Gefährliche Liebschaften

Gender Trouble bedeutet für Transvestiten in Argentinien Gewalt und Erpressung - von seiten der Polizei

Sie oder er? Schon per Definition steht der oder die travest' traditionellen Geschlechtsbegriffen als transgressorische, destruktive Figur gegenüber, verführerisch und geheimnisumwittert. Die schönen und unerreichbaren Göttinnen, die voller Stolz am Christopher Street Day in New York, London oder Berlin vor den Kameras des Fernsehens und der Zeitungen defilieren, scheinen wenig mit jenen dunklen Gestalten der Nacht in Argentinien zu tun zu haben, den glanzlosen Prostituierten und den entstellten Leichnamen aus den Berichten der Revolverblätter. Und dennoch sind beide travest's.

Der Abgrund, der sich zwischen Priscilla und Argentiniens travest's auftut, wird vom Staat selbst mittels polizeilicher Sonderverordnungen produziert, die für gesetzlich nicht erfaßte Handlungen und Rechtsfiguren zuständig sind. Die Verordnung 2-F über die "Erregung öffentlichen Ärgernisses" enthält eine Sonderklausel, die es verbietet, "sich im öffentlichen Raum in Kleidung oder Kostümierung des entgegengesetzten Geschlechts zu zeigen".

Wegen dieser Verordnung ist die von Gewalt begleitete Festnahme für travest's eine unvermeidliche und alltägliche Situation. Von ihrer Initiation im Travest'smus an, meist in frühester Jugend, wird ihr Leben von der Polizei diktiert. Jede noch so alltägliche Situation - einkaufen gehen, eine Rechnung bei der Bank bezahlen, tanzen gehen, eine Freundin besuchen - wird zum Risiko. Mit dem Leben als travest' beginnt ein Leben auf der Flucht vor der Polizei. Eine Festnahme kann - je nach Provinz - von einem Tag bis zu einem Monat Gefängnis bedeuten.

Häufig werden travest's bei Festnahmen in Handschellen oder sogar in Ketten aufs Kommissariat gebracht, obwohl sie unbewaffnet sind. Noch schlimmer sind die Mißhandlungen innerhalb der Kommissariate. Viele travest's sind nach eigenen Aussagen Opfer von Mißhandlung, Folter, Schlägen und Vergewaltigungen geworden. Die travest'-Organisationen sprechen von 200 Mordfällen, bei denen ein dringender Verdacht gegen Polizeiangehörige besteht. Doch die wenigen Fälle, die überhaupt vor Gericht kommen, stellen keine Gefahr für die Repressoren dar, denn noch nie hat es eine Verurteilung gegeben.

Micaela, eine organisierte travest'-Aktivistin, ist eine der wenigen, die Anzeige erstattet haben: "Sie schlugen mir mit der Spitze des Gummiknüppels ins Auge. Die Mädels liefen völlig entsetzt davon. Auf einmal kamen haufenweise Streifenwagen, ich wurde in Handschellen gelegt und weiter verprügelt. Und dann das große Trara auf dem Weg zum Kommissariat, weil ich einen der Polizisten gebissen hatte und sagte, ich hätte Aids. 'Du Hurensohn, ich bring dich um!' 'Und wenn schon', sagte ich, 'du bringst mich um, aber du begleitest mich auf den Friedhof.' Eine halbe Stunde schlugen sie im Streifenwagen auf mich ein. Danach brachten sie mich raus zu den Wäldern von Palermo und sagten, wenn sie mich hier umlegten, hätte danach niemand was gesehen."

Führen die alltäglichen Festnahmen dazu, daß die meisten travest's jeden "normalen" sozialen Umgang meiden, weil jeder Gang auf die Straße die Bereitschaft zum Risiko voraussetzt, so gilt dies erst recht für das Arbeits- und Berufsleben. Denn selbst wenn sich jemand bereit fände, eine Stelle an eine travest' zu vergeben (was nicht oft vorkommt), wäre es ihr dennoch unmöglich, ihren beruflichen Pflichten nachzukommen, müßte sie doch jeden Moment mit der Festnahme und dem erzwungenen Arbeitsausfall rechnen. Daher ist der einzige berufliche Ausweg die Prostitution, ein Bereich, in dem stets große Nachfrage nach travest's besteht.

Paula ist 25 und arbeitet als Prostituierte, seit sie travest' wurde: "Ich habe einfach keine Kraft mehr. Seit ich dreizehn bin, arbeite ich als Prostituierte. Am Anfang machte es mir nichts aus. Weil, andererseits ... wenn ich schon keine Wahl hatte, ein anderes Leben zu führen, genoß ich eben das, was ich hatte. Wo sie mich akzeptierten, hatte ich meine Ruhe, und die Freier akzeptierten mich nicht nur, sie bezahlten auch dafür. Sie bezahlten, um mit mir zusammen zu sein, also konnte ich ja wohl nicht so schlimm, so versaut, so anormal sein ..."

Die Sonderverordnungen werden zum zentralen Instrument der Diskriminierung, weil sie travest's den Zugang zu Arbeit und zu einem Mindestmaß an sozialem Umgang verweigern, kurz, weil sie travest's aus dem öffentlichen Raum aussperren. Das Coming-out als travest' ist in Argentinien der Beginn eines Lebens am Rand der Gesellschaft.

