Silikon soll Glaubwürdigkeitslücke stopfen

Für die AKW-Betreiber ist die Zeit der Schuldbekenntnisse vorbei. Gemeinsam mit dem Umweltministerium suchen sie nach einem Weg, die Atommülltransporte schnell wieder aufzunehmen

Seit gut einem Monat herrscht Ruhe beim Transport abgebrannter Brennelemente. Auch die Niederlande und die Schweiz haben inzwischen ihre Transporte gestoppt. In Deutschland dagegen ist die Zeit der Schuldbekenntnisse der AKW-Betreiber und die öffentlich zur Schau getragene Enttäuschung der Umweltministerin über ihre Freunde in den Atomkonzernen schon wieder vorbei.

Das zeigte sich unter anderem vergangene Woche auf der Sondersitzung des Umweltausschusses in Bonn: Die Riege der deutschen Atomvorstände, die in Bonn angetreten war, um Rede und Antwort zu stehen, wurde von den Abgeordneten der Regierungskoalition die gesamte Sitzungsdauer von vier Stunden nicht mit einer bohrenden Frage belästigt. Im Gegenteil: Der Abgeordnete Kurt Dieter Grill (CDU), regelmäßiger Gast europäischer Atomwirtschaftstreffen und von den Grünen als "Mister Cogema" tituliert, schien seine Fragen vor der Ausschußsitzung mit den anwesenden Vorstandsvorsitzenden abgesprochen zu haben.

Gerade, als PreussenElektra-Chef Hans Dieter Harig mit der Frage konfrontiert war, ob das Unternehmen und die Führungsspitze je Konsequenzen aus dem Grenzwertüberschreitungen gezogen hatte, oder ob schlicht aus Kostengründen mangelhaft dekontaminiert wurde, konnte Harig die Frage unbeantwortet lassen, weil Grill eingriff: "Ich möchte noch mal nachfassen. Wenn zwei bis drei Tage Beamte der (niedersächsischen; d. Red.) Aufsicht in Kernkraftwerken sind, (...) haben die nichts gemerkt, oder laufen die da blind durch?" Eine Vorlage für den Chef des größten deutschen Atomstromkonzerns. Harig nutzte die Hilfestellung sofort: "Bei der Beladung sind die Landesbehörden anwesend" - sagte er aus, um jedoch ungewollt Grills Angriff auf die Länder im Nachsatz zu entkräften - "bei der Ankunft der Behälter nur in Einzelfällen." Harig konnte darauf bauen, daß die Widersprüche in seiner Argumentation in der Öffentlichkeit kaum auffallen würden: Zuvor hatte er erklärt, bei keinem der Transporte von Deutschland nach Frankreich hätten abgehende Transporte den Grenzwert überschritten. Demzufolge konnten die Landesbehörden bei abgehenden Transporten kontaminierte Behälter nicht feststellen.

Daß die Strategie, die Verantwortung auf die Länderbehörden abzuwälzen, nicht nur die SPD-regierten Länder treffen würde, konnte Harig zu dem Zeitpunkt noch nicht wissen: Einen Tag später mußte das bayerische Umweltministerium zugeben, daß es bereits 1987 auf mindestens eine Grenzwertüberschreitung gestoßen war, ohne irgendwelche Konsequenzen zu ziehen.

Wie ernst Grenzwerte im Alltag in Atomkraftwerken genommen werden, zeigten auch Harigs Aussagen vor dem Umweltausschuß: "Das Feststellen von Grenzwertüberschreitungen gehörte zum täglichen Geschäft des Strahlenschutzes (...), der Strahlenschützer stellt fest, daß der Grenzwert überschritten ist. (...) Es interessiert ihn in dem Moment nicht, wieviel, sondern er veranlaßt die Dekontamination." Kaum überraschen konnte da noch, daß der Vorstandsvorsitzende des Bayernwerks, Otto Majewski, "nach wie vor der Auffassung (war), daß hier Strahlenschutzrecht nicht verletzt worden ist" und "die Überschreitungen nach unserer Ansicht nicht zu Meldepflichten, sondern zu Handlungspflichten führen". Nach einer ersten Phase der Zerknirschung sind die Reihen wieder geschlossen. Nicht einmal Bauernopfer scheinen mehr nötig: Man werde keinesfalls "verdienten Mitarbeitern die rote Karte zeigen", stellte Majewski klar.

Die Atomkonzerne wollen ein schnelles Ende des Transportstopps. "Wir werden darauf drängen", erklärte der PreussenElektra-Chef am Rande der Anhörung in Bonn. Und die Ministerin Angela Merkel scheint an einer Strategie zu basteln, dieses Ende in der Öffentlichkeit zu verkaufen: Bereits seit einigen Wochen spricht ihr Ministerium nur noch von den "hot spots" (extrem kontaminierten punktförmigen Stellen) und versucht, die Flächenkontamination der Transportbehälter aus der öffentlichen Diskussion zu ziehen. Hot spots lassen sich mit dem Eindringen von Strahlenpartikeln in Behälterritzen erklären, während die Flächenkontamination durch einen chemischen Prozeß auf der Gesamtoberfläche der Behälter beim Eintauchen in das strahlenverseuchte Kühlwasserbecken bei der Beladung der abgebrannten Kernbrennstäbe verursacht wird. Die Hot-spot-Ritzen lassen sich möglicherweise mit Silikon zuschmieren. Dagegen wären nach Schätzungen der Gruppe Ökologie in Hannover anderthalb bis zwei Jahre nötig, um ein Verfahren zu entwickeln, die Flächenkontamination zu verhindern. Außerdem ist Silikon billiger als zweistellige Milliardenbeträge für neu konstruierte Behälter. Das weiß auch Ministerin Merkel.