Multi-Kulti gleich Wischi-Waschi

Ein Gespräch mit Eisy Mane, Mitarbeiterin bei der Initiative schwarzer Deutscher und Schwarzer in Deutschland e.V., und Jonas Endrias, Politologe und Mitarbeiter des BAZ (Bildungs- und Aktionszentrum Dritte Welt)

Ist Multi-Kultur ein positiver Begriff oder ein negativer?

Eisy Mane: Multi-Kulti ist alles und nichts.

Jonas Endrias: Ich kann mit dem Begriff nicht viel anfangen. Multi-Kulti bedeutet für mich, daß die Kulturen nebeneinander existieren. Ich bin mehr für einen Begriff der Interaktion zwischen den Kulturen. Beide Kulturen sollen sich gleichberechtigt anerkennen und voneinander lernen. Wenn die Kulturen voneinander lernen, die türkische, ghanaische, pakistanische als gleichberechtigte Kulturen neben der teutonischen anerkannt werden - dies würde bedeuten, daß die Teutonen nicht mehr teutonisch bleiben.

Was ist das Teutonische?

Endrias: Eine Monokultur, ein eurozentristisches Bild von der Welt. Kultur soll nur das Europäische, das Abendländische heißen. Aber Kaffee oder Tee, sogar die Religion stammt von anderen Kontinenten. Das muß man erstmal anerkennen. Und nicht alles als deutsch oder europäisch verkaufen.

Schönbohm argumentiert ebenfalls mit der kulturellen Identität. Man müsse die deutsche Identität anerkennen, um zusammenleben zu können. Ausländer hätten dies anzuerkennen. Wenn man diesen Diskurs der Identitäten übernimmt, bekommt man unliebsame Freunde.

Mane: Was Schönbohm in keiner Weise anderen Völkern zubilligt, ist ein eigenständiger Platz, in Deutschland zu leben. Man habe ja nichts gegen Ausländer, aber sie sollen sich gefälligst so wie die Deutschen benehmen. Das kommt von oben herab. Man traut den Türken gar nicht zu, in einer eigenen sozialen Struktur zusammenzuleben, das wird sofort als Ghetto abgestempelt.

Deutschland redet mit einer gespaltenen Zunge. Wenn es um Sport geht, sind sie schnell bei der Hand mit Einbürgerungen. In der Leichtathletik gibt es z.B. viele Russen. Die sind plötzlich alle deutsch. Aber einen schwarzen Staatsanwalt? Wenn man schwarz ist, hat man gefälligst ins Showbusiness zu gehen.

Sie können ja auch gut tanzen und gut singen und sind schnell im Sport. Aber denken? In der Politik gibt es beispielsweise kaum Schwarze, sie haben kaum Aufstiegschancen in Deutschland.

Multi-Kulti als deutsche Dominanzkultur mit schmückenden bunten Flecken?

Endrias: Es geht nicht um Ästhetik, es geht um eine Gleichberechtigung. Es geht auch um Akzeptanz der anderen Kulturen. Immigranten müssen in der Politik und im kulturellen Leben als Gleichberechtigte akzeptiert werden. Statt eine unbestimmte Multi-Kulturalität zu fordern, ist es sinnvoller, dafür einzutreten, daß Immigranten Wahlrechte bekommen und in allen gesellschaftlich relevanten Gremien vertreten sind. Auch die SPD und andere Linke erkennen dies nicht an, nicht einmal auf der kommunalen Ebene.

Schönbohm sagt: Wenn die Immigranten sich einbürgern lassen, hätten sie gleiche Rechte - nur müssen sie dann gefälligst Deutsch lernen und sich die herrschende Kultur aneignen.

Endrias: Wenn jemand hier lebt, und gleichzeitig in dieser Gesellschaft mitwirken will, muß er auch die Gelegenheit bekommen, mitzuwirken, ohne sich zwangsgermanisieren zu lassen.

