valognes eine Unbedenklichkeitsbescheinigung ausstellten. Ensprechend will die französische EDF die Transporte jetzt wieder aufnehmen.

Und Frau Merkel behauptet weiter, sie und die Atomaufsicht der Bundesrepublik hätten von nichts gewußt. Da zählt nicht, daß bauliche Veränderungen an Atombehältern, die wegen jahrelanger Grenzwertüberschreitungen vorgenommen wurden, nur mit Genehmigung ihrer Behörden möglich waren. Auch eine "Ständige Arbeitsgruppe für den sicheren Transport radioaktiver Stoffe in der Europäischen Union", die mit Millionen Mark von der EU-Kommission ausgestattet ist, soll nichts gewußt haben, obwohl ein Mitglied der Arbeitsgruppe erklärte, die Grenzwertüberschreitungen seien bekannt gewesen, man habe das Problem vernachlässigt.

Wäre nicht Wahlkampf - so ist zu vermuten - hätte Merkel sich von ihrem Ministerposten schon verabschieden müssen. Die AKW-Betreiber brauchen ihre gefälligen Beamten in den Ministerien und spielen mit. Aber warum wurde dem Pariser Wissenschaftler Mycle Schneider vom Wise-Institut überhaupt das alles auslösende Schriftstück über Waggon- und Behälterkontaminationen zugespielt? Es ist denkbar, daß diese Aktion auf internationale Verstimmungen zwischen der deutschen, französischen und britischen Atomindustrie zurückgeht, weil das Gerangel um die besten Geschäftsanteile beim geplanten europäischen Druckwasserreaktor, dem EPR, in vollem Gange ist.

Klar dagegen ist, daß der Atomskandal auf Kostenminimierung zurückzuführen ist. Rund 60 000 Mark soll eine einzelne Dekontamination bisher kosten. Technische Vorschläge, wie Grenzwertüberschreitungen hätten vermieden werden können, lagen vor. Eine geringere Kontaminationen der Behälter und der Waggons hätten aber vor allem wegen der längeren Verweilzeiten der Atombehälter viele Millionen Mark zusätzlich gekostet. Bei mehr als 1 600 deutschen Castortransporten seit Mitte der Siebziger ein echter Kostenfaktor. Mycle Schneider geht davon aus, daß die Betreiber auch wußten, wo die Behälter besonders kontaminiert waren und deshalb die vorgeschriebenen Wischproben einfach an anderen Stellen nahmen, statt teure Dekontaminationsprogramme umzusetzen.

Und gespart wurde nicht nur beim Reinigungsvorgang selbst. So bleibt auch bei der Reinigung der Atombehälter kontaminiertes Wasser zurück. Wohin damit? In Valognes, erklärte Mycle Schneider, werde das Wasser in Verdampferbecken gepumpt, um nach der Trocknung die radioaktiven Reste als Atommüll zu lagern. Der Überlauf dieser Becken allerdings führe hinter die Absperrung der Anlage - in einen Bach, die wahrlich billigste Variante.