Aus- und angepfiffen

Bei der WM stehen besonders die Schiedsrichter in der Kritik. Alternativen zu ihnen gibt es jedoch kaum

Als vor zehn Jahren die Belastungen von Fußball-Schiedsrichtern medizinisch untersucht wurden, da war das Ergebnis überraschend. Zu beschleunigtem Herzschlag, erhöhter Schweißabsonderung und anderen körperlichen Symptomen, mit denen sich Streß nachweisen läßt, kommt es nicht etwa dann, wenn eine Entscheidung zu Pfiffen bei den Fans führt oder im Stadion Haßgesänge auf den Referee angestimmt werden - die Situation, in der sich ein Schiedsrichter am meisten gestreßt, weil am hilflosesten, fühlt, tritt dann ein, wenn ein Spieler verletzt auf dem Boden liegt, Schmerzen hat und der Unparteiische nichts tun kann.

Vielleicht hat sich das jedoch in den letzten Jahren geändert, denn Fehlentscheidungen haben zunehmend nicht nur sportliche, sondern auch massive finanzielle Folgen - entsprechend aufgebracht sind die Reaktionen nicht nur bei den Supportern, sondern auch bei den Vereinsverantwortlichen. Ein nicht gegebener Elfmeter könnte in der Liga sogar über den Abstieg entscheiden, was aber meist nicht passiert, trotzdem sind nach jedem Spieltag erboste Kommentare über die Leistungen der Referees zu hören.

Bei der Fußball-Weltmeisterschaft gibt es nicht nur Fußball, sondern auch Schiedsrichter satt. Und daher natürlich auch einige ziemlich eklatante Fehlentscheidungen, wie den im letzten Vorrundenspiel der kamerunischen Mannschaft verweigerten Elfmeter, der nicht nur zum Ausscheiden des Teams führte, sondern zusätzlich zu rassistischen Krawallen in Kamerun. Marokko beschwerte sich offiziell über den mindestens fragwürdigen Strafstoß, der Norwegen 2:1 gegen Brasilien gewinnen ließ und die Marokkaner schon nach der Vorrunde nach Hause schickte. Für zusätzlichen Ärger sorgte eine Fifa-Anweisung, nach der bestimmte Fouls unbedingt mit Rot zu ahnden seien und in der der Weltverband härteres Durchgreifen von den Schiedsrichtern forderte - viele Platzverweise waren die Folge, von denen nicht alle wirklich berechtigt waren.

Teilnehmen ist für die meisten WM-Teilnehmer auf keinen Fall mehr alles, von den 16 in der ersten Runde ausgeschiedenen Mannschaften haben neun schon einen neuen Trainer, unter anderem traten Takeshi Okada (Japan), Hristo Bonev (Bulgarien), Xavier Clemente (Spanien) und Ali Selmi (Tunesien) unmittelbar nach der finalen Niederlage zurück. Schuld sollen in vielen Fällen die Schiedsrichter haben, deswegen wird nun wieder verstärkt überlegt, wie denn Fehlentscheidungen in Zukunft zu vermeiden seien.

Der ZDF-Moderator Wolf Poschmann forderte so in einem Gespräch mit dem deutschen Schiedsichter-Obmann, den Kreis der WM-Schiedsrichter auf diejenigen zu beschränken, deren Heimatländer sich für die Weltmeisterschaft qualifiziert haben, denn, so Poschmann, die seien Fußball auf hohem Niveau gewohnt. Große Begeisterung erntete er jedoch nicht, immerhin, so wurde ihm erklärt, stamme der bislang beste Referee aus Burkina Faso, während Europäer-Sein nicht unbedingt fehlerfreies Pfeifen garantiere.

Nun sind sich auch die Fußballverbände wohl des Problems bewußt, auch wenn sie kaum Lösungen anbieten können. Profi-Schiedsrichter einzuführen weigert man sich zwar nach wie vor, immerhin wurden die Referees für diese WM mit Signalgebern ausgerüstet. Die Linienrichter können damit den Schiedsrichter erreichen, was wohl schon eine Arbeitserleichterung bedeutet. Denn der Schiedsrichter muß nicht nur mehr rennen als die meisten Kicker - er hat schließlich immer auf Ballhöhe zu sein - sondern dabei auch noch aufpassen, daß seine Schützlinge sich in vermeintlich unbeobachteten Momenten nicht gegenseitig umtreten und zusätzlich darauf achten, ob seine Linienrichter mit dem Fähnchen wedeln.

Nachdem das Fernsehen einige Schiedsrichterentscheidungen dieser WM in Slow-Motion als falsch vorgeführt hatte, wurde dann wieder verstärkt die Einführung des Videobeweises gefordert. Der taugt jedoch auch nur bedingt. Zum einen kommt es immer wieder vor, daß selbst die Zeitlupenwiederholung kein eindeutiges Urteil zuläßt - bestes Beispiel: das Wembleytor, dessen Drin- oder Nicht-Drin-Sein seit Jahrzehnten immer mal wieder jemand letzten Endes erfolglos zu beweisen versucht. Zum anderen setzt der Videobeweis die Anwesenheit von Fernsehteams im Stadion voraus. In der Deutschen Eishockey Liga DEL besteht zwar schon seit einiger Zeit die Möglichkeit, strittige Situationen anhand von Fernsehbildern zu entscheiden, aber wenn ein Spiel nicht übertragen wird, dann muß man doch wieder allein auf den Referee vertrauen. Und die großen Vereine, die Quote garantieren, sind damit im Vorteil.

Das größte Problem aber dürfte darin liegen, daß die Fernsehleute unter Umständen weniger neutral sind als ein durchschnittlicher Schiedsrichter. In einem Champions League Spiel von Hertha BSC, gesponsert von der Ufa, übertragen auf RTL, dem Sender, an dem die Ufa beteiligt ist, könnte der Videobeweis für die Verantwortlichen beispielsweise zum wirklichen Problem werden. Das Spiel ist in der 90. Minute, es steht 0:0, ein Ergebnis, das Hertha zum Weiterkommen in die nächste Runde reichen würde. Ein Gegentor würde jedoch alles vermasseln, doch plötzlich fällt der Stürmer von Dnjepr Dnjepopetrowsk im Strafraum hin. Die Situation war unübersichtlich, das elfmeterreife Foul des Herthaspielers ist, so stellt der Fernseh-Aufnahmeleiter rasch fest, nur von einer einzigen Kamera eingefangen worden und noch nicht über den Sender gegangen. Dnjepopetrowsk im Viertelfinale, so sehen Alpträume aus, denn die will garantiert niemand sehen. Aber vielleicht gibt es ja eine Möglichkeit, die Szene unauffällig zu löschen?