Wer im Glashaus sitzt

Die DDR versuchte 1959 und 1961 Aktien aus jüdischem Besitz zu verkaufen. Der Bundestag zeigt kein großes Interesse an der Aufklärung des Vorgangs

"Des weiteren berichtet der GI über ein Sondergeschäft, welches er im Auftrage der Partei durchführt. Dabei handelt es sich um den Verkauf von Wertpapieren einer norwegischen Firma, die seit der Zeit des Faschismus im MdF liegen, an eine Gruppe von amerikanischen Interessenten. Bei diesen Papieren handelt es sich um Aktien, deren Besitzer aller Wahrscheinlichkeit nach Juden waren."

GI bedeutet "Gesellschaftlicher Informant", MdF ist die Abkürzung für das Ministerium der Finanzen, die Partei ist die SED - dieses Zitat aus einem "Treffbericht" des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) vom Februar 1959 ist einer der wenigen Hinweise, aus denen der Bundestagsuntersuchungsausschuß "DDR-Vermögen" den Schluß zieht, daß "diese Bemühungen auf Veranlassung der SED erfolgten, die dabei billigend in Kauf nahm, daß die Wertpapiere ursprünglich im Eigentum von - vor allem jüdischen - Opfern der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft gestanden hatten und diesen im Rahmen von NS-Verfolgungsmaßnahmen weggenommen worden waren".

Daß dieser Vorgang, so er denn stattgefunden hat, im Bericht des Untersuchungsausschusses so vorsichtig bewertet wird, hat allerdings weniger mit der Beweisnot zu tun, als mit der alten Weisheit, daß wer im Glashaus sitzt, nicht mit Steinen werfen sollte. Mittlerweile ist bekannt, daß praktisch jeder Staat, der nach dem Zweiten Weltkrieg in den Besitz enteigneten Vermögens gelangt war, damit Geschäfte gemacht hat, anstatt es zurückzugeben oder an einen Entschädigungsfonds abzuführen. In der DDR wurde enteigneter Grundbesitz häufig ein zweites Mal enteignet, mit der Begründung, daß Volkes Eigentum in die Hände des Volkes gegeben werden müsse.

So zurückhaltend die Bewertung,

so oberflächlich war schon die Untersuchung des Vorgangs durch den Ausschuß des Bundestages: Der Eindruck drängt sich auf, als würde hier eine Chance ausgelassen, eine weitere unmoralische DDR-Hinterlassenschaft mit dem dazugehörigen Getöse zu denunzieren.

Der Bericht des MfS-Unterleutnants Wurm von seinem Treffen mit dem GI "Halka" alias Feodor Ziesche, Angestellter der Deutschen Handelsbank (DHB) der DDR, fährt fort: "Die Papiere wurden von den Faschisten geraubt und im Fasch. Reichs Finanzministerium untergebracht, wo sie heute liegen." Hier liegt offensichtlich eine Verwechslung vor: Die Papiere lagerten in der Deutschen Reichsbank, einem mit Stahltresoren unterkellerten Gebäude, in dem nach 1949 zunächst das DDR-Finanzministerium und später das Zentralkomitee der SED residierte. Auf Befehl der Alliierten Kommandantur waren alle Wertpapiere von Banken und Handelshäusern hier zusammengefaßt worden. Nach Gründung der DDR gingen sie in deren Besitz über. Feodor Ziesche, der bis 1991 Chef der DDR-Außenhandelsbank war, bestätigte 1996 in einer Vernehmung durch den Untersuchungsausschuß, daß es Ende der fünfziger Jahre Versuche gegeben habe, diese Wertpapiere zu verkaufen.

Ein Großteil der Papiere von nun in Westdeutschland ansässigen Firmen war durch Bereinigung wertlos geworden, aber auch die ausländischen Wertpapiere, um die es hier ging, konnten nur weit unter Wert verkauft werden. Ziesche sagte aus, er habe von dem Geschäft "abgeraten", weil es im Verhältnis zum Aufwand zu wenig Devisen bringen würde: "Der GI bringt zum Ausdruck, daß durch dieses Geschäft, wenn es nicht in der vorgesehenen Form abläuft, größere Schwierigkeiten für unsere Partei auftreten können, d.h. geht das Geschäft schief und wird bekannt, daß die SED hinter dem Geschäft steht, dann kann dies durch die feindliche Propaganda ausgenutzt werden und der Partei sowie der DDR im Ansehen großen Schaden zugefügt werden", bestätigt der "Treffbericht" von 1959, wenn auch mit einer gänzlich anderen Begründung, diese Warnungen.

