Was kosten »clandestini«?

Italiens Regierung bastelt an Flüchtlings- und Sicherheitsabkommen mit Mittelmeer-Anrainerstaaten - damit Flüchtlingsrevolten wie vor zwei Wochen künftig ausbleiben

Clandestini werden sie genannt: Flüchtlinge, die im verborgenen leben (müssen). Nur die Behörden - und Italiens Rechte - halten sich an die von Deutschland diktierte europäische Sprachregelung und schimpften auf die illegali (Illegalen). Die Mitte-Links-Regierung weiß nicht so recht, wie sie benennen soll, was ihr von der EU schlicht als "Problem" vorformuliert wird - und schiebt erstmal ab: 143 Flüchtlinge mußten am Donnerstag zurück nach Pakistan.

Bei den Mitte letzter Woche in Rom zwischen Italiens Außenminister Lamberto Dini und seinem tunesischen Pendant Ben Moustafa geführten Gesprächen über die Abschiebung von Flüchtlingen nach Tunesien fanden sich beide Termini wieder. Ergänzt um den allgemeinen Begriff fuggitive (Flüchtlinge). Das Treffen führte zu einem ähnlichen Abkommen, wie es vor zwei Wochen mit Marokko vereinbart wurde.

Die clandestini, hieß es dort noch, sollen künftig "effizienter von den marokkanischen Behörden an der Ausreise gehindert werden" - und zwar durch "bessere Überwachung der marokkanischen Seegebiete". Dafür, daß Marokko mehrere Tausend Flüchtlinge, die in den letzten Monaten an Italiens Südküste gestrandet waren, wieder aufnimmt, rüstet Italien im Gegenzug die Küstenwache des nordafrikanischen Staates auf. Umgerechnet rund 45 Millionen Mark sollen gezahlt werden.

Dieselbe Summe war auch Tunesien für die Anschaffung von Schiffen und elektronischen Überwachungsgeräten zugesagt worden. Doch in Tunis liegt der Preis für die Ware Flüchtling höher: 150 Milliarden Lire verlangte die tunesische Regierung für ein Entgegenkommen. Und sie erhielt das Geld, das hauptsächlich in die tunesische Industrie fließen soll.

Doch nicht nur um Geld wird verhandelt: Vor zwei Wochen kamen fünf tunesische Flüchtlinge bei einem Schiffsbrand ums Leben, die Regierung in Tunis machte italienische Behörden dafür verantwortlich. Diese konterten, die Tunesier hätten das Feuer selbst gelegt, um in dem dabei entstehenden Chaos besser an Land kommen zu können.

Ein kurz darauf vom italienischen Fernsehsender RAI ausgestrahltes Interview mit in Tunesien polizeilich gesuchten Islamisten verbesserte die diplomatischen Beziehungen vor dem Abschiebegipfel ebensowenig wie die Beschuldigungen der italienischen Polizei, für die Flüchtlingsrevolten Ende Juli in den Aufnahmelagern in Agrigento, Caltanisetta und Lampedusa seien zum Teil Tunesier verantwortlich. In Agrigento hatten rund 300 Flüchtlinge die Polizei mit Steinen und Flaschenwürfen angegriffen, nachdem über Wochen die Lebensmittelverteilung im Lager immer schlechter wurde. Im sizilischen Caltanissetta versuchten 120 clandestini nach einem Hungerstreik zu fliehen, ebenso auf der Insel Lampedusa, wo rund 150 Flüchtlinge ihre völlig überbelegten Unterkünfte anzündeten.

Während in Rom noch über die Modalitäten verhandelt wurde, zeigte ein Joint Venture der italienischen mit der albanischen Küstenwache Anfang vergangener Woche, wie es funktionieren soll: Rund 600 albanische Flüchtlinge wurden von Patrouillenbooten zur Umkehr gezwungen. Da waren auch italienische Medien froh. Nur etwa 100 Flüchtlinge, unter ihnen zahlreiche aus dem Kosovo, seien in der vergangenen Woche an der südlichen Adria-Küste nach Italien gelangt, jubelten sie und versuchten den zunehmenden Druck aus der EU, insbesondere aus Deutschland, zu mildern. Die taz zitierte in diesem Zusammenhang einen namentlich nicht genannten Ministerialrat aus Rom, der angab, die gegenüber Deutschland vertretbare "Schmerzgrenze" an "Illegalen" liege bei 50 000.

Die Regierung in Rom schätzt die Gesamtzahl der "Illegalen" zur Zeit auf rund 500 000, von denen ein Teil sich nur saisonal in Italien aufhalte. Dies gelte insbesondere für Flüchtlinge aus dem Maghreb: "Die verschwinden wieder, wie sie gekommen sind", führte Sozialministerin Livia Turco letzte Woche aus.

Doch darauf will sich die Mitte-Links-Regierung, die von 230 000 in Italien lebenden Flüchtlingen ohne Aufenthaltsgenehmigung ausgeht, lieber nicht verlassen. Ein Anfang August vom italienischen Ministerrat beschlossenes Einwanderungsdekret legt für die clandestini Bedingungen fest, um eine Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten.

Wer vor dem im März in Kraft getretenen neuen Ausländergesetz nach Italien gekommen ist, soll künftig eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen - sofern Arbeitsvertrag, Studienbescheinigung oder eine Bescheinigung zur Familienzusammenführung vorgelegt werden kann. Alle anderen sollen gehen.

Zudem wird in dem Dekret die jährliche Einwanderungsquote von bisher 20 000 auf 34 000 Arbeitsmigranten erhöht. Doch nicht dem Druck von Flüchtlingsinitiativen ist die Erhöhung der Quote zu verdanken, sondern den Forderungen eines Bündnisses von Industrie, Handwerk und verschiedenen Gemeinden aus dem Mezzogiorno, die seit Monaten auf ihren "Arbeitskräftemangel" hinweisen. Mangel an billigen Arbeitskräften, versteht sich.

Die Gemeinden, vor allem in Kalabrien, Apulien und auf Sizilien, die Flüchtlinge aufnehmen oder aufgenommen haben, erhalten zudem vom Staat 70 Milliarden Lire an Unterstützung.

Lampedusa wird von diesen Zuschüssen nichts mehr abbekommen - das Flüchtlingslager wurde umgehend nach dem Fluchtversuch geräumt.Jetzt wartet man dort auf neue clandestini.