Wo waren Sie, als das Sparwasser-Tor fiel?

Ralf Sotschek ist Irland- Korrespondent der taz

Der Jubel in der Kreuzberger Wohngemeinschaft war verhalten, eher eine Pflichtübung: Offiziell durfte man nicht für das eigene westdeutsche Team sein, das wäre politisch unkorrekt gewesen, doch innerlich waren wir alle konsterniert, was aber erst ein Jahrzehnt später eingeräumt wurde. Ausgerechnet Herr Sparwasser, das klang noch billiger als Herr Sparbier, der Briefträger bei Kulenkampffs Euro-Quiz, der den Gewinnern stets den Scheck überreichte.

Doch wir stießen mit einem Gläschen Lambrusco, jenem nationalen Wohngemeinschaftssparwein in Riesenkorbflaschen, auf Sparwasser an. Und dann sah ich wieder diesen hämischen Vopo vor mir, genauso deutlich wie acht Jahre zuvor. Damals, ich war zwölf und wehrlos, hatte mein Vater zu meinem Entsetzen beschlossen, während des Endspiels zwischen England und der BRD vom Urlaubsort in Bayern nach Berlin zurückzufahren, weil dann "die Autobahnen so schön leer" seien. Meine heftigen Proteste machten nicht den geringsten Eindruck.

Am Ende war es mir ohnehin egal. Wir hatten den Vorabend bei einer Tante verbracht, die einen US-amerikanischen Soldaten geheiratet hatte, und der war in Ansbach stationiert. Die Töchter nahmen mich in die Snackbar in der Kaserne mit, und dort gab es eine Eiswürfelmaschine, ein überaus nützliches Gerät, das ich vorher noch nie gesehen hatte. Auf Knopfdruck warf es einen Würfel in den Cola-Becher. Weil das so faszinierend war, drückte ich andauernd auf den Knopf, und am Ende war die Amibrause eigentlich ungenießbar. Die Tantentöchter, die ein paar Jahre älter waren als ich, hielten es offenbar für eine erzieherische Maßnahme, mich zu zwingen, die frostige Limonade auszutrinken.

Am nächsten Morgen hatte ich eine schwere Gastritis. Der Vorteil der "schönen, leeren Autobahn" wurde dadurch zunichte gemacht, daß wir alle fünf Minuten anhalten mußten, damit ich reihern konnte. Bei Bayreuth platzte meinem Vater der Kragen: Er brachte mich ins Ortskrankenhaus und ließ mir eine Morphiumspritze verpassen. Danach ging es mir blendend, wir konnten ohne Kotzpausen weiter nach Berlin.

Dann kam der Grenzübergang Hirschberg. Kein Stau, keine Wartezeit - die Nation sah fern, während ich Autoradio hören mußten. Der Vopo, ein großer Mensch mit Segelohren, steckte den Kopf zum Fenster herein und meinte verächtlich: "Die verlieren ja doch." Mag sein, meinte ich, aber Vizeweltmeister sei doch auch ein hübscher Erfolg. "Ja, für deinen Staat", sächselte er zurück. Wenigstens war ich nicht in Hirschberg, als das Sparwasser-Tor fiel.