Mäuse gegen Krebse

In der Schweiz dürfen Gene von Tieren und Pflanzen weiterhin patentiert werden. Fundamentalistische Christen und Linksradikale blieben erfolglos gegen ein Standort-Bündnis

Rosa, ganz ohne störendes Fell, liegt die Maus in der Hand des Forschers. Ein Krebsgeschwür so groß wie eine Fingerkuppe schwillt aus ihrem winzigen Bauch. Die Maus ist aber nicht krank. Sie wurde gentechnisch hergestellt, um Krebsgeschwüre zu produzieren. Für die Pharmaindustrie sind diese transgenen Mäuse Produkte, die wie Staubsauger, Küchenmaschinen oder Radios patentiert werden können. Auch Fruchtfliegen mit 14 Augen oder das geklonte Schaf Dolly gehören zu den Produkten der Gen-Technik.

Die Schweizerische Arbeitsgruppe Gentechnologie (SAG) - eine Dachorganisation aus etwa 25 Verbänden aus dem Tier- und Umweltschutz, Entwicklungspolitik sowie Bauernorganisationen - wollte dies durch ein Volksbegehren "Initiative zum Schutz von Leben und Umwelt vor Genmanipulation" verhindern. Ende Oktober 1993 präsentierte sie die dazu notwendigen 100 000 Unterschriften, und nach fast fünf Jahren war es am 7. Juni soweit. Die Schweizer Bürger stimmten allerdings zu gut zwei Dritteln gegen die Gen-Schutz-Initiative. In keinem der 26 Kantone des Landes erreichten sie eine Mehrheit - eine "überraschend deutliche und klare Abfuhr", wie die Neue Zürcher Zeitung anmerkte.

Drei zentrale Punkte beinhaltet die Initiative: Keine Patente auf Tiere und Pflanzen; außerdem ein Verbot der Freisetzung von genmanipulierten Lebewesen; und drittens keine Genmanipulation an Tieren. Gentechnik im humanen Bereich wurde aber ausgeklammert, weil

es entsprechende Regelungen in der Schweiz bereits gibt. So existiere ein Verbot der Embryonenforschung, auch Eingriffe in die Fortpflanzungsmedizin seien geregelt, etwa mit dem Verbot der Leihmutterschaft, erläuterte Daniel Ammann, Geschäftsführer der SAG und habilitierter Zellbiologe. Die Eingriffe bei Tieren, Pflanzen und Mikroorganismen seien dagegen nur sehr allgemein geregelt.

Auch bei Annahme der Initiative wäre die Einfuhr von gentechnisch veränderten Lebensmitteln allerdings weiterhin erlaubt. Gentechnisch hergestellte Medikamente, Gentherapien und Gendiagnosen wären ohne Einschränkung einsetzbar geblieben. "Heute", so gibt der Kampagnenleiter Herbert Karch von der SAG zu, "würde man den Text sicher anders formulieren."

Wichtigster SAG-Gegenspieler war eine seit Jahrzehnten bestehende Interessenvertretung von Chemiekonzernen wie La Roche oder die durch eine Fusion von Ciba Geigy und Sandoz entstandene Novartis - die Firma Interpharma. Umgerechnet sollen sie und andere Verbände zwischen 35 und 70 Millionen Mark im Vorfeld des Referendums ausgegeben haben. "Ein Ja für diese Verbots-Initiative", begründete Interpharma-Generalsekretär Tomas Cueni gegenüber Jungle World den Aufwand, "würde Patienten die Hoffnung nehmen, daß sich Lösungen für Krankheiten wie Krebs, Alzheimer und Parkinson finden ließen". Auch die Forschung an den Hochschulen und "ein Drittel der Pharma-Forschung in der Schweiz" sah Cueni bedroht. "Für den Forschungs- und Denkplatz Schweiz wäre das ein Kahlschlag auf einem Gebiet, in dem wir weltweit führend sind."

Ähnlich argumentierte auch der Präsident der Interessengemeinschaft Innovationszentrum Nordwestschweiz, Ernst Bürgisser: "Ohne die Patentierbarkeit von transgenen Tieren oder Mikroorganismen, ist eine Forschung in diesem Bereich gar nicht mehr möglich". Dabei geht es bei den Patenten auf transgene Pflanzen und Tiere um die Alleinverwertungsrechte für die nächsten 20 Jahre und damit um viel Geld.

Tatsächlich wird die eigentliche Forschung durch Patente aber behindert. So arbeiteten ein britisches und ein US-amerikanisches Forschungsteam gemeinsam an der Entschlüsselung des Brustkrebs-Gens. Kaum, daß die US-Forscher erfolgreich waren, ließen sie sich das Gen patentieren. Die Briten waren damit aus dem Rennen und konnten die Entwicklung eines Diagnoseverfahrens nicht mehr weiterführen, denn durch die hohen Patentgebühren war für das Forscherteam die Fortsetzung ihrer Arbeit nicht mehr erschwinglich.

