Entschädigungen für Kollaborateure in Flandern

»Ungerechte Repression«

Das Komitee der Yser-Wallfahrt, das alljährlich flandrische Nationalisten, militante Separatisten und Rechtsextremisten aus ganz Europa zur gemeinsamen Feier im Norden Belgiens aufmarschieren läßt, sandte Mitte Juni einen herzlichen Glückwunsch an das Parlament der Region Flandern: Endlich sei es in einigen Fällen möglich, die sozialen Folgen "ungerechter Repression" zu mildern. Die Freude galt einem Dekret, dem die Mehrheit der Abgeordneten am 10. Juni zugestimmt hatte. Verfasser der Vorlage war Herman Suykerbuyk, Rechtsdozent an der Universität Leuven und Abgeordneter der christlich-sozialen Regierungspartei (CVP) Flanderns. Die Verordnung sieht vor, daß Personen, die nach dem Krieg wegen "unbürgerlichen Verhaltens" zwischen 1939 und 1945 belangt oder verurteilt wurden, nun auf Antrag und nach einer Einzelfallprüfung finanzielle Beihilfen erhalten können. Dafür müssen sie nachweisen, daß infolge staatlicher Maßnahmen eine "unsichere Existenzlage" entstand.

"Unbürgerliches Verhalten" ist eine vornehme Umschreibung für Kollaboration mit den Nazi-Besatzern, und die war in Flandern weitaus häufiger anzutreffen als etwa in der französischsprachigen Wallonie. "Während des Zweiten Weltkriegs stand ein großer Teil der flämischen Nationalisten auf seiten des Deutschen Reiches", bekräftigte voller Stolz noch 1992 der damalige Chef des rechtsextrem-völkischen Vlaams Blok, Karel Dillen. Eine Wertschätzung, die von der anderen Seite bis heute geteilt wird: Der einschlägigen Rassetheorie kundige Alt- und Neonazis wissen, daß Flamen - ähnlich wie Buren - als "niederdeutsche Stammesbrüder" zum arischen Kern der Menschheit zählen.

Unmittelbar nach der parlamentarischen Verabschiedung des Dekrets brach in Belgien ein Sturm der Entrüstung los. Der Hohe Rat der Kriegsopfer verurteilte die Gleichstellung der Kriegsopfer mit jenen, "die sie zu Kriegsopfern gemacht haben." Eine Delegation der Jüdischen Gemeinschaft Belgiens wurde am Sitz des flämischen Regierungschefs Luc van den Bande (CVP) in Brüssel vorstellig, um eine Protestnote zu überreichen. Arthur Haulot, ehemaliger Häftling in deutschen Konzentrationslagern, sprach von einer "unannehmbaren Schmähung" von rund 300 000 Kriegsopfern, die durch das Dekret mit den "Komplizen der Naziherrschaft" gleichgestellt würden. Scharf kritisiert wurde die Verordnung auch von Parlamentariern und Parteien der wallonischen Region. Die dortigen Christdemokraten (PSC) stellten fest, der Text suche Kriegsvergehen zu rechtfertigen, die auch heute noch eine deutliche Verurteilung verdienten.

Anlaß für die Kritik waren auch zwei weitere Aspekte: Zur Verabschiedung des Dekrets hatten die flämischen Christdemokraten erstmals die Stimmen des Vlaams Blok in Anspruch genommen, der bis dahin parlamentarisch konsequent isoliert worden war. Zudem ist strittig, ob die Verabschiedung des Dekrets überhaupt unter die Befugnisse des flandrischen Regionalparlamentes fällt. Die Verordnung verletze aufs Schärfste die geltenden Kompetenzen im föderalisierten Belgien, hieß es auch gleich von der belgischen Regierung in Brüssel. Sie kündigte einen Einspruch beim Schiedshof an, einer nationalstaatlichen Institution, die den regionalen Separatismus zähmen soll. Doch auf die flämische Regierung machten die Proteste keinen Eindruck: Mitte letzter Woche verabschiedete das Kabinett Van den Bandes die Vorlage des Parlaments.