Im Hades bleibt es dunkel

Bernd Schmidbauer kann aufatmen: Nach drei Jahren und 80 Sitzungen hat sich der Plutonium-Untersuchungsausschuß des Bundestages aufgelöst

Hätte es noch eines Beweises bedurft, daß Untersuchungsausschüsse im Bundestag weniger der Aufklärung als vielmehr der Vertuschung der tatsächlichen Hintergründe von Polit-Skandalen und als Beschäftigungstherapie für Oppositionspolitiker dienen - der Untersuchungsausschuß zum Münchener Plutonium-Schmuggel hätte ihn endgültig geliefert.

Mehr als drei Jahre nach seiner Einsetzung hat der Ausschuß in der vergangenen Woche seine Arbeit beendet. Das Ergebnis ist viel Papier ohne jede Konsequenz. Neben dem offiziellen Abschlußbericht wurden gleich drei Minderheitenberichte vorgelegt. Die Ausschußmehrheit aus CDU, CSU und FDP weist erwartungsgemäß sämtliche Verwicklungen staatlicher Stellen in den Vorfall zurück und schiebt den Schmuggel einem einzelnen Geheimdienstmann, der wohl außer Kontrolle geraten sei, in die Schuhe. Die SPD traut sich in ihrem Papier zwar nicht, den in den Plutonium-Deal verwickelten Behörden offen vorzuwerfen, sie hätten den Schmuggel inszeniert, vermutet aber immerhin "tatprovozierende Handlungen" von seiten deutscher Sicherheitsbeamter, vornehmlich des Bundesnachrichtendienstes. Ähnlich sehen das die Grünen, die in ihrem Minderheitenbericht deshalb die schrittweise Auflösung des BND und die Übertragung seiner Aufgaben auf andere Einrichtungen fordern. Ein Vorschlag, den die PDS, die kein vollwertiges Ausschußmitglied, sondern mit Gregor Gysi nur einen "Mitwirkenden" stellen durfte, als ungenügend ablehnt. Sie fordert die Auflösung sämtlicher Geheimdienste.

Am 10. August 1994 hatten vorab informierte Beamte des Bayerischen Landeskriminalamtes (LKA) auf dem Münchner Franz-Josef-Strauß-Flughafen den Kolumbianer Justitiano Torres Ben'tes verhaftet, der gerade per Flugzeug aus Moskau eingetroffen war. Im Gepäck des Kolumbianers: 100 Gramm Lithium 6 sowie 500 Gramm eines Pulvergemisches aus Plutonium und Uran, das 363,4 Gramm bombenfähiges Plutonium 239 enthielt. Ben'tes' am Flughafen wartender Komplize Julio Oroz Eguia wurde gleichfalls in Handschellen abgeführt. Kurz darauf verhaftete die Polizei in einem Münchener Hotel den Dritten im Bunde, Javier Bengoechea.

Sechs Wochen vor den bayerischen Landtags- und den Bundestagswahlen paßte der aufgeflogene Schmuggel den Regierungsparteien in München und Bonn hervorragend ins Konzept: Sie konnten sich nicht nur mit einem spektakulären Fahndungserfolg brüsten und mit ihrer rigiden Sicherheitspolitik profilieren. Dank der nun bewiesenen Bedrohung Deutschlands durch "vagabundierendes Nuklearmaterial", die von Politikern und Medien zuvor monatelang eindringlich heraufbeschworen worden war, gelang es der Bundesregierung zudem, das umstrittene Verbrechensbekämpfungsgesetz im Bundestag durchzusetzen. Einer der Nutznießer des Gesetzes war der Bundesnachrichtendienst (BND), der sich seitdem auch um "Nuklearkriminalität" kümmern darf - der Bestand des Geheimdienstes, der nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes eigentlich längst überflüssig geworden war, war gesichert. Und nebenbei konnte auf dem Boden der Nicht-Atommacht Deutschland bewiesen werden, daß die Atommächte - und hier vor allem Rußland - ihr Nuklearmaterial nicht unter Kontrolle haben.

Der Spiegel, der zuvor selbst die Angst vor der strahlenden Gefahr aus dem Osten fleißig geschürt und Deutschland zur Drehscheibe im internationalen Nuklearschmuggel hochstilisiert hatte, deckte Monate später den wahren Hintergrund der Plutonium-Transaktion auf: V-Männer des BND waren es gewesen, die den Deal nicht nur vermittelt, sondern mittels Kaufgesuchen, die sie in der Madrider Unterwelt streuten, überhaupt erst initiiert hatten. Die V-Männer "Rafa" (alias Rafael Ferreras Fern‡ndez), "Roberto" (alias Karsten Uwe Schnell) und Fern‡ndes Mart'n hatten denn auch bald drei kleine Ganoven ausfindig gemacht, denen das Angebot so verlockend erschien, daß sie sich auf Plutoniumsuche machten. In Moskau wurden sie fündig - wo genau das Plutonium herstammte, ist indes bis heute ungeklärt.

Der frühzeitig eingeschaltete BND - darauf deuten zahlreiche Zeugenaussagen und Aktenvermerke hin - nahm das Ganze schließlich in die Hand und lotste die Schmuggler samt Bombenstoff nach München - zur schlagzeilenträchtigen Vermarktung. Dabei kam es den beteiligten deutschen Stellen - Bundeskriminalamt, LKA, BND und nicht zuletzt dem Geheimdienstkoordinator im Bundeskanzleramt Bernd Schmidbauer - nicht darauf an, den Schmuggel samt des gefährlichen Transports des Bombenstoffs in einer regulären Verkehrsmaschine zu vermeiden. Eine Verhaftung bereits in Moskau wurde gar nicht in Erwägung gezogen, die russischen Behörden wurden bewußt nicht informiert. Erst nach Jahren erhielten die Russen überhaupt eine Probe von dem Plutonium, um seine Herkunft zu ermitteln. Laut russischen Zeitungsberichten hat die Untersuchung mittlerweile ergeben, daß der Stoff gar nicht aus Rußland kommt. Unterdessen geht die Hanauer Staatsanwaltschaft in einem Ermittlungverfahren dem Verdacht nach, das Plutonium stamme aus einer Nuklearfabrik in der hessischen Stadt.

Mit ihrer Mehrheit im Untersuchungsausschuß gelang es den Regierungsparteien in den letzten drei Jahren, die wahren Hintergründe der "Operation Hades" zu verschleiern. Schmidbauers Vernehmung durch den Ausschuß wurde zunächst sieben Monate lang verzögert und dauerte dann mehr als ein Jahr. Als geheim eingestufte Akten wurden den Ausschußmitgliedern gar nicht oder so kurzfristig vor Zeugenbefragungen zugestellt, daß eine ausreichende Vorbereitung nicht möglich war. Den Inhalt einzelner zuvor geheimgehaltener Dokumente konnten die Abgeordneten der Presse entnehmen, bevor sie auch ihnen zugestellt wurden - mit der Einschränkung "nur für den Dienstgebrauch". Schließlich stufte das Sekretariat des Ausschusses sogar den Minderheitenbericht der SPD als geheim ein. Die Sozialdemokraten mußten das Papier erst umschreiben, um es am Ende veröffentlichen zu dürfen.