Eine Quote für die Hauptstadt

Der Beschluß von Israels Regierung, Jerusalem zu erweitern, stößt auf Ablehnung - von links, von rechts und aus dem Ausland

Überwiegend technisch, ein bißchen wirtschaftlich, aber ganz und gar unpolitisch sei der Beschluß seines Kabinetts vom Sonntag letzter Woche, gab Israels Premierminister Benjamin Netanjahu genervt zu verstehen.

Gemeint ist eine Entscheidung, die die Regierung nach fünf Stunden Streit faßte: Jerusalem soll expandieren, die Hauptstadt Israels will einige umliegende Ortschaften eingemeinden und über 140 000 Wohnungen sollen in der Umgebung gebaut werden, die dann verwaltungstechnisch auch zu Jerusalem gehören.

Netanjahu nennt dieses Vorgehen eine "Regenschirm"-Lösung, die "nichts am politischen Status Jerusalems ändert und keine Vergrößerung des Stadtgebietes in Richtung Osten, sondern nur Richtung Westen beinhaltet". Im Grunde wachse Jerusalem nur von etwa 600 000 Einwohnern auf etwa eine Million an.

Während Netanjahu noch die Normalität des Vorgehens beteuerte, erklärte Innenminister Eli Suissa, es sei nicht erforderlich, auch gen Westen zu expandieren. Suissa, der im August dazu einen detaillierten Plan vorlegen soll, will nur im Osten bauen und keine Städte annektieren. Das wiederum hieße, daß Netanjahus Beteuerung, es gehe nur um Administratives (Müllabfuhr, Industrieansiedlung) vorgeschoben ist. Dafür sprechen auch einige Passagen aus dem in der Öffentlichkeit heftig umstrittenen Expansionsplan, der auf der Basis eines Kommissionsberichtes für einen Stadtentwicklungsplan für das Jahr 2020 erarbeitet wurde.

Der Plan enthält eine bemerkenswerte Quotierung: Nicht mehr als ein Drittel Nichtjuden solle in Jerusalem leben, das von drei Religionen als heilige Stadt angesehen wird. Gegenwärtig ist diese Quote noch nicht erreicht, der Anteil der fast ausschließlich im Osten der Stadt lebenden arabischen Bevölkerung wurde 1995 auf 30 Prozent geschätzt. Aber staatliche Städteplaner prognostizieren, daß für das Jahr 2020 ein Anteil von 40 Prozent Arabern zu erwarten sei.

Ob die Prognose stimmt, ob sie, wenn sie stimmte, von Bedeutung wäre, ist in dem Beschluß und den Debatten kein Thema. Genauso wie die Frage, ob Jerusalem im Jahr 2020 noch eine geeinte Stadt sein wird, die alleine Hauptstadt Israels ist oder, zumindest im Ostteil, auch die Hauptstadt eines palästinensischen Staates sein wird.

Der Expansionsbeschluß soll nun langfristig die geplante Quotierung sicherstellen. Und auch das ist, glaubt man Netanjahu, völlig unpolitisch. Politisch hingegen und den Friedensprozeß in Frage stellend, erregte sich Netanjahu kürzlich, sei der Entschluß des Palästinensischen Nationalrates, eine Sondersitzung des UN-Sicherheitsrates zu beantragen. Natürlich nimmt ihm dies niemand ab, auch nicht die USA, die sich mit ihrer Außenministerin Madeleine Albright eingemischt haben.

Dieser jüngste Streit zwischen israelischer Regierung auf der einen und palästinensischer Autonomiebehörde, Vereinten Nationen und Vereinigten Staaten auf der anderen Seite macht erneut deutlich, daß sich die gegenwärtige Koalition in Jerusalem international immer mehr isoliert. Obendrein verheißt diese Politik nicht einmal einen innenpolitischen Zugewinn. Indem Netanjahu die internationalen Partner beruhigt, erregt er seine Kritiker von der extremen Rechten, die eine Politik des Eretz Israel fordern. Und zwar inklusive eines Yerushalaim, eines Groß-Jerusalem, das von der Altstadt bis nach Jericho reicht, also das gesamte Gebiet der palästinensischen Autonomiebehörde durchquert.

