Mit Guido zum Grand Prix

Er ist zwar nicht so schön wie Guildo, doch seine Fans bejubeln den liberalen Frontman frenetisch. Wird Westerwelle die FDP bei der Endausscheidung in Bonn zum Sieg führen?

Generalsekretär Guido Westerwelle ist der Star der FDP. Mit blauem Hemd und gelber Krawatte ist er außerdem die Verkörperung ihres Programms: jung und dynamisch, laut und auffällig, eitel und arrogant. "Wir sind besser als die anderen", ruft der Generalsekretär den 662 Delegierten des ordentlichen Parteitags am letzten Juni-Wochenende zu, "deshalb treten wir auch wieder an." Sein Vorbild ist Bill Clinton, sein Rezept ist einfach: "Der bescheidenere Staat ist der stärkere Staat", und "Flexibilität" ist bei den Liberalen sowieso Trumpf. Die Mitglieder zeigen sich begeistert und feiern frenetisch "ihren Guido".

Schließlich ist Wahlkampf, da zeigt sich die Partei nach außen geschlossen. Am Rande des Leipziger Spektakels aber wird durchaus Kritik laut. "Was hier abläuft, ist ein typisches Massenphänomen", analysiert ein Delegierter aus Münster die Westerwelle-Euphorie. "Die Menge wird aufgepeitscht, und wenn die Phrasen und der Optimismus nur oft genug wiederholt werden, dann glauben die Leute da wirklich dran." Tatsächlich entfaltet die Rede Westerwelles, die eigentlich nur dann souverän klingt, wenn der Generalsekretär mal nicht das Manuskript herunterbetet, ihre mitziehende Wirkung auch bei Nichtmitgliedern.

Claudia, Daniel, René, Melanie und Gunnar - alle fünf Schüler des Leipziger Robert-Schumann-Gymnasiums - zeigen sich jedenfalls begeistert darüber, wie "locker", "persönlich" und "humorvoll" der Profi-Politiker auftritt. Nur auf ihre eigentliche Fragestellung, derentwegen sie in der Leipziger Neuen Messe zwischen den Delegierten herumtollen - nämlich, was die FDP für junge Leute tut -, finden sie keine Antwort. "Prima" finden sie die Liberalen trotzdem.

Statt Programmatik geht es vor allem um die Abgrenzung von der Konkurrenz: Die FDP soll endlich ein eigenes Profil bekommen. Hauptfeind sind dabei die Grünen, mit denen die Liberalen um "Platz drei" konkurrieren wollen. Gerhard Schröders potentielle Koalitionspartnerin, weiß der Fraktionsvorsitzende Hermann Otto Solms, will "die Ausbeutung des Sozialstaates, eine Kriegserklärung gegen soziale Marktwirtschaft" und vertritt eine ganz und gar nicht schweißarbeitsorientierte Philosophie: "Faule belohnen, Fleißige bestrafen". Wie auch die SPD, seien die Grünen "strukturkonservativ". Und dagegen will die FDP den liberalen "Freiheitskampf" antreten.

Aber auch den Koalitionspartnern, insbesondere der bayerischen CSU, wird der Wahlkampf angesagt. Die Bayern würden nach den Wahlen am 27. September nämlich gerne das Bonner Außenministerium beanspruchen. Die FDP steht dagegen fest zu "ihrem" Außenminister Klaus Kinkel. Der sei auch der wahre Vertreter sudetendeutscher Interessen - im Gegensatz zum bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber (CSU). Der schade mit seiner Forderung, den EU-Beitritt Tschechiens auszusetzen, den "Heimatvertriebenen", heißt es in einem Beschluß des Parteitags, weil schließlich mit der EU-Osterweiterung ein sudetendeutsches Recht auf Niederlassungsfreiheit in Tschechien einhergehe.

Bereits in der Eröffnungsrede am Freitag führt der Parteivorsitzende Wolfgang Gerhardt die Probleme der FDP darauf zurück, daß die Union in den vergangenen vier Jahren "lange auf der Bremse gestanden" und damit liberale Vorhaben blockiert habe. Trotz aller Kritik aber will die Partei, die den Begriff "Reformen" so häufig gebraucht, als wäre sie seit 50 Jahren fast ohne Unterbrechung nicht Regierungs-, sondern Oppositionspartei gewesen - unbedingt an einer Koalition mit den Unionsparteien festhalten.

