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"Gegenöffentlichkeit schaffen", "die Linke aufmischen", "die Linke aufmischen", "weil's Spaß macht", "für die Revolution" - was haben wir nicht alles erzählt, als wir anläßlich des 1. Jubliläums gefragt wurden, warum wir diese Zeitung machen. Nichts davon trifft zu, aber was sollten wir denn sonst sagen? "Ich hatte keine Lust mehr, den Weihnachtsmann zu spielen"? (Der Wirtschaftsredakteur) "Nachdem ich eine Petroleumlampe gegen die Wand geknallt hatte, wurde ich wegen Betriebssabotage entlassen. Ich brauchte dringend einen neuen Job"? (Die Feuilletonchefin) "Nach dem Job in der Schokoladenfabrik schmeckte selbst der Joint nicht mehr"? (Der Abteilungsleiter Ausland) "Weil ich keine Lust mehr hatte, im Akkord fettiges Schnittbrot zu stapeln. Ich wollte die Welt kennenlernen"? (Der Korrektor) "Es wurde immer gefährlicher, Autos über den Jordan zu schaffen, hinter jedem Kaktus lauerte der Tod"? (Ein Inlandsredakteur) So was will niemand hören, auch nicht die traurige Geschichte des Disko-Redakteurs, der zu den langsamsten seines Fachs gehörte, als er bei den Schwäbischen Hüttenwerken an der Fräse und im Schatten seines wesentlich flinkeren Vorgängers stand, um seinem drängelnden Chef bei der Entlassung entgegenzuschleudern: "Warum haben Sie mich überhaupt eingestellt, wenn der andere so viel schneller war?" - "Der liegt im Krankenhaus. Hand abgefräst." Und niemand möchte sich die Kulturredakteurin im Dirndl vorstellen, wie sie in den "Bayrischen Stuben" Schweinshaxn und Weißbier auf die Tische knallt, niemand den Produktions-Chef in der UPS-Latzhose oder den Auslandsleiter mit Haarnetz im Reformhaus.

Aber daß den Leser die nackte Wahrheit nicht interessiert, ist die erste Regel des Erfolgs-Journalisten.