Vom Schmetterling zur Panzerraupe

Fischer am Ziel: Noch vor der Wahl kann der grüne Außenminister eine Militärintervention im Kosovo fordern

Mit Luftwaffenmanövern über Mazedonien und Albanien will die Nato den jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic in seinem Vorgehen gegen immer besser bewaffnete Kosovo-Albaner bremsen. Zu beobachten sein werden dabei auch vier Tornados der Bundesluftwaffe. Zudem beauftragten die 16 Außenminister bei ihrer Frühjahrstagung vergangene Woche die Nato-Stäbe, neben diesen Übungen Einsatzoptionen für das umkämpfte Kosovo selbst auszuarbeiten. Die Rede war von Luftschlägen gegen ausgewählte Ziele in Jugoslawien. Bundesverteidigungsminister Volker Rühe, der auf rasches militärisches Eingreifen in der serbischen Provinz gedrängt hatte, sprach in diesem Zusammenhang vor allem von der Ausschaltung der Luftverteidigung Jugoslawiens. Nach Nato-Schätzungen könnten für eine daneben nötige Sicherung der Kosovo-Grenzen 20 000 Soldaten erforderlich sein. Sehr zu beeindrucken scheinen derartige Drohungen Milosevic nicht. Der läßt - so Presseberichte - die Grenze zu Albanien erst einmal verminen.

Nicht zum ersten Mal stehen in dieser Region also alle Zeichen auf Sturm. Angelika Beer, Verteidigungsexpertin vom Bündnis 90 / Die Grünen, kritisierte, EU, Nato und Bundesregierung hätten sich "seit Jahren nicht ernsthaft um den Konflikt im Kosovo gekümmert". Chancen für eine friedliche Lösung seien dadurch vertan worden. Der Bundesregierung warf sie vor, daß es ihr lediglich um "Flüchtlingsabwehr im Wahljahr" gehe. Auch Ludger Volmer wandte sich gegen einen Militäreinsatz im Kosovo, da die Nato über ein Eingreifen ohne entsprechendes UN-Mandat nachdenke. Lösen könne der Westen das Problem nur, wenn er allen Balkan-Völkern eine europäische Perspektive gebe. So kennt man die Bündnisgrünen in Fragen friedenserzwingender Einsätze. Im Wahljahr und im Schatten dieses heraufziehenden Konflikts tut sich bei den Grünen allerdings auch anderes.

So sprachen sich die 57 Delegierten beim Länderrat der Bündnisgrünen am 7. Juni in Bad Godesberg in einer Resolution bei nur sieben Nein-Stimmen und vier Enthaltungen gegen den ersatzlosen Abzug der Sfor-Truppen aus Bosnien aus. Der Balkan-Einsatz sei "faktisch friedenserhaltend" und also mit den grünen Prinzipien vereinbar. In dem schon Mitte Mai gefaßten Beschluß des Parteivorstandes wird der Bonner Fraktion nun das Abstimmungsverhalten zur Verlängerung des Sfor-Mandats am 19. Juni im Bundestag ausdrücklich freigestellt. Dies sei "keineswegs eine Aufforderung zur Zustimmung zu einem Antrag der Bundesregierung". Natürlich nicht. Wäre anders entschieden worden, so hatte Grünen-Fraktionschef Joseph Fischer Anfang Mai gedroht, wäre er zurückgetreten.

Somit befürworten jetzt auch die Bündnisgrünen Nato-Aktionen in Krisengebieten. Eine spektakuläre Wende wie beim Benzin-Beschluß. Bei Begründungsversuchen windet man sich, um traditionelle und mögliche neue Wähler nicht zu verschrecken. So heißt es im Beschluß, daß man trotz grundsätzlicher Ablehnung einer deutschen Beteiligung an militärischen Kampfeinsätzen im Falle eines Abzugs der Sfor-Truppen aus Bosnien die Gefahr eines Wiederaufflammens des Krieges sehe. Ein solcher Abzug sei mit dem Eintreten der Grünen für eine aktive Friedens- und Menschenrechtspolitik nicht vereinbar. Dazu die Versicherung, daß sich die Partei bei einem Wahlsieg in einer rot-grünen Koalition dafür einsetzen würde, daß die Verantwortung für eine friedenserhaltende Präsenz zurück an die Uno gegeben wird.

