Ein Gaskraftwerk für Lubmin

Atomarer Handel am Bodden

Angela Merkels politische Zukunft scheint gesichert. Denn die CDU-Bundesumweltministerin darf ihren Wahlkreiswählern in Stralsund an der Ostsee nun die frohe Botschaft neuer nichtnuklearer Arbeitsplätze verkünden.

Am nordostdeutschen Reaktorstandort Lubmin wird voraussichtlich ein Konsortium aus den skandinavischen Energieunternehmen Vattenfall (Schweden) und IVO (Finnland) zwei Gaskraftwerke errichten. Damit scheint ein Atomkraftwerk, dessen Bau dort bis letzte Woche für das Jahr 2015 geplant war, vom Tisch. Überraschend unterzeichnete der schwedische Vattenfall-Konzern vergangenen Donnerstagabend einen Vertrag über den Bau eines riesigen 1 200 Megawatt-Gaskraftwerks.

Nach dem Debakel mit kontaminierten Atomtransporten hat Frau Merkel nun wahlkampfstrategischen Rückenwind von Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) bekommen. Der verkündete am Donnerstag in der Stralsunder Volkswerft, daß Teile des 400 Hektar großen Areals der Energiewerke Nord (EWN) am Greifswalder Bodden an das deutsch-skandinavische Konsortium Vasa Energy GmbH & Co. KG in Hamburg vermacht werden.

Schon im Frühjahr des Jahres 2000 werde mit dem Bau des Gaskraftwerks begonnen. Vasa-Geschäftsführer Herbert Aly versprach zunächst ganze 50 Arbeitsplätze für die Greifswalder Region. Nach der Inbetriebnahme des ersten Gaskraftwerks im Jahr 2002 sollen weitere 250 Jobs hinzukommen. Die finnische IVO will anschließend ein weiteres Kraftwerk bauen.

Was nach einer überraschenden Vollbremsung der Bundesregierung in Sachen Atomenergie aussieht, entspricht einer Doppelstrategie aus wahltaktischem CDU-Kalkül und der Standortsicherung für Atommüll: Für ihre Wählerklientel muß Reaktorsicherheitsministerin Merkel medienwirksam Arbeitsplätze beschaffen. Doch nach dem Atomtransportskandal kann sie den bislang geplanten AKW-Neubau als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme auch in Lubmin kaum mehr öffentlich vertreten. Mit dem Bau eines EPR, frühestens nach dem Jahr 2015, ließe sich im aktuellen Wahlkampf ohnehin nur mühsam ein Arbeitsplatz-Wahlkampf führen.

Darum schwenkt die Bundesregierung als Eigentümerin des Lubminer Atomstandorts jetzt publicityträchtig um: Nicht der ostdeutsche Stromversorger Veag (der den westdeutschen Atomkonzernen RWE, Veba und Bayernwerk gehört) bekommt den Zuschlag für das riesige Areal, sondern das Vasa-Konsortium, das in der wirtschaftlich schwachen und von hoher Arbeitslosigkeit gezeichneten Region schnelle Arbeitsplätze verspricht.

Der zweite Teil der Strategie: Im Gegenzug zur Bundesentscheidung für Gaskaftwerke erwartet die Regierung Kohl von Mecklenburg-Vorpommerns CDU-Ministerpräsidenten Bernd Seite eindeutige Zustimmung in der Atomfrage. Das seit März unbefristet betriebene Atommüllzwischenlager Nord (ZLN) soll in acht Hallen bis zu 200 000 Kubikmeter bundesweit produzierten Atommüll aufnehmen.

Protesten gegen den Ausbau Lubmins zur bundesdeutschen Atommüllkippe wird die Landesregierung nun mit dem Verweis auf angeblich zwei Millarden Mark Investitionssumme für die neuen Kraftwerke und die Schaffung von langfristig anvisierten 400 Arbeitsplätzen begegnen.