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Tito verbrachte seine Sommer in der Villa Bled. Unser Redakteur hat das Domizil des jugoslawischen Staatsgründers besucht

Wenn Janez Fajfar, Manager des Luxus-Hotels Villa Bled in Slowenien, zur Kneipentour einlädt, dauert der Abend etwas länger. Da wird eingekehrt im Gasthaus Kunstelj, um dem köstlichen Schilcher, der hier in Karaffen serviert wird, mit einem mindestens fünfgängigen Menü eine Basis zu verschaffen. Danach besucht Fajfar mit auserwählten Gästen seines Hauses noch die eine oder andere Bar und empfiehlt einen "tollen Schnaps" oder "phantastischen Wein".

Die Tour d'alcool mit Janez Fajfar steht beinahe in einer Art historischer Tradition; auch sein Vorgänger als Hausherr der Villa Bled ließ Alkohol nur ungern stehen. Dabei hatte der Mann die Bürde eines hohen Staatsamtes zu tragen und konnte seine Leidenschaft eigentlich nur im Kurort Bled ausleben. Als Staatsgründer Jugoslawiens mußte er in Belgrad den pflichtbewußten Marschall spielen.

Schon 1947 ließ Tito die 80-Zimmer-Villa am malerischen Bleder See errichten und zeigte sich bemüht, daß es an nichts mangele: Nur die besten Materialien waren gut genug, Probleme allerdings gab es dann mit den Rechnungen der Handwerker. Nachdem der örtliche Steinmetz die Rechnung für die Marmorvertäfelung der Eingangshalle vorlegt hatte, verschwand er für einige Wochen im Knast - die Preisgestaltung gefiel Tito offenbar nicht.

Der Ex-Partisan hatte gute Gründe, sich gerade am Bleder See niederzulassen, z.B. politische. Denn 1948 fiel er beim Kollegen Stalin in Moskau in Ungnade, weil Tito sich dessen Diktat der Bündnistreue nicht beugen wollte und Jugoslawien lieber blockfrei beließ. Paranoid, wie ein guter Staatsmann eben reagieren muß, fühlte er sich deshalb in Belgrad etwas unbehaglich. Ständig fürchtete er einen Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts und verbrachte seine Zeit deshalb gerne in Slowenien, wo die britischen, in Kärnten stationierten Besatzungstruppen nicht weit waren.

Auch am eigenen Mythos mußte zu Beginn der fünfziger Jahre - trotz heroischer Taten im Kampf gegen die deutschen Besatzer im Zweiten Weltkrieg - noch weiter gearbeitet werden. Der Kurort Bled gab einiges für Legenden her, galt er doch schon seit dem 19. Jahrhundert als Refugium der Reichen und Mächtigen. In der österreichisch-ungarischen Monarchie war Bled das südliche Pendant zum geriatrischen Zentrum Bad Ischl im Salzkammergut. Das Geschlecht der Fürsten Windischgrätz setzte an jene Stelle, wo heute die Villa Bled steht, ein Schlößchen. Als sich die Jugoslawen nach 1918 ihre eigene Monarchie bastelten, baute die jugoslawische Königsfamilie Karageorgewitsch am Seeufer ihr eigenes großzügiges Refugium. Bis schließlich 1947 Tito das Fleckchen entdeckte und dem Ort durch seine Anwesenheit die Ehre und einige Privilegien gab. Nirgendwo sonst in Jugoslawien konnte man sich so sicher fühlen, und nirgendwo sonst hatten die Kinder so oft schulfrei. Wenn sich Tito in den Sommermonaten in seiner Villa aufhielt, zogen auch die ausländischen Botschaften aus Belgrad in die Gegend von Bled um, und für die Staatsgäste aus allen Ecken der Welt brauchte Tito jubelnde und fähnchenschwingende Kinder.

Europäische Staatsoberhäupter waren eher selten zu Gast, Tito nutzte die Villa vor allem dazu, um bei Drittweltdiktatoren Eindruck zu schinden.Der heutige Hausherr Janez Fajfar erzählt: "Der Alte hat das recht geschickt gemacht. Staatsgäste, von denen er sich Geld erhoffte, entführte Tito eher in die ärmlichen Gegenden Serbiens, Montenegros und des Kosovo, um zu beweisen, wie sehr sein Land Gelder benötigte."