Mit ihrer jungdynamischen Parole "unentbehrlich ehrlich" gibt die FDP zwar ganz ehrlich zu, wie gerne sie auch nach der Bundestagswahl unentbehrlich wäre. Über die Fünf-Prozent-Hürde hilft das der Partei aber noch lange nicht. Und das, obwohl die FDP fest mit einem Potential zwischen 15 und 20 Prozent rechnet. Damit die liberale Partei aber mehr als die wichtigen fünf Prozent bekommt, ist es nach Einschätzung der Forschungsgruppe Wahlen fundamental, daß sie eine feste Koalitionszusage trifft und der Eindruck entsteht, die FDP werde aus taktischen Gründen unbedingt gebraucht.

Das hat man auch im Bonner Erich-Ollenhauer-Haus mitbekommen - und daher wurde die Leipziger Tagesordnung noch am Abend vorher geändert: Gleich zu Beginn des Parteitags mußte eine klare Koalitionsaussage zugunsten von CDU und CSU her.

Vorbeugend wurde darüber offen

per Akklamation abgestimmt. Und so sprach sich die große Mehrheit der Delegierten für den Koalitionsbeschluß aus; nur wenige trauten sich, bei der Gegenprobe die Hand zu heben. Dabei hatte es zuvor noch Stimmen gegeben, die forderten, eine sozialliberale Koalition einzukalkulieren. Auch Bedingungen für die Unterstützung einer sechsten Regierung Kohl waren bereits laut geworden.

"Aber wir hatten einen eindeutigen programmatischen Beschluß", freut sich der bayerische Delegierte Wolfgang Hoffner. Und nach außen hin will man sich einig präsentieren: "Die Diskussion ist jetzt ausgestanden, und wir agieren absolut geschlossen." Das stimmt nicht ganz. Ragnar Schwefel von den Jungen Liberalen formuliert durchaus Kritik. Gewisse Forderungen - etwa die Änderung des deutschen Staatsbürgerschaftsrechtes oder die Legalisierung weicher Drogen - werden mit der Union nicht realisierbar sein, meint der Jungliberale, der nicht wirklich jung, dafür aber um so liberaler ist: "Westerwelles Reformpolitik ist uns längst nicht radikal genug."

Auch eine andere Parteitagsfraktion unternimmt einen Versuch, die FDP zu radikalisieren, indem sie "anläßlich des Bundesparteitages in Leipzig" kurzerhand ein Haus besetzt. "Der Erwerb von Wohnfläche muß jedem möglich sein", so die liberale Forderung der studentischen Parteimitglieder in einer Pressemitteilung, "Eigenkapital und Sicherheiten dürfen dafür nicht länger Bedingung sein". Hans-Rolf Goebel, Bundespressesprecher der Partei, will gegenüber Jungle World zu der Aktion allerdings nicht Stellung nehmen.

Die neuen studentischen Mitglieder, von Westerwelle zuvor noch ausdrücklich gelobt, wollten damit offenbar auch eines der wichtigsten Probleme der Partei in den Mittelpunkt rücken: das Geld. Nach dem Rechenschaftsbericht von Schatzmeister Solms arbeitet die FDP, die sich besonders eifrig für Markt- und Wettbewerbsliberalisierung einsetzt, nämlich alles andere als wirtschaftlich. Ein Defizit von 6,58 Millionen Mark verbuchte die Partei 1996, und ohne staatliche Gelder hätte der Bundesverband noch nicht einmal ein Viertel seiner Finanzmittel.

Der Kapitalmangel wird manchen Mitgliedern besonders deutlich. Rainer Patensen findet für seinen professionellen Infostand zum bescheidenen Preis von 798 Mark eher wenig Abnehmer. "Die Kreisverbände haben einfach kein Geld", beklagt sich der Geschäftsmann, der normalerweise Messestände ausstattet, "dabei ist der Vorort-Wahlkampf mit Tapeziertischen doch höchstens etwas für die Grünen."