Auch andere, die der Likud-Politik freundlich bis abwartend gegenüberstehen, macht er sich zu Feinden. Zu den heftigsten Kritikern des Expansionsplans gehört ein Zusammenschluß regionaler Städte und Gemeinden, die nicht eingemeindet werden wollen, weil sie dies als Versuch des rechten Jerusalemer Bürgermeisters Ehud Olmert verdammen, die Kontrolle über Nachbarstädte zu übernehmen.

Doch solche Kritik, die sich nur auf Karriereabsichten Olmerts stützt, der einmal Netanjahu beerben möchte, greift zu kurz. Jerusalem besitzt für alle am Friedensprozeß Beteiligten eine große symbolische Bedeutung. Der israelischen Forderung, Jerusalem dürfe nie wieder, wie bis 1967, geteilt sein, steht die palästinensische Forderung gegenüber, Ost-Jerusalem müsse Hauptstadt einer palästinensischen Republik sein.

Überlegungen, die eine gemeinsame Hauptstadt Israels und Palästinas zum Thema haben, gelten auf beiden Seiten als absurd. Als die linke Meretz-Partei im November letzten Jahres auf ihrem Parteitag dies diskutieren wollte, war die Parteispitze eifrig und erfolgreich bemüht, so etwas nicht zur Diskussion zuzulassen. Es sei nicht relevant, sagte Anat Maor, Knesset-Abgeordneter der linkssozialistischen Mapam im Meretz-Block, und sein Kollege Ran Cohen aus der Bürgerrechtsbewegung meinte, man könne sich "nicht den Luxus leisten, Jerusalem zu diskutieren". Diesen vermeintlichen Luxus muß sich die Linke nun von Netanjahu aufzwingen lassen.

Indem wieder einmal der konservative Premier die Themen setzt, hat die Linke erneut das Problem, sich von der aktiveren Rechten, die Anti-Netanjahu-Demonstrationen veranstaltet, abzusetzen. Bei einer Siedler-Demonstration in der letzten Woche in Jerusalem erklärte Yehudit Tayar, Sprecherin des Rates für Jüdische Gemeinden in Judäa, Samaria und Gaza, der Protest erinnere daran, daß die Leute, die Netanjahu an die Macht gebracht hatten, immer noch auf die Realisierung seiner Versprechen warten.

Ähnliches formuliert auch die rechte Tageszeitung Hatzofeh in bezug auf den Jerusalem-Beschluß: Nicht eine Superverwaltung werde benötigt, sondern daß die gegenwärtige Verwaltung beginne, "jüdisches Recht in dieser Stadt durchzusetzen". Was soviel heißt wie den im Viertel Mea Shearim und den angrenzenden Vierteln lebenden Juden, die gegen weltliche Schulen, gegen Straßenverkehr am Sabbat, gegen westliche Diskotheken etc. vorgehen, mehr Macht einzuräumen.

Die Orthodoxen befürchten, daß das mit der Jerusalem-Expansion verfolgte Ziel, auch für mehr Industrieansiedlung zu sorgen, noch mehr Weltlichkeit mit sich bringt. Die Regierung steht vor einem Dilemma: Einerseits will sie, aus Rücksicht auf ihre Koalitionäre, den jüdischen Charakter der Stadt stärker betonen. Andererseits soll mit der Industrieansiedlung die israelische Hauptstadt weltmarktfähig gehalten werden. Diese beiden Ziele widersprechen sich mitunter.

Von vielen unbemerkt, von aufmerksamen Orthodoxen aber genau registriert und heftig bekämpft, hat sich in Westjerusalem in den letzten Jahren eine Subkultur mit Kneipen und Diskotheken gebildet. Und die stellt seit kurzem mit dem transsexuellen Star Dana International sogar eine Grand-Prix-Siegerin.