Das G'schäft geht weiter

Aufbruchsstimmung in Lassing: Die meisten Einsatzkräfte sind abgezogen, ebenso viele Medien.

Jetzt beginnen in Österreich die Nächte der langen Messer Lassing in der Nacht vom 2. auf den 3. August. Gerade hat die Einsatzleitung das niederschmetternde Ergebnis der ersten Kamerafahrt in jenen Hohlraum in 130 Meter Tiefe bekanntgegeben, in dem die zehn verschütteten Kumpel vermutet wurden: Kein Lebenszeichen. Aber eine Hoffnung gebe es noch: Wegen der schlechten Lichtverhältnisse und des Blickwinkels der Mini-Kamera sei nur ein Drittel des sogenannten Domes von der Kamera erfaßt worden. Einige Einheimische haben sich trotz der kalten Nacht im Versorgungsbereich für Medien und Hilfskräfte versammelt. Eine Unterhaltung kommt kaum auf, gebannt starren sie zu den Bohrtürmen am Werksgelände der Naintsch GesmbH. Alfred Maier, Einsatzleiter, kommt von der Baustelle, zwei Polizisten einer Sondereinheit folgen ihm. Plötzlich springt einer der Dörfler auf und versucht, Maier anzugreifen. Nur mit Mühe können die beiden Bodyguards den Mann beruhigen. "Der gehört sofort bestraft, und wenn ihr das nicht macht, machen wir das", schreit der Mann. Alfred Maier von der Obersten Bergbehörde in Wien und bislang Einsatzleiter in Lassing ist der Hauptfeind der Lassinger.

Schon Tage vor der Rettung des Bergmannes Georg Hainzls hat Maier in einer Pressekonferenz den Abbruch der Bohrarbeiten empfohlen. Diese Bemerkung und das offensichtlich mißglückte Krisenmanagment haben ihm die Lassinger nicht verziehen. Seitdem genießt Maier Polizeischutz. Inzwischen hat er sich ins ferne Wien gerettet. Georg Plaschke ist sein Nachfolger als Einsatzleiter.

Auch im Gasthaus Matischweiger wallen die Gefühle auf. Gestandene Mannsbilder sitzen bei ihrem Bier und schwanken zwischen Trauer und Wut. Maier solle gleich ins Bergwerk geworfen werden. Samt Management der Grube und Österreichs Wirtschaftsminister Johannes Farnleitner. Auch wenn es nicht so weit kommen wird: Lassing wird Konsequenzen haben.

Zuerst einmal politische. Seit Beginn des Grubendramas steht Wirtschaftsminister Farnleitner im Zentrum der Kritik. Unter seiner Verantwortung laufen die Rettungsarbeiten und er war bisher die oberste politische Instanz für deren Fortgang. Doch Politiker Farnleitner zeichnet sich nicht unbedingt durch besondere Sensibilität aus. Mit seinen coolen Stellungnahmen gegenüber Journalisten plauderte er sich in den vergangenen drei Wochen in den Rücktritt. Wenige Stunden vor Georg Hainzls Rettung meinte der Minister nonchalant bei einem Besuch in Lassing: "Alles tot, keine Hoffnung mehr." Bequem stand er, umgeben von Sicherheitsleuten und Journalisten rund 60 Meter über dem Jausenraum, in dem Georg Hainzl seiner Rettung harrte und sprach dem Bergmann die Chance auf Leben ab.

Am vorvergangenen Montag bediente Farnleitner abermals seine Todessehnsucht. Gerade war klargeworden, daß in jenem unterirdischen Dom keiner der Bergleute war, und schon erwartete Farnleitner "ein baldiges Ende der Rettungsarbeiten". Am späten Nachmittag, nachdem man doch entschieden hatte, an anderer Stelle weiterzubohren, verfügte sich der Minister in den Urlaub. Vorher aber setzte er in einem Interview mit einem Nachrichtenmagazin noch einen drauf: "Das G'schäft geht weiter, Lassing ist eben dazugekommen."

