Befreier oder Betrüger?

Nach dem Tod eines prominenten Oppositionellen steht Nigerias Militärregime unter Druck

"God's special gift to the black race" (Gottes besonderes Geschenk an die Afrikaner) - das war in den Augen des nigerianischen Journalisten Okey Isionu der Politiker und Geschäftsmann Chief Moshood Abiola. Andere sahen in ihm nur den gleichzeitig gerissensten und gewandtesten Betrüger Nigerias. So besang der Musiker Fela Kuti vor zwanzig Jahren Abiola, der früher als Vertreter des US-Telefonmultis ITT in Nigeria reich wurde, als "International Thief Thief" (ITT). Am 7. Juli starb Nigerias wohl prominentester Gefangener im Alter von 60 Jahren während eines Besuchs einer US-amerikanischen Delegation an Herzversagen. Nur wenige Tage später sollte er aus dem Gefängnis in der Hauptstadt Ajuba freigelassen werden.

Vier Jahre hatte Abiola im Gefängnis zugebracht, nachdem er im Juni 1994 wegen Hochverrats verhaftet wurde - er hatte sich offiziell zum Präsidenten erklärt. Nicht ohne Berechtigung: Ein Jahr zuvor, am 12. Juni, annullierte der damals noch amtierende nigerianische Militär-Machthaber Ibrahim Babangida die Präsidentschaftswahlen, als sich abzeichnete, daß sein Freund und Vertrauter Moshood Abiola als Sieger aus ihnen hervorgehen würde.

Abiola, mehrfacher Dollar-Millionär, hatte mit der Unterstützung Babangidas und anderer Militärs jahrzehntelang gute Geschäfte mit Ölfeldern, Telefongesellschaften und Medienunternehmen gemacht. Abiola war Muslim, obwohl er aus dem Südwesten Nigerias stammte, wo überwiegend Christen und Angehörige animistischer Religionen leben. Auch hielt er - entgegen den politischen Vertretern seiner Region - gute Kontakte zu den aus dem Norden stammenden Machthabern Nigerias. Diese beauftragten die US-Telefongesellschaft ITT, als deren Repräsentant Abiola arbeitete, ein Telefonnetz für das westafrikanische Land aufzubauen. Im Gegenzug soll sich Abiola mit hohen Provisionen revanchiert haben.

Obwohl das Telefonnetz Nigerias bis heute nur mangelhaft funktioniert, da nur die billigsten Materialien verwendet (aber die teuersten abgerechnet) wurden, konnte sich Abiola allgemeiner Beliebtheit erfreuen. Er sei so reich, hieß es vor der Präsidentenwahl 1993, daß er es als Präsident gar nicht nötig habe, den Staat zu betrügen.

Die Militärs um Babangida setzten nach der Annullierung an die Stelle von Abiola eine Interimsregierung, die jedoch schon bald wieder gestürzt wurde: Im November 1993 putschte sich General Sani Abacha an die Macht, der als der meist gehaßte Militärdiktator seit der Unabhängigkeit 1960 galt - bis völlig überraschend am 8. Juni dieses Jahres sein Tod verkündet wurde. Auch hier wird als offizielle Ursache Herzversagen angegeben. Der Zeitpunkt von Abachas Tod entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Seit 1993 ist der 12. Juni für die Opposition der Tag des Widerstands, an dem es alljährlich Aufruhr und Revolten gibt. Auch dieses Jahr gingen - vor allem im Südwesten des Landes - viele Menschen auf die Straßen, forderten freie Wahlen und ein baldiges Abtreten der Militärregierung.

Die nach Abachas Tod schleunigst eingesetzte neue Nummer eins in Nigeria, General Abdulsalam Abubakar, schritt schnell zur Tat und ließ mehrere politische Gefangene frei, um die Lage zu beruhigen. Wurde er hierfür zwar durch eine Wiederannäherung des Commonwealth, aus dem Nigeria wegen der Hinrichtung von neun Menschenrechtsaktivisten 1995 suspendiert worden war, belohnt, so halfen ihm die Freilassungen nicht, für Frieden innerhalb Nigerias zu sorgen. Die Nachricht vom Tod Abiolas führte rasch zu neuen Unruhen.

In Lagos, der größten Stadt Nigerias, in Abiolas früherem Wohnort Abeokuta und in Ibadan, alle Städte liegen im Südwesten des Landes, errichteten Studenten Barrikaden, griffen Militärfahrzeuge an, stürmten Gerichtsgebäude und zündeten diese an. Schon nach einigen Stunden kamen die sogenannten "area-boys" hinzu - in Banden organisierte Jugendliche, deren sozialer Protest aus einer Mischung aus Hunger, Haß auf das Militär und roher Gewalt resultiert. Bis zum Wochenende kam es in allen größeren Städten im Süden und Westen Nigerias immer wieder zu Angriffen gegen Häuser und Fahrzeuge von Politikern aus dem Norden, einhergehend mit Morden, Vergewaltigungen und Plünderungen. Ein Teil der Gewalt richtete sich aber auch gegen aus dem Norden stammende, Hausa sprechende Bevölkerungsteile. Insgesamt sollen bis Sonntag 60 Menschen getötet worden sein.