Was bei diesem "kleinen Parteitag" alles mit Mühe unter der Decke gehalten wurde, machte der Delegierte Uwe Ness klar: "Das machen wir hier nur für die Öffentlichkeit." Der 24jährige pochte auf die Gültigkeit der Beschlüsse des Magdeburger Parteitags. Er verlangte einen Sonderparteitag oder eine Art Urabstimmung zu Bosnien. Ohne Erfolg. Die Basis, kritisierte Ness, sei in Godesberg nicht vertreten. Bundesvorstand, Fraktion und Landesvorsitzende könnten hier im Gegensatz zu Magdeburg frei walten. Ness: "Deren Mandate und ihre Zukunft kleben doch an der Bundestagswahl." Der 24jährige, der als Mitglied einer Arbeitsgemeinschaft eher zufällig nach Godesberg geraten war, meinte resigniert: "Ich bin sozusagen der letzte Mohikaner der Basis."

Kurz vor der Wahl hat der grüne Außenminister Joseph Fischer offenbar doch noch sein Ziel erreicht. Er und seine Partei sind in diesem Punkt nun kompatibel zu SPD, CDU und FDP. Fischers Schlappe auf dem Magdeburger Parteitag ist fast vergessen. Anfang März hatte sich dort noch eine knappe Mehrheit von 275 zu 274 Stimmen gegen ein Abrücken von der grundsätzlichen Ablehnung eines deutschen Engagements in Bosnien ausgesprochen. Die Mehrheit hielt den Bosnien-Einsatz damals für "friedenserzwingend" - nicht für "friedenserhaltend", was allein mit heutiger grüner Politik vereinbar gewesen wäre.

Auf dem frisch geschütteten Fundament kann sich Fischer nun als respektabler Außenminister anbieten. Nur einen Tag nach dem Votum des grünen Länderrates forderte er in Berlin vor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, die "Fehler von Bosnien" im Kosovo-Konflikt nicht zu wiederholen. Auch er habe einst zu den "Nicht-Interventionisten" gehört, räumte er in seinem Vortrag zur "Außenpolitik der Berliner Republik" ein. Im Kosovo aber dürfe man nicht erst dann handeln, wenn die Flüchtlingsströme zu einem innenpolitischen Problem der Nachbarn werden. Fischer bestand in Berlin zwar auf ein Mandat des UN-Sicherheitsrates für einen Einsatz, wie Verteidigungsminister Volker Rühe deutete er aber an, daß es Situationen geben könne, in denen gehandelt werden müsse, ohne daß ein UN-Mandat vorliege.

Die Bündnisgrünen haben seit dem Golfkrieg in Fragen militärischen Eingreifens von Nato oder auch Bundeswehr einen radikalen Schwenk vollzogen. Im Golfkrieg hielt der pazifistische Konsens noch, wonach Krieg kein Mittel der Politik sein darf. Im Oktober 1993 wurde diese Position bei einem Sonderparteitag in Bonn bestätigt. Bei dieser Diskussion zum Bosnieneinsatz erhielt ein Antrag Joseph Fischers, im Fall von Völkermord Militäreinsätze nach der UN-Charta zu befürworten, knapp 20 Prozent der Stimmen. Selbst Blauhelmeinsätze waren noch ein Tabu. Im Juni 1995 konnte der Länderrat beschließen, daß in Fällen wie in Bosnien-Herzegowina "nicht jeder Einsatz von Zwang und Gewalt" völlig ausgeschlossen werde. Linke Grüne wie Jürgen Trittin sahen in dieser Bosnien-Resolution bereits eine "umfassende Revision friedenspolitischer Positionen der Partei". Bei der Bundesversammlung im Dezember 1995 in Bremen hielten 37 Prozent der Delegierten Militäreinsätze unter Uno-Regie zur Beendigung von Konflikten für legitim. Im März dieses Jahres hatte sich in Magdeburg bereits die Hälfte der Delegierten für die Weiterführung des Militäreinsatzes in Bosnien ausgesprochen. Und die Metamorphose schreitet fort. Da erscheint der ritualisierte Streit, der wegen Trittins Auftritt gegen die Berliner Rekrutenvereidigung vergangene Woche parteiintern wieder ausgebrochen ist, wie folkloristisches Beiwerk auf dem Weg vom Schmetterling zur Panzerraupe.