Herr I. und die UCK

Jungle World traf sich in Wien mit einem führenden Vertreter der Kosovo-Befreiungsarmee

Herr I. ist ein bißchen müde. Am Samstag fuhr er von Stuttgart nach Zürich und verbrachte die Nacht von Samstag auf Sonntag rasend auf der Autobahn nach Wien. Ein Handelsreisender in Sachen Kosovo sozusagen. Dennoch verzichtet der Mann mit dem virtuellen Schlapphut nicht auf bestimmte Vorsichtsmaßnahmen. Treffpunkt im Freien, viele Menschen. Man kennt das ja. Über Umwege spaziert Herr I. mit dem Jungle World-Reporter in ein Kaffeehaus am Wiener Graben. Sein Begleiter blickt hin und wieder über die Schulter nach hinten - niemand folgt. Schön. Schließlich ist der serbische Geheimdienst immer und überall. Im Hinterzimmer des beinahe leeren Lokals wird dann Tacheles geredet. Herr I. hat sich gut informiert. "Ich habe mit meinem Chef geredet, und nachdem wir Sie überprüft haben, hat er die Erlaubnis gegeben, mit Ihnen zu sprechen", lockert Herr I. die Stimmung auf. Es muß eine sehr genaue Überprüfung gewesen sein. Der Jungle World-Reporter erfährt, daß er ein Buch über den Kosovo geschrieben haben soll. Das wäre neu.

Herr I. ist ein Meister der Recherche. Seit 18 Jahren arbeitet er im Zivilleben als Journalist, schreibt unter Pseudonym in kosovo-albanischen Zeitungen und veröffentlicht tatsächlich Bücher. Doch seit die UCK begonnen hat, für die Unabhängigkeit des Kosovo von Serbien zu kämpfen, hat Herr I. seinen Job an den Nagel gehängt. Schließlich geht es ums nationale Wohl. Und da will Herr I. nicht fehlen. Seit Monaten reist Herr I. durch Deutschland, Frankreich, die Schweiz und Österreich und führt intensive Gespräche mit seinen Freunden. "Wir sind überall sehr gut organisiert und haben in den letzten Jahren eine echte Infrastruktur aufgebaut", sagt Herr I. Das war auch notwendig, denn obwohl der Kampf im Kosovo erst seit wenigen Monaten tobt und die UCK bisher eher mit einem Phantom verglichen wurde, wird seit längerem gezielt eine Armee aufgebaut. Vor sechs Jahren, verrät Herr I., habe man begonnen, eine richtige Militärmacht gegen die "serbischen Besatzer" zu organisieren. Entgegen früheren Vermutungen, wonach die UCK aus vielen autonomen Kampfgruppen bestehe, bestätigt Herr I. gegenüber Jungle World, daß es im Kosovo einen eigenen Generalstab aus einem Grüppchen von Leuten gebe und einen UCK-"General", der in der Hierarchie ganz oben stehe. Verbindungsleute dieses Generalstabes gebe es sowohl in Albanien als auch in den meisten europäischen Staaten. Herr I. ist einer von ihnen.

Die nötigen finanziellen Mittel wurden im Ausland requiriert. Denn neben dem für humanitäre Zwecke eingerichteten Hilfsfonds des kosovo-albanischen "Präsidenten" Ibrahim Rugova existieren in ganz Westeuropa eigene UCK-Konten. Mit dem Kennwort "Ruf der Heimat" versehene Zahlscheine werden seit vier Jahren an exilierte Albaner versandt. Mit größtem Erfolg. Im Gegensatz zu Rugovas Hilfsfonds begnügt sich die UCK nicht mit einem Beitrag von lächerlichen drei Prozent des Einkommens. "Die meisten spenden freiwillig wesentlich mehr als zehn Prozent ihres Lohnes", freut sich Herr I. und läßt über die Verwendung des Geldes keine Mißverständnisse aufkommen. "Ein Teil der Spenden wird in Waffen investiert." Nicht nur die Schrottgewehre aus Beständen der in Auflösung befindlichen albanischen Armee kommen zum Einsatz, sondern auch High-Tech-Gerät aus deutschen und österreichischen Waffenschmieden. "Für uns gibt es da keine Grenzen. Es ist überhaupt keine Kunst, diese Waffen in den Kosovo zu bringen", frohlockt Herr I. und erzählt schmunzelnd, daß auch die serbische Armee Handelspartner der UCK ist. "Am billigsten ist es, die Waffen von den Serben zu kaufen. Für ein bißchen Geld bekommen wir alles, was wir wollen." Und das ist viel. Seit Wochen verfügt die Kosovo-Befreiungsarmee nicht nur über Gewehre, sondern auch über Panzerabwehr-Geschütze und leichte Kanonen. Auch an Bedienungspersonal für die Geräte mangelt es nicht. Die im Exil lebenden Kosovo-Albaner ziehen haufenweise an die Front in der alten Heimat; während offizielle Schätzungen von etwa 25 000 UCKlern ausgehen, veranschlagt Herr I. sie großzügig auf das Doppelte. Auch Jungle World darf an die Front. Jedenfalls hat Herr I. sie dorthin eingeladen. Weiter erzählt er, daß viele junge Kosovo-Albaner bei ihrer Ankunft im Kosovo fertig ausgebildete Soldaten seien.

Damit dies möglich ist, würden in Deutschland, Frankreich und der Schweiz Ausbildungslager für den Guerilla-Kampf existieren. Anscheinend mit Duldung der Behörden in diesen offiziell zivilisierten Staaten. Beim Augenzudrücken der deutschen, Schweizer und französischen Ordnungshüter sehr hilfreich ist gezieltes Lobbying der UCK. Herr I. behauptet gegenüber Jungle World nach längerem Nachfragen, daß UCK-Leute sich im Verteidigungsministerium auf der Bonner Hardthöhe die Klinke in die Hand geben. Wie auch die Bonner Parteizentralen informeller Kriegsschauplatz seien. "Wir haben eine sehr gute Gesprächsbasis mit hochrangigen Politikern der SPD, der FDP und der CDU", verrät Herr I. Dabei gehört kosovo-albanische Political correctness bei den deutschen Politikern zur Voraussetzung für einen Gesprächstermin mit UCK-Vertretern. "Wir treffen uns nur mit Leuten, die einsehen, daß es keine andere Möglichkeit als die Unabhängigkeit des Kosovo gibt", setzt Herr I. politische Mindeststandards. Aber danach solle sofort ein Zusammenschluß mit Albanien folgen. Einer, der die Mindeststandards einhält, sei gar ein gekröntes Haupt: Vor kurzem, so erzählt Herr I., habe der spanische König Juan Carlos eine Abordnung von UCK-Gesandten empfangen.

Nach zweistündigem Gespräch hat es Herr I. sehr eilig: Knappe 20 Stunden nach unserem Treffen wird er schon in Bonn erwartet. Ein Bonner Politiker warte, sagt er.