Obwohl ein Autopsiebericht eines internationalen Ärzteteams eine unnatürliche Todesursache - also Mord - ausschließt, wird immer noch dem Regime die Schuld an Abiolas Tod gegeben, zumal sich dieser nach einem posthum veröffentlichten Brief als Opfer einer internationalen Verschwörung präsentierte.

Unterschiedliche Herkunftsregionen haben in Nigeria schon immer als Erklärung für Gewalt herhalten müssen. Viele der aus dem Südwesten stammenden Yoruba setzen die Militärherrschaft mit der Herrschaft des Nordens über den Süden gleich. Tatsächlich haben es alle Militärregierungen wohl verstanden, die Eliten aus allen großen Bevölkerungsgruppen bei der Verteilung der Ressourcen einzubinden, gleichzeitig aber die politische Macht weitgehend in den Händen von Mili tärs aus dem Norden zu konzentrieren. Auch die föderale Struktur des Landes, die als Reaktion auf einen von 1967 bis 1970 unternommenen Sezessionsversuch (Biafra-Krieg) des Südostens Nigerias eingeführt wurde, trägt der ökonomischen Abhängigkeit des Nordens vom erdölreichen Süden Rechnung.

Dennoch sieht sich General Abubakar zur Zeit erheblichem Druck ausgesetzt. Die Entlassung des Kabinetts, das sich aus Abacha-treuen Militärs und Zivilisten zusammensetzte, erfolgte Mitte letzter Woche. Der provisorische Regierungsrat hingegen, dem allein Militärs angehören und der schon zuvor als eigentliches Machtzentrum fungierte, blieb zunächst unangetastet. Der Rat gilt als politisch offener, da in ihm die Freunde und Förderer Abubakars die Mehrheit haben.

Bereits unter Babangida war Abubakar Geheimdienstchef, unter Abacha Leiter militärischer Einheiten für innere Angelegenheiten. Dennoch stand er dem Plan seines Chefs, sich bei Wahlen, zu denen nur loyale Parteien zugelassen wurden, zum zivilen Präsidenten wählen zu lassen, nicht sehr enthusiastisch gegenüber. Damit war Abubakar nicht allein: Vor wenigen Monaten hatte eine Gruppe von 18 Politikern und Militärs Abacha in einem Memorandum aufgefordert, von seinen Plänen, sich per inszenierter Wahlen legitimieren zu lassen, Abstand zu nehmen.

Abubakar scheint die politische Isolation Nigerias nun beenden zu wollen: weitere Oppositionelle sollen freigelassen, Exilierten soll die Rückkehr erlaubt werden. Auch sei ein Plan zur Übergabe der politischen Macht an zivile Politiker in Vorbereitung, gab der Staatschef letzte Woche bekannt. Positive Signale erhielt er dafür umgehend aus Südafrika, Großbritannien und vom größten Handelspartner Nigerias, den USA. Die nigerianische Opposition hingegen ruft dazu auf, keine voreiligen Schlüsse aus ein paar Freilassungen zu ziehen. So erklärte die National Democratic Coalition (Nadeco), ein Zusammenschluß führender Oppositioneller, daß die "positiven Errungenschaften des 12. Juni 1993" auch ohne Abiola fortgesetzt würden. Damit spielen sie auf die weitverbreitete Auffassung an, bei diesen Wahlen habe es sich um das erste halbwegs freie Votum gehandelt.

Eine weitere Oppositionsgruppe, die Movement for the Survival of the Ogoni People (MOSOP), fordert von der Regierung, zu nationalen Einigungsbemühungen konsultiert zu werden. Abubakar wird zudem vorgeworfen, politische Reformen nicht rasch genug durchzusetzen. Olisa Agbakoba, einer der Oppositionellen, die bereits freigelassen wurden, kritisiert, Abubakar sei nur daran interessiert, international Kooperation vorzugaukeln. Auch werden verstärkt Separationsforderungen aus dem Südwesten gestellt. Die internationale Gemeinschaft hingegen wird beschuldigt, nicht ernsthaft auf Reformen zu drängen, sondern einzig daran interessiert zu sein, weiter Handel mit Nigeria treiben zu können.

Dafür spricht, daß der Sprecher der US-amerikanischen Delegation, Thomas Pickering, eine eventuelle Aufhebung der Handelsbeschränkungen gegen Nigeria (die ohnehin nur auf dem Papier bestanden) nur von einem forcierten Kampf des Regimes gegen den Drogenhandel in Westafrika abhängig macht.