Kurt Kren ist tot

Eine Erinnerung

Im November 1968, beim 1. Europäischen Treffen Unabhängiger Filmemacher in München, traf ich Kurt Kren zum erstenmal. Es war Liebe auf den ersten Blick.

Sein Werk kannte ich schon, neben Jack Smith war er für mich die zentrale Person des Undergroundfilms. Als wir bei der Hamburger Filmschau 1969 mit alten Fischweibern auf den Tischen rumtanzten und Seemannslieder grölten, verpißten sich die Veranstalter, sie hatten Angst vor ihren Geldgebern, aber erst recht kotzten sie, als wir uns von ihnen distanzierten und eine Gegenveranstaltung in einem großen Reeperbahnkino organisierten, die natürlich bumsvoll war.

Das Publikum war begeistert, Otto Mühl machte seine Pißaktion, Kren sah zum erstenmal Filme von dem großen schwulen Regisseur Gregory Markopoulos. Die sogenannten Drecksfilme von Kurt und Otto vertrugen sich wunderbar mit Markopoulos'Arbeiten, die voller Poesie und Erotik waren. Daß man sich mit seinem aggressiven Verhalten ins finanzielle Abseits katapultiert, war mir damals weder bewußt, noch interessierte es mich im geringsten. Allein durch seine Existenz nahm Kurt mir die Existenzangst. Sein Glaube an seine Arbeit grenzte manchmal schon an Größenwahn, Kurt Kren war für mich einfach die Inkarnation des freien Filmemachers, eine Bestätigung meines eigenen Weges.

Daß Kurt 20 Jahre bei der Österreichischen Nationalbank arbeitete und hier die besten Filme seiner ersten Arbeitsperiode mit Lupe und primitivsten Geräten zusammenklebte, erfuhr ich erst später. 1929 in Wien geboren, mußte Kren raus aus Österreich. Er besucht von 1939 bis 1947 das Rotterdamsch Lyceum in Holland, macht 1947 sein Abitur und kehrt im gleichen Jahr nach Wien zurück. Schon in den frühen fünfziger Jahren dreht er 8mm-Filme, einen mit Konrad Bayer, dem bedeutendsten österreichischen Dichter jener Zeit. Von Anfang der sechziger Jahre stammt auch einer seiner schönsten Filme, die fünf hochmusikalischen Minuten mit "48 Köpfen aus dem Szondi-Test". 1960 hat er seine erste Vorführung in der "Secession" in Graz. In jenen Jahren beginnt die Zusammenarbeit mit Otto Mühl und Günter Brus, gemeinsam fliegen sie 1966 nach London zum "Destruction in Art Symposion". Die Kunstwelt wird auf sie aufmerksam.

In der National Bank hält Kurt es nicht mehr aus, er kündigt selbst, die staatliche Verwaltung in Österreich hätte sich damals nicht getraut, ihn rauszuschmeißen, zu schnell hätte man sich des Antisemitismusverdachts ausgesetzt. Kurt kam nach Köln, wir fuhren zusammen zu allen wichtigen Festivals oder nur ans Meer, er konnte einigermaßen von seiner Arbeit leben, seine Boxen mit Filmen, Partituren seiner Filme waren natürlich kein Renner, aber existenzsichernd. Dann kam die Zeit der Depression: Underground war out, er ging in die Provinz und lebte mehr oder weniger schlecht von den Abfällen der Reichen.

Schließlich siedelte er nach Amerika über, hatte viele Vorführungen in allen wichtigen Museen und Universitäten, vom Museum of Modern Art bis Harvard, war kurze Zeit verheiratet, lebte in den Wäldern von Vermont, machte seinen Führerschein, kaufte einen alten Straßenkreuzer, in dem er lebte und durch die Gegend gurkte; dazwischen immer wieder Gelegenheitsjobs - romantischer geht's nicht mehr. Ein Wohltätigkeitskonzert der Punk Band Really Red brachte 1 000 Dollar für Kren, endlich wieder etwas Luft zum Atmen.