Für die Familien der Verschütteten geht "das G'schäft" derzeit nicht so reibungslos weiter. Wie auch für die Lassinger. Zwar sind die Naintsch-Werke der einzige größere Arbeitgeber im Ort, aber keiner der verbliebenen Bergleute möchte in einem Bergwerk arbeiten, das vielleicht für zehn Kumpel zum Grab geworden ist.

Immerhin drängte die Bergwerksleitung schon Stunden nach der Verschüttung Georg Hainzls auf einen Weiterbetrieb. Hainzl sei ohnehin verloren, also weiter zur Tagesordnung, so der Tenor. Nur durch diese Haltung konnte es überhaupt zum folgenschweren Unglück kommen, anscheinend nur wegen des Drucks des Managements stiegen die zehn Kumpel hinab in den Stollen, der nun ihr Grab sein könnte. In einem Gespräch mit Jungle World bestätigt der Privatdetektiv Georg Krasser diese Annahme. Vor zwei Wochen wurde er von den Angehörigen der zehn Verschütteten beauftragt, vor Ort die Umstände des Unglückes zu recherchieren und den Verdacht der "fahrlässigen Gemeingefährdung mit Todesfolge" zu untersuchen. Krasser spricht von Telefonaten einiger Kumpel mit ihren Familien, in denen die Bergleute versicherten, da nicht mehr hinunterzusteigen. Sie taten es Stunden später doch.

Obwohl die Betreibergesellschaft des Unglücksbergwerkes noch am Dienstag der vergangenen Woche die Version aufrechterhalten wollte, die zehn seien zur Rettung Georg Hainzls in das instabile Stollensystem vorgedrungen, kann das stark bezweifelt werden. Warum schickte man die Bergleute in ein Stollensystem in 130 Meter Tiefe, wenn Hainzls Jausenraum in nur 60 Meter Tiefe lag? Warum mußten die zehn überhaupt hinunter, wenn man auch professionelle Hilfe hätte anfordern können?

Detektiv Krasser verfügt über einen Plan des Bergwerkes, und der macht deutlich: Zwischen dem Stollensystem, in dem die zehn vermutet wurden und dem Aufenthaltsort Georg Hainzls gibt es keine unterirdische Verbindung. Warum also sollten sich die Kumpel erst mühsam von 130 Meter Tiefe auf 60 Meter Tiefe buddeln, wenn von oben alles viel schneller geht?

Deshalb muß angenommen werden, die Bergwerksleitung hatte nur die Rettung der Grube im Sinn, als der Berg sich bewegte. Auch der Lassinger Vizebürgermeister Alois Stangl, der in den letzten Wochen die laschen Behörden immer wieder auf Trab zu bringen versuchte, assistiert dieser Theorie: "Sogar die Bergwerksleitung hat einmal gesagt, daß es wohl keine Möglichkeit gebe, vom Stollensystem aus zu Hainzl durchzubrechen." Seit der Berg die zehn Verschütteten nicht freigeben mag und oben bei der Einsatzleitung Management durch Chaos geübt wird, wurde Stangl zum Lokalhelden. Täglich stellte er sich vor die Fernsehkameras, täglich flehte er um Hilfe. Bei den Bürokraten aus Wien stieß Stangl auf wenig Gegenliebe.

"Ganz zu Beginn der Rettungsarbeiten habe ich mal den Alfred Maier gebeten, jedes nur denkbare Rettungsgerät herbringen zu lassen, auch wenn man es nicht braucht", erzählt Stangl gegenüber Jungle World. Doch Bürokrat Maier blieb nach Stangls Aufforderung hart: Es mache keinen Sinn, hier eine häßliche Gerätehalde zu schaffen, wenn man die Dinge dann ohnehin nicht brauche.Man brauchte sie. Aber bitteschön aus Österreich. Die Hilfsangebote aus Deutschland wurden vorerst mal abgelehnt. Ein Transport mit Spezialbohrern aus Deutschland wurde an der Grenze zu Österreich zwei Tage lang festgehalten.