Warum sprechen manche Immigranten nicht Deutsch? Wenn sie am Arbeitsplatz von den Deutschen diskriminiert werden, wenn sie von ihren Nachbarn nicht wahrgenommen werden, wo sollen sie die Sprache lernen? Die werden von der Gesellschaft ausgegrenzt. Man kann die Menschen nicht zwingen, Deutsch zu sprechen, sondern man muß die gesellschaftlichen Voraussetzungen dafür schaffen. Und nicht die rassistischen Slogans wieder hochleben lassen und Haß schüren.

Ihr Ziel ist also durchaus Integration. Nur soll es eben nicht über Zwang funktionieren.

Endrias: Es muß freiwillig sein. Ich bin nicht gegen Integration, obwohl ich das Wort nicht mag. Integration impliziert, daß die Minderheit sich in die Mehrheit integrieren muß. Und das ist falsch. Die Mehrheit kann auch von der Minderheit lernen.

Würden Sie sagen, daß in den letzten Jahren die Ausgrenzung stärker geworden ist?

Endrias: Ja, deutlich, und wir haben keine Verbündeten in der deutschen Gesellschaft. Als Herr Schröder zum Wahlkampfauftakt alle Afrikaner als Drogenhändler abstempelte, haben alle geschwiegen. Ob Schröder mich als Drogenhändler sieht oder Stoiber, das ist das gleiche.

Gleichzeitig werden im Rahmen der Schengen-Abkommen die EU-Grenzen abgebaut. Doch die Grenzen verschwinden nicht, sie verschieben sich nach innen. Von der Border-line zur Colour-line. Menschen werden nach ihrer Hautfarbe ausgesucht und polizeilichen Maßnahmen ausgesetzt. Wenn du die falsche Hautfarbe hast, dann bist du Drogenhändler, illegaler Immigrant und Krimineller.

Ihre These ist, daß es zunächst darum geht, gleiche Rechte zu bekommen. In Frankreich oder England geht es Immigranten formal besser, die Staatsbürgerrechte sind einfacher zu bekommen als hier, aber trotzdem gibt es Diskriminierung.

Mane: Tatsächlich haben Schwarze in England und Frankreich bessere Aufstiegschancen als hier. In Deutschland verlieren Frauen ihren Job, weil sie geflochtene Zöpfe haben. Eine afrikanische Studentin wurde aus dem Berliner Adlon-Hotel rausgeschmissen, weil sie angeblich nicht dem mitteleuropäischen Durchschnitt entsprach. Schwarz ist also nicht mitteleuropäisch. In Frankreich würde so ein Satz niemandem einfallen, weil er sofort eins auf den Deckel bekommen würde. Aber trotzdem sind die sozial Ausgegrenzten und die sozial Schwachen in England und in Frankreich in ihrer Mehrheit schwarz.

Die Frage ist, was man diesem Rassismus entgegensetzen kann. Bei Schönbohm reicht es schon, das Wort Multi-Kultur zu benutzen, und schon reagiert er allergisch. Sind die gesellschaftlichen Verhältnisse mittlerweile so rückschrittlich, daß es fast wieder nötig ist, den Begriff Multi-Kulti zu verteidigen?

Endrias: Ich meine, daß wir unsere politische Arbeit mit Inhalt füllen müssen. Wir müssen diese europäische Links-Rechts-Skala vergessen und unsere Bündnispolitik korrigieren. D.h. unsere Bedürfnisse selber artikulieren. Und uns nicht von irgendwelchen Sozialdemokraten oder Linken, oder wie sie alle heißen, formulieren lassen. Wenn Schröder genauso rassistisch ist wie Stoiber, ist das nicht mein Krieg. Das ist ein machtpolitischer Kampf, aus dem wir uns raushalten sollten. Die schlimmsten Erfindungen gegen Immigranten sind sozialdemokratischer Herkunft. Die Zuzugssperre ist eine sozialdemokratische Erfindung. Und diese Lager von Flüchtlingen, wo die Menschen zusammengepfercht werden, ist ein sozialdemokratischer Vorschlag gewesen. Deshalb bin ich dafür, daß wir uns aus diesen Wahlkampfgeschichten und ideologischen Kämpfen raushalten und unsere Bedürfnisse nach Anerkennung und Gleichberechtigung selber definieren.