1983 bekam er einen Wächterjob im Museum of Fine Arts in Houston: "Die Arbeitsatmosphäre ist nicht so schlecht, jedenfalls ganz anders als in der Bank. Das Schreckliche aber ist, ich habe den ganzen Tag nichts anderes zu tun, als die Zeit totzuschlagen. Immer darauf wartend, daß der Sekundenzeiger weitergeht, gleichzeitig aber gewahr, daß dies die Sekunden meines Lebens sind. Das ergibt eine ziemlich zerrissene Situation. Und mein Hirn wurde saurer und saurer, denn schöpferische - oder überhaupt welche - Gedanken habe ich während meines erzwungenen MFA-Aufenthalts nicht." (Brief von 1985)

1989 holten ihn Freunde nach Wien zurück, er bezog eine kleine Wohnung, war endlich den Existenzdruck los. Zum Kinojubiläum 1995 entstand in dreißig Tagen einTraumfilm, "Tausendjahrekino", mit Geräuschen und der Stimme von Peter Lorre aus "Der Verlorene", den der emigrierte Schauspieler 1951 nach seiner Heimkehr nach Deutschland drehte.

Das war eindeutig und mehrschichtig gemeint. Sentimentalität aber war nie seine Sache. Es war immer schwierig für Kren, daß er nur wegen der Filme populär war, bei denen er Aufnahmen von Aktionen von Otto Mühl und Günter Brus verwendete. Für die Strukturalisten unter den Filmemachern aber, die ihn auf seine eher "formalen" Filme festnageln wollte, hatte er bloß ein müdes Lächeln übrig, die Epigonen kapierten weder das eine noch das andere.

Gregory Markopoulos, der in seine neoklassizistischen Filmen nie die Spur von Dreck einfließen ließ, war von Mühl und Kren begeistert, er stand in Cannes 1969, als wir in einem riesigen Kino eine Underground-Nacht veranstalteten, eingequetscht zwischen schweißnassen Matrosen, die endlich mal derben Sex sehen wollten. Er blieb knallhart, als nach Mühls "Schweinereien" eines seiner Meisterwerke lief und die Leute brüllten: "Raus, du schwule Sau!" Aber auch er fand diese Show besser als irgendeine esoterische Pißveranstaltung in Peter Kubelkas und Jonas Mekas' dunklem Loch, Anthology Filmarchive in New York, wo fünf oder zehn Blödköppe meinten, Ahnung von Film zu haben.

Der Traum aller, auch Kurts Traum, war immer ein volles Kino. Daß er bei Christoph Schlingensiefs Film "Die 120 Tage von Bottrop" 1997/98 die SW-Kamera machte und mitspielte, verwirrte einmal mehr die Puristen unter seinen Freunden. Daß Schlingensiefs Provokationen im Vergleich zu Mühls Film "Scheißkerl", in dem Kren einen großartigen Auftritt hat, mehr als harmlos waren, wußte er.

Aus Opportunismus machte er den Job nicht, er hatte eine Weile Spaß daran, wollte wieder raus aus den Fängen der Akademiker, Museumskuratoren, Ausstellungsmacher - seine Arbeiten waren mittlerweile von vielen Museen angekauft worden -, obwohl er bis zum Schluß stolz war auf seine Anerkennung in Kunstkreisen. Im Mai 1998 hatte er seine letzte große Ausstellung in einer Galerie in New York. Aber er wußte, daß aller Ruhm auf Mißverständnissen beruht, hier war er Jack Smith sehr ähnlich, der sich total verweigerte.

Eine sehr gute Übersicht über Krens Arbeit gibt das 1996 in Wien erschienene Buch "Ex underground Kurt Kren", herausgegeben von Hans Scheugl. Ein Muß, wenn man seine Filme nicht kennt. "Man fragt sich heute: wohin sind die Kreativen Schwarmgeister von damals entschwunden? alle sind sie wieder ins alte Nest zurückgeflogen. Kurti ist geblieben, der er immer war." (Otto Mühl, 28. Juni 1995, Brief aus dem Knast)

Am 24. Juni fanden Freunde ihn tot in seiner Wohnung.

Der Filmemacher Wilhelm Hein ( "Verbotene Bilder", 1984/85; zusammen mit Birgit Hein) zeigt am Freitag, den 3. Juli um 20 Uhr in der Berliner Brotfabrik, Prenzlauer Promenade, Filme von Kurt Kren.