Auch als man sich zu Beginn der vergangenen Woche entschlossen hatte, mittels Hammerbohrungen zu zwei vermuteten Luftblasen in 145 und 175 Meter Tiefe vorzustoßen, wurde erst mal abgewartet. Das Bohrteam aus der Schweiz forderte die Einsatzleitung erst am Dienstag an, obwohl man schon seit zwei Wochen die Möglichkeit erwog, die beiden Luftblasen anzubohren. Im Ort halten sich hartnäckig Gerüchte von ehemaligen Bergleuten, das Werk sei zu profitabel gewesen. "Man hat das Talkum sehr schnell abgebaut und ist nicht mehr mit der Sicherung der alten Stollen nachgekommen", erzählen einige Bergleute im Gasthaus Matischweiger. Seit zehn Jahren sei solch ein Raubbau betrieben worden. Dies könnte ausschlaggebend für eine Destabilisierung des Stollensystems gewesen sein.

Jetzt rücken viele ab vom Lassinger Katastrophenort. Eigentlich sollten die Rettungsarbeiten schon zu Beginn der vergangenen Woche aufhören. Ein ärztliches Gutachten nahm ihnen aber nicht die Verantwortung ab. Es sprach von einer Überlebenschance der Bergleute bis zu zwei Monaten. Einen Tag später kam dann ein anderes Gutachten, das ein Überleben "über den 20. Tag hinaus" ausschloß. Praktisch, daß dieses Gutachten am 19. Tag nach Beginn der Katastrophe eintraf. Die Bohrarbeiten wurden nur deshalb nicht abgebrochen, weil Österreichs Regierungschef Viktor Klima ein Weiterbohren bis zum bitteren Ende befahl.

Rudolf Wüstrich, Chef der Obersten Bergbehörde spricht gegenüber Jungle World von "Bohrungen der Menschlichkeit", die jetzt stattfinden. Die Hammerbohrungen "kosten eh nicht viel, das ist dann schon wurscht". Wüstrichs Wurstigkeit mag mit seiner düsteren Zukunft zu tun haben, denn inzwischen ist die Forderung nach einer vollständigen Auflösung seiner Bergbehörde immer lauter geworden. Am vergangenen Wochenende forderte gar der mächtige Landeshauptmann von Niederösterreich, Erwin Pröll, die vollständige Abschaffung der Behörde, die ein "Relikt aus der Monarchie" sei.

Aber auch Wüstrichs Chef, Wirtschaftsminister Farnleitner, der aus der ÖVP kommt, wird durch die Ereignisse wahrscheinlich hinweggerafft werden. Fast alle österreichischen Medien fordern den Rücktritt des Ministers, und die Oppositionsparteien werden einen Untersuchungsausschuß im Parlament einsetzen.

Zwar mußte sich der sozialdemokratische Kanzler Klima, der einer SPÖ/ÖVP-Koalition vorsteht, aus Koalitionsdisziplin zurückhalten, die sozialdemokratischen Parlamentarier jedoch müssen das nicht. Sie werden wohl der Empfehlung der SPÖ-dominierten Gewerkschaften folgen und Farnleitner gemeinsam mit der Opposition über die Klinge springen lassen. Ein Verlust aber ist der Abgang des überforderten Ministers auch für seine eigene Partei nicht, schon vor Lassing stand er auf der Abschußliste von ÖVP-Chef und Vizekanzler Wolfgang Schüssel. Und so werden wir wohl auch nicht mehr erfahren, ob sich der Farnleitner Fahrnleitner (News, Presse) oder gar nur Farnleitner (Kurier, Jungle World) schreibt. Sei's drum.