Nazis sind keine Rocker

Ein Steitgespräch zwischen Titus Simon, Professor an der Fachhochschule Magdeburg, und Andreas Speit, Mitarbeiter der Antifa-Zeitschrift Der rechte Rand, über akzeptierende Jugendarbeit

Andreas Speit: Am 1. Mai begleiteten Streetworker rechtsradikale Jugendliche auf die NPD- und JN-Demonstration "Arbeit zuerst für Deutsche" nach Leipzig, ebenso wie schon am 14. März bei der Anti-Antifa-Demo in Saalfeld. Interpretiert die akzeptierende Sozialarbeit die extrem rechte Szene als Selbstfindungsstruktur?

Titus Simon: Wenn dies ein Aspekt der akzeptierenden Jugendarbeit ist, dann bin ich kein Vertreter dieses pädagogischen Konzeptes. Akzeptanz bedeutet nicht, bestimmte Verhaltensweisen zu tolerieren oder zu forcieren. Akzeptanz bedeutet, die Jugendlichen in ihrer politischen Integrität erst einmal anzunehmen, ihre persönlichen Probleme aufzugreifen und zu versuchen, im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten, auf ihre Entwicklung Einfluß zu nehmen.

Ohne Konflikte geht es nicht, und das beginnt bei der Gestaltungsmacht und Grenzziehung im Alltagsleben der Jugendeinrichtungen. Konkret bedeutet dies u.a. zu hinterfragen, welche Musik läuft und welche Sprachregelungen gelten, insbesondere bei rassistischen und sexistischen Äußerungen.

Ohne diesen konfrontierenden Ansatz bleibt von der akzeptierenden Jugendarbeit nur ein fatales Begleiten.

Speit: In der Praxis ist der konfrontierende Ansatz doch die Ausnahme. Die Regel ist, daß Nazibands in diesen Projekten proben können, wie es beispielsweise die Gruppe Endstufe im Magdeburger "Brunnenhof" jahrelang praktizierte. Oder es gehen Nazikader ein und aus, wie Sascha Bothe in der Tostedter "Baracke". Resultiert dies nicht aus der Theorie, wie sie vor allem von Prof. Franz Josef Krafeld formuliert wird: Die akzeptierende Jugendarbeit lehnt die Belehrung oder Bekämpfung rechtsextremistischer Orientierungen ab, um sich den Problemen der Jugendlichen anzunehmen.

Simon: Ohne Frage kam es in einigen Projekten zu Fehlentwicklungen, nachdem sie 1992 durch die Bundesregierung, als Reaktion auf die Brandanschläge und Übergriffe rechtsextrem motivierter Jugendlicher, im Rahmen des Aktionsprogrammes gegen Aggression und Gewalt (AgAG), gegründet wurden. Vereinzelt ist den SozialpädagogInnen der Alltag aus der Hand geglitten. Allerdings werden zu Unrecht immer wieder die spektakulären und dramatischen Fakten skandalisiert.

Vergessen wird, daß der akzeptierende Ansatz nicht primär auf die politische Gesinnung ausgerichtet ist. Im Vordergrund stehen soziale Auffälligkeiten und Desintegrationspotentiale, die fatalerweise politisch rechts motiviert sind. Folglich operiert man an den Symptomen. Für mich und viele FachkollegInnen ist eine derartige Reichweite zu gering.

Speit: Krafelds selbstgestellter pädagogischer Auftrag, nicht die rechten Denkmuster zu negieren, sondern die gewalttätige Ausdrucksform zu kanalisieren, darf also als zentrale Mission der akzeptierenden Jugendarbeit interpretiert werden. Das Anliegen der Stadtverwaltung, die die Mittel nach einen Übergriff oder Anschlag bereitstellt, ist bereits erfüllt, wenn die Stadt befriedet und aus der medialen Öffentlichkeit verschwunden ist.

Simon: Manchmal kann man diesen Eindruck gewinnen. Die SozialarbeiterInnen formulieren ein Konzept, die PolitikerInnen delegieren die Konflikte an sie, und alles soll wieder ruhig und friedlich werden.

Krafeld sollte aber nicht so interpretiert werden. Um ein positives Beispiel zu geben: Zuerst muß die Reichweite des Projektes abgesteckt werden. Wir haben wenig Einfluß auf die allgemeine Situation der Jugendlichen, aber wir haben sehr viel mehr Einfluß auf die Probleme von einzelnen. In Einzelgesprächen und Gruppenarbeit muß versucht werden, ihre Probleme zu lösen, danach erst kann man daran gehen, ihre rechten Denkmuster aufzubrechen. Allerdings nur, wenn die SozialarbeiterInnen sich eine hohe Interventionsberechtigung bei ihrer Klientel erarbeitet haben. Konfliktfähigkeit ist hier gefragt und nicht Harmoniestreben.

Hier liegt genau die Professionalität, die ich oft vermisse. Die Definitionsmacht in den Einrichtungen wird verspielt und die Kader gewinnen sie. Mit der Folge, daß sie den Alltag bestimmen. Vor allem ABM-Kräfte sind da meistens überfordert.

Speit: Das Konzept basiert im wesentlichen auf Wilhelm Heitmeyers Thesen. Bereits Anfang der neunziger Jahre widerlegte u.a. Birgit Rommelspacher seine These von den Modernisierungsverlierern und dem damit implizierten Gleichsetzung von Modernisierungsopfern mit rechten Täter. Sie widerlegte auch Heitmeyers wie Krafelds Argument, daß Jugendliche keine Orientierung und keine Normen hätten. Mittlerweile ist die Kritik von diversen empirischen Studien konkretisiert worden. Doch die akzeptierende Jugendarbeit orientiert sich immer noch an dem vermeintlich arbeitslosen Jugendlichen, der keine Werte verinnerlicht hat und keine Zukunft für sich sieht.

