Märtyrer und Moneten

Das Sieger-Image der österreichischen Freiheitlichen ist dahin - trotz eines Rettungsparteitages

Schwarz-weiße Plakate säumen Österreichs Straßenränder. Ein sichtlich verjüngter und hilflos dreinschauender Jörg Haider grinst darauf und bettelt um Hilfe: "Er ist den Mächtigen im Lande im Weg", lautet der Begleittext.

Die politische Exhumierung des Märtyrergedankens kommt plötzlich. Bisher erschien Haider seinen Wählern als erfolgsverwöhnter Sunnyboy, der sich höchstens für das Land aufopfert, aber dank Jugend, Tugend, Ehrlichkeit, Power und Cleverness im politischen Kampf mit den etablierten Parteien sowieso am längeren Hebel sitzt. Doch aus dem Robin Hood von einst wurde in der neusten FPÖ-Kampagne Schneewittchen, das vor den bösen Wölfen zu fliehen hat. Diese sind im einfach gestrickten Rollenspiel der FPÖ-Werber die politischen Konkurrenten und die Medien, die in den letzten Wochen Spott über der Partei ausgossen. Und dazu gab es allen Grund:

Im April setzte sich der Kassierer der FPÖ- Fraktion im Parlament, Peter Rosenstingl, nach Brasilien ab - nachdem er Banken und der FPÖ selbst ein Finanzloch von rund 210 Millionen Schilling (30 Millionen Mark) beschert hatte. Der Abgang Rosenstingls machte Haider keine Sorgen, er pochte darauf, daß dies ein Problem Rosenstingls und der Mann aus der FPÖ ausgeschlossen sei. Als weitere FPÖ-Funktionäre in den Fall verwickelt wurden, stritt Jörg Haider ab, etwas vom Finanz-Wirrwar Rosenstingls gewußt zu haben. Sein Krisenmanagement verlor dabei jedoch deutlich an Brillanz (Jungle World, Nr. 24/98).

Dann war auch das von der FPÖ gestartete Ablenkungsmanöver an Plumpheit kaum zu überbieten. Haiders mit Bullterrierqualitäten ausgestatteter Generalsekretär Peter Westentaler pflasterte die regierenden Sozialdemokraten mit Mafia-Vorwürfen zu. Zu jedem anderen Zeitpunkt wäre dies medial dankbar aufgenommen worden. Nicht so jetzt. Nur schwer konnte Westentaler seine Enthüllungen, führende Sozialdemokraten stünden auf den Gehaltslisten mafianaher russischer Firmen, in die Schlagzeilen bringen.

Weil das alles nichts mehr nützte, forderte Haider von seiner Partei schließlich eine Radikalkur. Medienwirksame Schlagwörter wurden kreiert: Parteineugründung, gläserne Partei, Demokratievertrag. Essenz der Image-Kampagne: Die politischen Funktionäre der FPÖ werden genötigt, einen Vertrag zu unterschreiben, der sie an die Einhaltung ihrer Wahlversprechen und die FPÖ-Linie bindet. Konsequenz: Wer nicht spurt, fliegt raus.

Beim FPÖ-Parteitag am 4. Juli in Linz unterschrieben denn auch 850 der 1 050 Delegierten den Knebelvertrag. Die übrigen 200 Aufmüpfigen sollen binnen eines Monats unterschreiben - oder sie werden ausgeschlossen. Haider sicherte sich selbst die letzte Instanz in Personalfragen - er darf nun uneingeschränkt den Henker spielen. Doch bei einigen prominenten FPÖlern muß er das blutige Handwerk nicht mehr ausüben: Etwa hat der prominente Wiener FPÖ-Gemeinderat Rüdiger Stix die Partei bereits verlassen. Er will bei den nächsten Gemeinderatswahlen mit einer eigenen Stadtpartei antreten.

Juristen halten den Demokratievertrag verfassungsrechtlich für brenzlig: Das Prinzip des freien Mandats wird praktisch abgeschafft. Der Spielraum des einzelnen Funktionärs wird extrem klein. Er muß künftig auch die Wahlversprechen Jörg Haiders mittragen, ob es ihm paßt oder nicht.

Nicht ganz einwandfrei klappt zudem die Sache mit der gläsernen Partei. Unter diesem Stichwort summierte Haider sein Versprechen, der FPÖ eine Portion Glasnost zu verpassen. Jeder sollte ab nun in die Parteifinanzen Einblick haben, hieß es zuerst. Beim Parteitag klang das schon anders. Nur die Kernbereiche des Finanzgestrüpps der FPÖ würden offengelegt, der Rest könnte nur von einem kleinen Kreis FPÖ-naher Personen durchgecheckt werden.

Schließlich mißlang auch noch der Abschluß der Image-Posse. Haiders Saga von der Kritikfähigkeit der Partei - jeder Bürger könne künftig bei einem unabhängigen Anwalt Beschwerden über FPÖ-Politiker deponieren, hieß es vor dem Parteitag - stieß auf mangelndes Interesse: Es fand sich einfach kein Anwalt. Und so werden künftig Beschwerden bei dem 77jährigen FPÖ-Haudegen Helmut Jossek entsorgt. Zu viel Durchschlagskraft kann man dem rüstigen Rentner kaum vorwerfen.

Aus der Image-Offensive wurde ein Flickwerk der Schadensbegrenzung. Jörg Haider hat sich die Blöße gegeben, bei aller persönlichen Machtfülle keine Basis für die wankenden Freiheitlichen gefunden zu haben. Die Funktionäre sind zwar durch den Demokratievertrag vorerst gebändigt, im gleichen Maße werden aber die Fliehkräfte stärker. Viele FPÖ-Anhänger wenden sich enttäuscht von der ehemals dynamischsten aller Parteien ab: In den letzten drei Monaten fiel die Wählergunst von 26 auf 18 Prozent.

Und selbst profane Wünsche der FPÖ gehen nicht mehr in Erfüllung. Nach dem Parteitag - und vor dem Viertelfinale der Fußball-WM - ließ Generalsekretär Westentaler damit aufhorchen, das Präsidium habe "beschlossen, daß Deutschland Fußballweltmeister wird".