Obwohl die Sonderverordnungen schon seit 1870 in Kraft waren, sollte erst um die Jahrhundertwende die Aufgabe der Repression und Kontrolle der Unterklassen der Polizei übertragen werden. Das dramatische Bevölkerungswachstum als Ergebnis der Einwanderung und die Entstehung einer argentinischen Arbeiterklasse, die sich in sozialistisch und anarchistisch dominierten Gewerkschaften organisierte, stellten die Oligarchie vor die Notwendigkeit, zur Sicherung ihrer Kontrolle des Staates neue Instrumente zur Überwachung dieser Gruppen zu entwerfen. Zu erfassen galt es dabei nicht so sehr die Delinquenten selbst als vielmehr Subjekte, die als mögliche Straftäter in Betracht kamen. "Subjekte von zweifelhafter Rechtschaffenheit, deren Domizil und Arbeitsplatz unbekannt sind und die Verdacht erwecken", fielen seit Beginn des Jahrhunderts in die Zuständigkeit der Sonderverordnungen.

Mit der Kategorie der "potentiellen Gefährlichkeit" sollten die Bevölkerungsmassen unter Kontrolle gebracht werden. Zum gleichen Zeitpunkt versuchte man, die aufsteigenden Mittelschichten in die Normen bürgerlicher Rechtschaffenheit einzuweihen. Mit diesem Ziel wurde die Figur des sexuell "Invertierten" als gesellschaftliche Gefahr und zur Überwachung und Unterdrückung marginaler Sexualitäten ins Spiel gebracht, die der bürgerlichen Moral zuwiderliefen. Arbeitermassen und sexuelle Anormalitäten bildeten somit die am heftigsten beschworenen und gefürchteten sozialen Gefahren der Epoche.

Heute hat sich das Interesse der Polizei gegenüber beiden Gruppen gewandelt. Mit der wachsenden Arbeitslosigkeit und der verbreiteten Passivität der Arbeiterschaft hat sich das Antlitz der "Gefahrenherde" unter der armen Bevölkerung verändert. Polizeilicher Willkür ausgesetzt sind heute vor allem Jugendliche und Migranten. Was travest's angeht, so wird ihre "Moral" als gefährlich angesehen, weshalb die Forderung, man müsse sie am Betreten oder gar Bewohnen der Räume hindern, in denen sich "normale Leute" aufhalten, auf breite Zustimmung stößt. Mit der doppelten Kontrolle eines "gefährlichen Subjekts", das von marginalen Armen und prostituierten travest's artikuliert wird, erweckt die Polizei nach außen wie nach innen den Eindruck von Effizienz und Pflichterfüllung. Die Mittelschichten stimmen mehrheitlich mit diesem Bild des "gefährlichen Subjekts" überein und rufen nach "Ordnung und Sicherheit".

Doch die Interessen der Polizei am Aufrechterhalten der Kontrolle über travest's sind andere. Die niedrigen Löhne, das absolute Fehlen von Kontrolle seitens der übrigen Staatsgewalten und das Fortbestehen der Sonderverordnungen haben dazu geführt, daß Korruption in der argentinischen Polizei nicht Einzelfall, sondern institutionalisierte Praxis ist. Die Polizei kontrolliert zum Großteil das Netz der kleineren Delikte (natürlich auch der größeren) wie Geldspiel, Hehlerei und Zuhälterei. Festnahmen haben zum Ziel, prostituierten travest's und Frauen zu beweisen, daß sie unter absoluter Kontrolle der Polizei stehen und, falls sie arbeiten wollen, ein Schutzgeld oder coima entrichten müssen. Dieses ist bereits dermaßen institutionalisiert, daß der "Ortstarif" in allen Kommissariaten derselbe ist: 50 Dollar pro Tag. Für Festnahmen - falls nicht gezahlt wurde, und oft auch wenn gezahlt wurde - wird eine zusätzliche Strafgebühr von 15,33 Dollar eingezogen. Wenn man bedenkt, daß allein im Hauptstadt-Distrikt von Buenos Aires 2 000 travest's aktiv sind, bekommt man eine Vorstellung von der Bedeutung dieser Erpressungsgelder für die Polizei. Die Gewalt kann daher nicht - wie im Falle der Marginalen - als Exzeß polizeilicher Brutalität, sondern muß als institutionelle Methode eingestuft werden, mit der die travest's in ständiger Angst gehalten und zur Zahlung der Schutzgelder gezwungen werden sollen.

Zu Beginn der neunziger Jahre haben sowohl politische Organisation von travest's wie auch andere Menschenrechtsverbände eine öffentliche Kampagne gegen die Sonderverordnungen als offene Verletzungen rechtsstaatlicher Garantien initiiert. Als erstes Ergebnis des kontinuierlichen Drucks wurden die Verordnungen in der neuen Stadtverfassung von Buenos Aires zurückgezogen. Zur Zeit wird über einen "Kodex für das öffentliche Zusammenleben" beraten.

Die Autorin ist Anthropologin an der Universität Buenos Aires und Beraterin der Transvestiten-Organisation Alit (Asociaci-n de Lucha por la Identidad Travest').

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