Karl Brozik

»Die Regierung bleibt bei der Hinhaltetaktik«

Nach der Einigung zweier Schweizer Banken mit den jüdischen Klägern auf Entschädigungszahlungen, haben auch die Antwälte der italienischen Versicherung Generali einen Vergleich mit den Klägern ausgehandelt. Dabei geht es um Versicherungspolicen von jüdischen Opfern des Nationalsozialismus, die nach dem Krieg nicht an deren Hinterbliebenen ausgezahlt wurden. Geklagt wird mit dem gleichen Vorwurf gegen insgesamt 15 europäische Versicherungen, darunter die deutsche Allianz. Auch die Chancen für ehemalige Zwangsarbeiter, doch noch eine Entschädigung zu erhalten, scheinen größer zu werden. Nach VW haben jetzt auch BMW, Daimler und andere Unternehmen ihre Bereitschaft erklärt, sich an einem Entschädigungfonds zu beteiligen. Die Conference on Jewish Material Claims against Germany vertritt die Ansprüche jüdischer NS-Opfer. Jungle World sprach mit Karl Brozik, dem Repräsentanten der Claims Conference in Deutschland.

Karl Brozik hat nach Redaktionsschluß sein Interview zurückgezogen, weil er durch die Veröffentlichung seiner vollständigen Äußerungen in einer linken Zeitung eine Schwächung der Claims Conference in den Verhandlungen mit der Bundesregierung befürchtet. Die Jungle World veröffentlicht daher nur eine Zusammenfassung des Gesprächs. (Red.)

Der Repräsentant der Jewish Claims Conference in Deutschland warf im Gespräch mit der Jungle World der Bundesregierung vor, sie verzögere eine Einigung bei der Entschädigung von Zwangsarbeitern. Auf die Frage der Jungle World, ob hier weiterhin eine Hinhaltetaktik zu beobachten sei, sagte Karl Brozik: "Was die Regierung betrifft, auf jeden Fall." Statt eine Einigung anzustreben, warte sie offenbar den Ausgang der schwebenden Prozesse ab. Dagegen bewege sich nach der Ankündigung von VW, Entschädigung zu zahlen, bei einigen Firmen etwas. "Es rührt sich schon etwas - inoffiziell. Ich habe schon von anderen Firmen gehört, ich möchte sie jetzt nicht nennen, die sich mit diesem Problem jetzt wirklich befassen."

"Die Forderung der Claims Conference nach Entlohnung von Zwangsarbeit sind so alt wie die Claims Conference selbst", betonte Brozik. Zwar seien mit einigen Firmen in den fünfziger und sechziger Jahren Vereinbarungen getroffen worden, "die zwar nicht sehr gut waren, aber besser als nichts. Zumindest hat es damals noch die Leute gegeben, die heute nicht mehr in den Genuß kommen können, weil sie gestorben sind." "Verheerend" sei, daß heute immer weniger ehemalige Zwangsarbeiter künftige Entschädigungen in Anspruch nehmen könnten. "Jeden Tag sterben Hunderte von Leuten weg, die schon vor 20, 30 Jahren in den Genuß von Entschädigungen hätten kommen sollen. Und es ist ein Vorurteil zu glauben, daß diese Leute eine gute Versorgung hätten. Sie haben sie eben nicht, gerade im Vergleich zu den Tätern. Die versehrten Soldaten haben eine gute Versorgung, die versehrten Opfer haben sie nicht."

Bei den Verhandlungen mit den Versicherungen geht Brozik von einer baldigen Einigung aus: "Klagen und Boykottdrohungen sind sicherlich einige der Hauptfaktoren." Außerdem sei früher die Führungsschicht der Industrie und Banken mit dem Nationalsozialismus persönlich verstrickt gewesen. Inzwischen aber sei "die dritte und vierte Generation am Ruder, auch deshalb ist eine Gesprächsbereitschaft entstanden, die vorher nicht vorhanden war".

Ein weiterer öffentlicher Druck auf die Versicherungen sei jetzt vermutlich nicht mehr nötig. Unternehmen wie die Allianz würden sich "ganz bestimmt" dem Vorbild der italienischen Generali anschließen. "Die Allianz hatte sich sofort bereit erklärt, alle Unterlagen offenzulegen und in einer konzilianten Art und Weise die Gespräche zu führen." Er sei "sehr hoffnungsvoll, daß sich diese noble Gesellschaft mit uns auf einen noblen Beitrag wird einigen können".

Es gehe in den Verhandlungen nur noch um die Höhe der Entschädigungssumme. "Es geht darum, daß es ganz konkrete, nachweisbare Schäden für bestimmte Personen gegeben hat, die man hochrechnen kann. Und je nachdem, wie man die hochrechnet und welche Personenkreise man einbezieht, kommt man zu verschiedenen Resultaten. Aus dem Blickwinkel der Moral, dem Blickwinkel der vielen armen und alten Naziverfolgten, ist es immer zu wenig. Das andere Extrem ist vielleicht die kalte juristische Beurteilung."

Die Frage der Totenscheine, die die Versicherungen bisher von den Angehörigen verlangt hatten, sei von den Medien überspitzt dargestellt worden. "Natürlich waren die Erben geschockt, wenn man von ihnen einen Totenschein verlangt hat, weil man in keinem anderen Verfahren dieses Papier verlangt hat. Aber die deutsche Justiz kann da entgegenkommen, indem sie in einem Verschollenheitsverfahren einen Totenschein ausstellt." Er könne verstehen, daß irgendeine Überprüfung der Anträge notwendig sei. "Aber natürlich meine ich nicht, daß damit jemand schikaniert werden soll - und es wurden Leute schikaniert. Einen Totenschein aus Auschwitz zu verlangen, ist natürlich eine Schikane."

Auf die Frage, ob er in der Bundesrepublik mit ähnlichen antisemitischen Reaktionen rechne wie in der Schweiz, antwortete Brozik: "Ich bin kein Prophet. Meine persönliche Meinung ist: Wer ein Antisemit ist, der bleibt ein Antisemit, und den wird man schwer davon überzeugen können, daß es hier um richtige Dinge geht. Den anderen, die keine Antisemiten sind, dürfte es - bei einer guten Aufklärung - überhaupt nicht einfallen, hier irgendwelche nationalistischen oder chauvinistischen Töne anzuschlagen. Die werden sich vergegenwärtigen, daß hier materielle Schäden zugefügt wurden, die - abgesehen von den Schäden, die überhaupt nicht wiedergutgemacht werden können - einem jüdischen Bürger genauso ersetzt werden wie jedem anderen auch."