Simon: Das sehe ich nicht ganz so. Auch wenn der Heitmeyerische Ansatz teilweise fragwürdig ist, muß nicht gleich der akzeptierende Ansatz gänzlich in Frage gestellt werden. Dieser ist nicht von Heitmeyer. Er hat die theoretische Fragestellung formuliert, in der Praxis wurde dies von Krafeld aus Bremen umgesetzt.

Der Ansatz aber basiert auf den Prinzipien von Jörg Kraußlach. In den siebziger Jahren hatte er in Hamburg mit Rockern gearbeitet und einen konfliktorientierten Ansatz entwickelt, der zugleich akzeptierte, ohne bestimmte Tendenzen oder Aktionen zu tolerieren. In vielem ist sein Konzept identisch mit dem, was heute akzeptierende Jugendarbeit genannt wird. Nur mit dem Unterschied, daß er den Begriff nicht verwendete. Dann geriet dieser Ansatz aber fatalerweise in Vergessenheit. Er darf aber auch nicht so einfach auf die aktuelle Situation übertragen werden.

Speit: Der Mainstream der SozialpädagogInnen bezieht sich aber auf das Konzept der akzeptierenden Sozialarbeit, wie sie in den achziger Jahren für Punks, Hooligans und Drogensüchtige entwickelt wurde - mit dem Ziel, die Stigmatisierung und Isolierung aufzubrechen. Wurde das Konzept nicht einfach nur übernommen und nicht beachtet, daß die einen isoliert waren und sind, während die rechtsmotivierten Jugendlichen integriert sind?

Simon: Ich teile Ihre Auffassung. Man hat Anfang der neunziger Jahre Situationen erlebt, wo Erwachsene, symbolisch oder auch real, Beifall klatschten, als rechte Jugendliche Flüchtlingsunterkünfte angriffen und anzündeten. Rostock-Lichtenhagen, Hoyerswerda sind zwei Beispiele, wo man wahrgenommen hat, daß die Handelnden eine Akzeptanz in der Bevölkerung finden und als verlängerter Arm der Mitte der Gesellschaft agierten. Von einer Randgruppenarbeit kann man also wirklich nicht mehr sprechen.

Trotzdem muß ich widersprechen. Die akzeptierende Sozialarbeit hat zwei unterschiedliche Wurzeln: Der erwähnte Ansatz von Kraußlach, die andere stammt aus der Drogenarbeit. Ende der achziger Jahre entwickelte sich der akzeptierende Ansatz, in dem Sinne, daß die Drogenabhängigen mit ihrer Sucht und Verwahrlosung angenommen wurden. Und wenn einer nicht clean werden wollte, so begleitete und unterstützte man ihn trotzdem. Der Entzug ist also nicht primär, außer der Klient will es. Dies setzte voraus, vor Ort, auf der Straße zu sein.

Als sich Ende der achziger Jahre schlagkräftige Skingruppen entwickelten, die in die rechte Szene verstrickt waren, griff man auf diese Überlegungen zurück, um auf die Jugendlichen zuzugehen und sie anzusprechen. Inwieweit die pädagogischen Angebote immer angemessen sind, kann nur in der Analyse des jeweiligen Projektes bestimmt werden. Teilweise ist aber die pädagogische Grundidee einfach übertragen worden, ohne sie mit den Bedingungen vor Ort abzustimmen. Dies ist natürlich ein fachlicher Mangel, der behoben werden muß.

Speit: Das akzeptierende Konzept definiert immanent die rechtsmotivierten Jugendlichen als Teil einer Subkultur. Dabei negiert es gänzlich, daß die rassistischen und nationalistischen Verhaltens- und Denkmuster die Dominanzkultur in Deutschland repräsentieren, die nicht marginalisiert sind, sondern den gesellschaftlichen Konsens wiedergeben.

Simon: In der Tat ist es so, daß dieser Aspekt mißachtet wird. In vielen ostdeutschen Städten ist die Glatzenkultur die Dominanzkultur. Kritikern wie Bernd Wagner muß man da recht geben. Es gibt ganze Stadtteile, wo es nicht mehr möglich ist, ohne Gefahr für Leib und Leben eine andere Kultur zu haben. Rechts zu sein, ist dort der Mainstream.

Das ist eine veränderte Situation und von daher müssen die Prinzipien der akzeptierenden Jugendarbeit aus einer anderen Perspektive reflektiert werden.

So müßte diskutiert werden, wie man einerseits mit den Rechten umgeht und wie man sich andererseits für alle Nicht-Deutschen, Farbigen oder Jugendliche mit einer anderen kulturellen Orientierung einsetzen kann. Wobei die Begrenztheit sozialpädagogischer Instrumentarien bedacht werden sollte.

Speit: Sind die pädagogischen Konzepte der akzeptierenden Jugendarbeit nicht gescheitert? Was bleibt, sind Jugendzentren, die zu Nazistrukturen transformiert sind sowie eine weitere Stärkung der nationalen Formierung.

Simon: Das würde ich so nicht sagen. Man muß aber den Ansatz der akzeptierenden Jugendarbeit völlig neu denken. Ende der neunziger Jahre sollte ein sehr umfassendes und tiefgreifendes Resümee gezogen werden. Diese Debatte gilt es in Ost und West zu führen. In Magdeburg hat diese Diskussion bereits begonnen.