Drei Stück nach Tschechien

Nach dem Freiberger Unfall, bei dem sieben Flüchtlinge starben, bemüht sich der BGS um eine schnelle Abschiebung der Überlebenden

Beatmet durch Schläuche, kämpft Aferdita Mehai auf der Intensivstation des Chemnitzer Krankenhauses gegen ihre schweren Verletzungen an. Auch die Beamten des Bundesgrenzschutzes (BGS) warten darauf, daß die Kosovo-Albanerin wieder ansprechbar ist. Denn dann kann sie aus dieser Station verlegt werden, und Verlegung bedeutet in ihrem Fall die "Rückschiebung" nach Tschechien. Schließlich liegt die Abschiebeverfügung längst neben dem Krankenbett der Schwerverletzten. Am 30. Juli ist Aferdita Mehai schwer verunglückt. Zusammen mit 26 weiteren Kosovo-AlbanerInnen versuchte sie, aus dem Kriegsgebiet in die Bundesrepublik einzureisen. Die deutsche Grenze war bereits passiert, die Flüchtlinge waren auf einem Kleintransporter auf der Strecke aus dem Grenzgebiet heraus, als beim sächsischen Freiberg Beamte des BGS das auffällige Fahrzeug nach längerer Verfolgung aus dem Verkehr ziehen wollten. Anstatt anzuhalten und sich und die Flüchtlinge den Behörden auszuliefern, gab der Fahrer Gas. Die Flucht endete an einem Pfeiler. Sieben Menschen starben, die restlichen 20 wurden verletzt; zum Teil schwer. Nur eine Woche später spielte sich eine ähnliche Szene im benachbarten Aue ab. Diesmal wurde eine Polizeistreife durch einen eifrigen Bürger auf den Plan gerufen, der einen "verdächtigen Wagen" ausgemacht hatte. Ein Polizeifahrzeug verfolgte das Auto und wurde von dessen Fahrer nach kurzer Zeit entdeckt. Auch er versuchte, mit Höchstgeschwindigkeit einer Kontrolle zu entgehen. Und auch dieser Wagen kam von der Fahrbahn ab. Glücklicherweise wurde nur einer der 15 Insassen beim Aufprall auf ein Bushäuschen leicht verletzt. Den Begriff der "Hetzjagd" bringt der Leiter der BGS-Inspektion Verbrechensbekämpfung, Uwe Landgrebe, selber ins Spiel - um ihn entschieden zurückzuweisen: In beiden Fällen hätten die Grenzschützer bewußt großen Abstand zum verfolgten Fahrzeug gehalten. Damit hätten sie gerade verhindern wollen, entdeckt zu werden und eine "Hetzjagd" zu provozieren, beteuert er. Doch in beiden Fällen kam es zur panischen Flucht. Und die Jagd auf illegale GrenzgängerInnen ist entlang der Neiße explizit die Aufgabe der dort stationierten Beamten. Der Fluß bildet die bestgesicherte Grenze Europas. Bis 30 Kilometer ins Landesinnere reicht das Revier, das die Grenzschützer regelmäßig "bestreifen". Das Ufer wird nachts mit Scheinwerfern abgeleuchtet, die BewohnerInnen des Gebietes werden morgens von BGS-Hubschraubern geweckt, deren Besatzungen die Grenzregion beobachten. Illegal eingereiste werden umgehend zurück nach Polen oder Tschechien transportiert. Die Jagd auf Menschen an der deutschen Ostgrenze hat in den vergangenen fünf Jahren mindestens 60 Menschen das Leben gekostet. Die Aufgabe, illegale GrenzgängerInnen aufzuspüren und schnellstmöglich wieder außer Landes zu bringen, hat der BGS auch nach dem schweren Unfall von Freiberg mit hartnäckigem Eifer erfüllt. Während die Flüchtlinge auf neun Krankenhäuser verteilt und medizinisch notversorgt wurden, machte sich der BGS an seine Arbeit. Die begann zunächst auf den Fluren der Krankenstationen. Dort hatten die GrenzschützerInnen das Sagen übernommen, nachdem am Tag nach dem Unglück