Der für seine kulinarischen Sonderwünsche bekannte zentralafrikanische Kaiser Bokassa wohnte ebenso hier wie Nordkoreas Diktator Kim Il Sung. Dem gefiel es so gut, daß er gleich zwei Monate blieb und Titos Nerven arg strapazierte. Auch Idi Amin schwamm ein paar Runden im Bleder See, und Nikolai und Elena Ceausescu störten die Idylle durch lautstarken Ehekrach. Fajfar: "Wenn sie im dritten Stock zu schreien begann, hörten wir das unten in der Küche ganz deutlich." Nach einer Woche Ceausescu fehlten etwa 35 silberne Zitronenpressen und einige Garnituren Silberbesteck.

Die Einwohner des Ortes genossen das Spektakel, und drei Freunde aus Bled hatten es sich in den sechziger Jahren zur Gewohnheit gemacht, ausländische Staatsgäste zu persiflieren. Wenn etwa der König von Burma seinen Besuch ankündigte, wickelten sie sich aus Handtüchern Turbane und winkten dem hohen Gast am Straßenrand zu. Irgendwann reichte es Tito dann, und immer, wenn wichtiger Besuch angekündigt war, verschwanden die drei für einige Tage.

Ansonsten leistete sich Tito kaum Starallüren. Hin und wieder ließ er den Basisdemokraten raushängen. Er verzichtete sogar auf seinen Privatstrand am See, als ein Einwohner des Ortes darauf aufmerksam machte, daß laut Verfassung der Zugang zum Wasser für jedermann frei sein müsse.

Ansonsten ließ Tito es sich in Bled gutgehen. Um seiner etwas besitzergreifenden Gattin Ivanka und den Sicherheitsleuten zu entkommen, schnappte er sich in den fünfziger Jahren ab und zu ein Auto und be- suchte die Lokale der Umgebung, z.B. das Gasthaus Kunstelj im nahegelegenen Radovlica.

Der Wirt Anton Stiherle erinnert sich heute gerne an Titos Besuche: "Da kam er öfters mal her und hat unseren Schilcher getrunken und dazu Essen reingeschaufelt, was nur ging. Nach einer Stunde sind dann seine Leibgarde und sein Leibarzt gekommen und waren außer sich." Die Besorgnis des Arztes war wohl nicht unbegründet, denn bald stellten sich Gallenprobleme ein. Im Sommer 1953 stand eine Notoperation an, die gleich im heutigen Zimmer 202 durchgeführt wurde.

Vieles im Haus erinnert an den einstigen Hausherrn. Schon beim Betreten der Eingangshalle ahnt man, was mit dem "Hauch der Geschichte" (Kohl) gemeint ist. Daß auf den Sesseln und Sofas schon viele historische Persönlichkeiten gesessen haben, ist förmlich zu riechen. Ein Kleinod sozialistischer Raumgestaltung befindet sich im ersten Stock der Villa. Im Konferenzraum brütete Tito mit seinen Beratern über die Zukunft Jugoslawiens und darüber, wie der "Weltfrieden zu befestigen" sei. Der gleichen Tätigkeit widmete er sich am Schreibtisch im Vorzimmer des Saals.

Hotelchef Janez Fajfar legt Wert auf die Tito-Devotionalien. "Immerhin hat er das alles hier geschaffen, warum soll ich also seine Spuren beseitigen?" Trotz einiger Widerstände will er durchsetzen, daß die großen sozialistischen Wandgemälde im Kinosaal des Hauses von den Vorhängen befreit werden.

Vielleicht aber ist es bald vorbei mit der Tito-Nostalgie. Im August muß das heute im slowenischen Staatsbesitz befindliche Haus privatisiert werden, und vielleicht steht der neue private Besitzer nicht so sehr auf den "Alten" wie Hoteldirektor Fajfar.

Info: Villa Bled, Tel. 003 86 - 64 - 79 15.