Alternative Lebensformen

Die GeSoBau-Sau

Meine erste Wohnung in Berlin war ein dunkles, kaltes Loch im Parterre. Ich dachte: "Hier wirst du weder besucht noch beneidet." Und ich würde heute noch dort wohnen, wenn nicht fünf Jahre nach meinem Einzug ein Rohr im zweiten Stock geplatzt wäre. Der Mieter war im Knast, das Wasser tropfte, suppte, floß in den ersten Stock. Der Mieterin war der Strom abgestellt worden, sie logierte bei ihrer Tochter in Kreuzberg. Deshalb tropfte, suppte, floß das Wasser in meine Wohnung. Der Hausmeister war nicht da, seine Frau im neunten Monat. Sie suchte im Keller nach dem Wasserhahn, konnte ihn aber nicht finden. Als die Feuerwehr kam, war alles vermodert, ich zog aus.

Der Vermieter wollte mir noch drei Monatsmieten für die völlig zerstörten Zimmer berechnen, ich nahm mir einen Anwalt. Es kam zu einem Prozeß, zu dem weder mein Anwalt noch der des Vermieters erschien. Ich stotterte etwas und verlor. Später erließ mir der Vermieter das Geld; aus Gnade oder Langeweile.

Dann zog ich in eine Wohnung der GeSoBau, einer Gesellschaft, die halb Berlin besitzt. Ein Freund hatte die Zimmer mühsam von Gerümpel befreit, er überließ sie mir. Ich stellte mich bei der GeSoBau als Nachmieter vor. Sie wies mich ab, weil sie "Studenten genug" habe, ich wohnte dann unter falschem Namen - bis zehn Jahre später saniert werden sollte: Große, teure Appartements mußten entstehen. Um mich zu entfernen, akzeptierte man mich als Untermieter. Ein Untersuchungstrupp nach dem anderen überfiel mich, die Wände wurden mehrfach ausgemessen, sämtliche Böden angebohrt. Einmal erschien eine Gruppe von zehn jungen Architekten, alle mit Fotoapparaten. Sie stürmten herein, fotografierten die düsteren Winkel, legten sich auf den Boden, um den Schmutz zu begutachten und lästerten über meinen Müll. Es war der demütigendste Augenblick meines Lebens.

Die berlinernde Sachbearbeiterin wünschte mir grinsend "viel Spaß" in der "Endumsetzwohnung" (das klingt nach Gruft, nicht wahr?, aber wie ruhig ist es in einer Gruft!). Ich räumte meine alte Bude, ließ die Möbel von der Stadtreinigung abtransportieren. Meine Freunde spotteten über meine Akkuratesse. Ich sagte: "Anderenfalls bin ich die GeSoBau-Sau." Gestern erhielt ich einen Brief von dieser Gesellschaft. Man werde mir 1 000 Mark Umzugsbeihilfe nicht auszahlen, weil ich die PVC-Böden nicht herausgerissen habe. Ich kann mir einen Anwalt nehmen und wieder herumstottern. Ich kann ausziehen, aber wohin, mit welchem Geld? Nachdem ich den Brief gelesen hatte, taumelte ich zur U-Bahn. Ein Obdachloser bat mich um eine Mark. "Wohl ein ehemaliger GeSoBau-Mieter", dachte ich und steckte ihm etwas zu, um mein Gleichgewicht wiederzufinden.