Angehörige und Bekannte der Geflohenen diese hatten besuchen wollen. "Viele Leute aus dem ganzen Bundesgebiet riefen an", sagt der Chefarzt des Freiberger Kreiskrankenhauses, Jürgen Löbbecke. "Wir konnten nicht überprüfen, wer Angehöriger ist und wer nicht." Deshalb habe er die Entscheidung über die Besuchserlaubnis dem BGS übertragen. Und der verhängte prompt ein umfassendes Besuchsverbot. Auch Ghani Shalaku wurde schließlich der Besuch verwehrt. Auch er stammt aus dem Kosovo. Seit sieben Jahren lebt er bereits bei Stuttgart. Daß sein Bruder Milaim auf dem Wege nach Deutschland war, hatte er nicht geahnt. Dann kam ein Anruf von Milaim - aus dem Freiberger Krankenhaus. Nur leicht verletzt, konnte der junge Kosovo-Albaner seinen Bruder von seiner Ankunft und dem schlimmen Unfall informieren. Auch darüber, daß ihr Cousin Isuf Kosumi dabei gestorben war. "Er war sehr geschockt", berichtet Ghani Shalaku. Dennoch fand sich Milaim bereits einen Tag nach dem Unfall an der deutsch-tschechischen Grenze wieder. Zusammen mit einem zweiten Kosovo-Albaner wollten ihn BGS-Beamte den tschechischen KollegInnen übergeben. Während sein Freund abgeschoben wurde, weigerten diese sich, Milaim anzunehmen. "Die tschechischen Beamten meinten, daß er noch Verletzungen habe", sagt der Leiter der Grenzschutzinspektion Cämmerswalde, Rüdiger Feustle, schlicht. "Wir hatten erst wohl keinen Transportbefähigungsschein, aber den haben wir dann besorgt." Drei Tage später, am Montag voriger Woche, wurde Milaim zusammen mit einem weiteren Verletzten abgeschoben. Offen bleibt, inwieweit die deutschen mit den tschechischen Behörden zwischen den beiden Abschiebeversuchen in Kontakt getreten sind. Formaljuristisch ist Tschechien verpflichtet, Flüchtlinge zurückzunehmen, die über das tschechische Staatsgebiet nach Deutschland eingereist sind. Denn das Land gilt als "sicherer Drittstaat". Wer Tschechien durchreist hat, muß seinen Asylantrag dort und nicht in der Bundesrepublik stellen. Das sogenannte Rückübernahmeabkommen legt die Kriterien dafür fest: Innerhalb von 72 Stunden nach erfolgter Einreise müssen die tschechischen Beamten einen Flüchtling ohne weitere Formalitäten aufnehmen. Erst wenn die Frist verstrichen ist, muß Deutschland schriftlich Indizien dafür liefern, daß der Flüchtling tatsächlich über dieses Nachbarland eingereist ist. Wenn das gelingt, ist Tschechien zur Rücknahme verpflichtet. Humanitäre Gründe kann das Nachbarland hingegen nicht einwenden. Dabei war Anfang voriger Woche bekannt geworden, daß die tschechischen Behörden derartige Bedenken bei den Freiberger Unfallopfern durchaus hatten. Auf "informeller Ebene" erfuhren MitarbeiterInnen des Prager Büros des UNHCR, daß die Behörden sich der Zusammenarbeit mit den deutschen Abschiebern verweigern wollten. Durch den Unfall, die Verletzungen und den Tod von Angehörigen hätten die 20 verletzten Kosovo-AlbanerInnen genug durchlitten, hieß es. Ihre Situation dürfe nicht noch weiter verschlimmert werden. Auch tschechische Zeitungen hatten die Abschiebepläne des BGS entsprechend kommentiert. Den focht das jedoch nicht an. "Es gab zunächst Schwierigkeiten mit den tschechischen Behörden", verriet BGS-Behördenleiter Feustle noch am Morgen der Abschiebung. "Das soll aber wohl noch laufen." Und dann sollten "drei Stück" noch am gleichen Tag "rübergehen".