Es geht nicht um Bürgerrechte, wie Malcolm X sagt, es geht um Menschenrechte, auch hier, für die Brüder und Schwestern im Osten, wo ihre körperliche Unversehrtheit nicht garantiert ist.

Der Multi-Kulti-Begriff wurde von den Grünen und Teilen der SPD immer benutzt. Welche Konsequenzen hat die Debatte um diesen Begriff gehabt?

Endrias: Wir sollten unsere Bündnispartner nicht nur in einem Lager sehen, sondern überall, wo Menschen unser Anliegen unterstützen wollen, müssen wir es aufgreifen. Nur dann haben wir eine Chance. Wenn wir unsere Verbündeten nur in bestimmten Parteien und bestimmten Gruppierungen sehen, werden diese Gruppen das mißbrauchen. Wenn sie an die Macht kommen, dann vergessen sie unsere Forderungen. Wenn die Grünen jetzt die Wahl gewinnen, glauben Sie, daß unser Anliegen als essentials gesehen werden? Wenn Herr Fischer Außenminister sein möchte - wie viele Kompromisse muß er machen? Natürlich werden unsere Anliegen zuerst fallen. Deshalb vertrauen wir diesen Leuten nicht. Die instrumentalisieren unsere Leiden, unsere Probleme für ihre Karriere.

Existieren Ansätze von Selbstorganisation, wenn es in der deutschen Gesellschaft nur wenige Bündnispartner gibt?

Endrias: In anderen Ländern sind die Menschen in Communities organisiert. In Deutschland gibt es keine starken Communities.

Das würde heißen, als Reaktion auf die deutsche Gesellschaft wieder eigene relativ homogene Communities zu organisieren?

Endrias: In Frankreich oder England sind Massen von Leuten aus den Kolonien gekommen und haben ihre eigenen Communities aufgebaut. Nach Deutschland wurden kurzfristig Menschen importiert, als es noch Arbeit gab. Es gibt keine über lange Zeit gewachsenen Communities. Die Menschen organisieren sich eher um Religionen, eine negative Entwicklung, wie ich finde.

Einerseits braucht man Communities, um einen Schutz zu organisieren, andererseits sagen Sie, der Rückzug auf religiöse Gruppen hat negative Aspekte. Sehen Sie einen Weg aus diesem Widerspruch?

Mane: Community bedeutet, daß man sich auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner trifft und eine große Meinungsfreiheit herrscht. Man kann andere Erfahrungen kennenlernen und seine eigenen Standpunkte verändern. Religiöse Gemeinschaften sind hingegen nach innen homogen und schotten sich nach außen ab, Communities sind heterogen und offen für die Gesellschaft.

Was eint die Communities, die türkischen, die afrikanischen oder die asiatischen? Was ist das Gemeinsame?

Endrias: Wir arbeiten seit vielen Jahren mit Afrodeutschen zusammen, die einen deutschen Paß besitzen; sie sind dadurch nicht vor Angriffen gefeit. Aber wir sind keine homogene Masse, es gibt auch rechtliche und politische Unterschiede.

Mane: Ich spreche als Afrodeutsche für mich und habe ganz andere Erfahrungen als Jonas in seiner politischen Arbeit. Aber es gibt einen gewissen politischen Konsens. Wenn es rassistische Übergriffe gibt, haben wir unsere Schnittpunkte, wo wir zusammenarbeiten. Gerade wenn Übergriffe auf andere Nationalitäten vorkommen, dann kann man zusammen gezielt arbeiten.