In einem MfS-Bericht aus dem Jahre 1961 ist jedoch von einem "zweiten Geschäft, das größeren Umfang hat", die Rede; das erste war demnach ein "Probegeschäft". Geld, so Ziesche 1996, sei jedoch nie geflossen, bei den Geschäftspartnern habe es sich um "Windmacher" gehandelt. Ansonsten konnte sich Ziesche vor dem Untersuchungsausschuß an wenig erinnern.

Die Ausschußmitglieder rekonstruierten den Vorgang auf der Grundlage von Dokumenten, die zum Teil nichtöffentlich sind. Danach war Ziesche nicht nur beratend tätig, sondern hat selbst die Verhandlungen um den Verkauf von Wertpapieren geführt. Der damalige Präsident der DDR-Notenbank habe nach einer "Dekonspiration" das Geschäft gestoppt, so der Untersuchungsausschuß. Ab 1962 lägen keine weiteren Unterlagen des MfS vor.

Diesem plötzlichen Ende der Operation ist der Untersuchungsausschuß jedoch ebensowenig nachgegangen wie dem Hinweis des Zeugen Ziesche auf "Karteikarten mit Aufstellungen über Personen und Hausbesitz und ähnliches". In einem Bericht an den Untersuchungsausschuß erklärte das Bundesfinanzministerium 1996, die "zu einem erheblichen Teil ausländischen Wertpapiere seien in einer noch heute existierenden Kartei erfaßt worden". Feodor Ziesche sagte aus: "Ich war einmal in den großen Tresorraum der Deutschen Handelsbank, das war in der Beerenstraße 22. Dort gab es eine große Kartei - die habe ich mir angeguckt, und da nahm ich an, daß es sich um das Vermögen von jüdischen Mitbürgern in Berlin handelte und daß diese Kartei Auskunft gab über Beschlagnahmen."

Nach dem Vernehmungsprotokoll des Untersuchungsausschusses fragt der Ausschußvorsitzende Volker Neumann (CDU) im folgenden weiter nach den Wertpapieren; der Hinweis auf die Kartei wird nicht weiter aufgegriffen, bis es um ein Gespräch mit dem Finanzstaatssekretär Alexander Schalck-Golodkowski geht, den Ziesche auf die Kartei aufmerksam gemacht haben will. Ob die Kartei, von der Ziesche sprach, identisch ist mit der, von der das Bundesfinanzministerium zu berichten weiß, hat den Untersuchungsausschuß offensichtlich nicht interessiert.

Die "Verwahrung und Verwertung" der noch vorhandenen Wertpapiere selbst sei nach der Wiedervereinigung in dem Bundesamt zur Regelung offener Vermögensfragen übertragen worden. Die Bundesregierung habe "Kenntnis davon erlangt, daß es in der DDR Bemühungen gegeben habe, Wertpapiere (...) im Westen zu veräußern". Ob diese Geschäfte abgeschlossen wurden, darüber weiß auch die Bundesregierung nichts. "Anhaltspunkte" gebe es lediglich dafür, daß die "Kunst und Antiquitäten GmbH" des DDR-Finanzstaatssekretärs Schalck-Golodkowski "im Jahre 1982 insgesamt 1 050 Stück IG Farben-Aktien erhalten habe". Zu welchem Zweck, auch darüber kein Wort: 1982 waren die Aktien der IG Farben-Liquidationsgesellschaft unter eine Mark gerutscht; die alten Aktien, um die es hier geht, hatten höchstens Sammlerwert.

Eine solche Transaktion wäre demnach vollkommen sinnlos gewesen, außer vielleicht als Geburtstagsgeschenk an Franz Josef Strauß oder den Bankier Hermann Josef Abs.