Dennoch benutzte die Pharmaindustrie den medizinischen Bereich als emotionales Thema vor dem Referendum: "Können Sie verantworten, daß wir den Kampf gegen Krebs aufgeben?" hieß es auf Plakaten mit dem Bild einer fast kahlen, erkrankten Frau. Eine Studie der Akademie für Technikfolgeabschätzung in Baden-Württemberg zeigte im Mai, daß in der Medizin 74 Prozent der Befragten der Gentechnik positiv gegenüberstehen, während fast drei Viertel der Bevölkerung genmanipulierte Nahrungsmittel ablehnt. Ähnliche Ergebnisse erbrachten vergleichbare Studien für die Schweiz.

Die bekannte Schweizer Genschützerin Floriane Koechlin hielt dagegen: Der Gen-Schutz sei eine Chance für die Schweiz, alternative Technologien zu entwickeln. Schließlich sei auch in der Atomtechnologie jahrelang nur auf eine Karte gesetzt worden, "es brauchte erst den Widerstand gegen AKWs und Tschernobyl, damit alles nüchterner wurde und alternative Energiequellen überhaupt eine Chance bekamen".

Der Bauer Armin Capaul, der sich im nordwestlich von Bern gelegenen Biel seit Jahren für Gen-Schutz stark macht, fürchtet eine Allmacht von Unternehmen: "Wenn da Konzerne plötzlich das Saatgutmonopol haben und wir für die Samen Lizenz zahlen müssen, dann wird es gefährlich." Wenn das Saatgut dann so behandelt werde, daß es nur ein Jahr lang keimfähig wäre, befürchtet Capaul, "dann wird der Krieg über die Nahrung geführt". In diesem Punkt trifft sich der Schweizer Bauer mit seinen Kollegen aus der ganzen Welt. Vandana Shiva, indische Trägerin des alternativen Nobelpreises, gründete im November letzten Jahres ein internationales Unterstützungskomitee für den Schweizer Genschutz. Es wird weltweit von rund 20 Organisationen getragen.

Einige Schweizer Grüne wollten die Initiative hingegen nicht unterstützen. "Das Verbot transgener Tiere", sagte Dieter Bürgi, Geschäftsführer der Gesellschaft für Umweltschutz, "geht uns zu weit." Auch aus der Sozialistischen Partei, die sich schon früh den Gen-Schützern angeschlossen hatte, scherten Einzelpersonen aus. Der Ständerat Giano-Reto Plattner beispielsweise, der mit der "fundamentalistisch und unbrauchbaren Initiative" nichts zu tun haben wollte und seine Genossen als "Dogmatiker und Populisten" bezeichnete. Plattner organisierte in den letzten Tagen vor der Abstimmung über 70 Politiker und Gewerkschafter in einem Komitee gegen die Initiative. Viele Gewerkschafter sperrten sich mit Standort- und Arbeitsplatz-Argumenten gegen die Initiative, einzig der christlich-nationale Gewerkschaftsbund befürwortete geschlossen den Genschutz.

Insbesondere die Landbevölkerung war im Vorfeld der Abstimmung heiß umworben. Denn in den Städten, vor allem in der Chemiestadt Basel ist die Basis für die Gen-Schutz Inititiative eher dünn. Linksradikale an der Seite christlicher Fundamentalisten, die dem "lieben Gott nicht ins Handwerk pfuschen" wollen, warben um die Bauern; auf der anderen Seite machten Gewerkschafter mit ihren Tarifkontrahenten gemeinsame Sache. Bis zum Schluß gab es ein Gezerre um jene 25 Prozent, die laut Umfragen bis zum Abstimmungstag unentschlossen blieben. Als großer Gegensatz zeichnete sich beim Referendum ein Unterschied zwischen dem deutsch- und dem französischsprachigen Teil der Schweiz ab. In den westlichen Kantonen Wallis und Waadt votierte nicht mal jeder Sechste für die Initiative, während die Gen-Schützer im Kanton Bern sowie in der Ostschweiz - in Appenzell Außer-Rhoden und Graubünden - mit über 40 Prozent den höchsten Zuspruch verzeichneten.

Ein "schwarzer Tag für die Linke" (Neue Zürcher Zeitung) sei der 7. Juni in den Augen der Genschützer dennoch nicht. Trotz der Ablehnung der Initiative gilt z.B.die Kennzeichnung gentechnisch veränderter Lebensmittel längst als beschlossene Sache. Chemie- und Pharmaunternehmen sagten außerdem zu, für mögliche Schäden durch gentechnische Veränderungen zu haften; und die Regierung setzte eine Ethikkommission ein. Diese soll fortan über die Bewilligung von Gentech-Experimente entscheiden, auch die Genschützer besitzen darin Sitz und Stimme. Und für den Bauern Capaul war vor allem die Auseinandersetzung entscheidend: "Die Diskussion hat stattgefunden, das ist wichtig. Daß jeder mal selber darüber nachdenkt."