Vergelt's Gott

Nach den US-Raketen auf Afghanistan und den Sudan hat die Transnationale des Islamismus allen Juden und US-Amerikanern Rache geschworen

Von wegen Weltpolizei. Für den iranischen Ayatollah Ahmad Dschannati agieren die USA "nach dem Gesetz des Dschungels". Präsident William Clinton als Hobby-Rambo und Möchtegern-Tarzan, dessen Jane in Wirklichkeit Monica heißt?

Nach dem Raketenangriff auf Ziele in Afghanistan und dem Sudan am vergangenen Donnerstag bekam der US-Präsident von islamischen Ländern keine besonders guten Kritiken. Dabei hatte Clinton in einer Fernsehansprache zur Rechtfertigung des Einsatzes von 79 Tomahawk-Geschossen auf mehrere Orte an der afghanisch-pakistanischen Grenze und eine Fabrik nahe der sudanesischen Hauptstadt Khartum betont, es werde kein Kampf gegen den Islam geführt, sondern einer gegen den internationalen Terrorismus. Und dieser Kampf habe gerade erst begonnen.

Die Angriffe galten dem Islamistenführer Osama bin Laden, der nach US-Angaben hinter den Bombenanschlägen in Kenia und Nairobi stecken soll. In den Bergen Afghanistans soll er das "größte Terror-Ausbildungslager der Welt" unterhalten und im Sudan in Kooperation mit der Regierung an der Herstellung chemischer und bakteriologischer Waffen basteln. Für die Islamisten in Khartum eine Unterstellung: In der durch den Angriff fast vollständig zerstörten Fabrik seien Medikamente hergestellt worden, die u.a. an den Irak geliefert worden seien. Dies bestätigt ein Artikel des Berliner Tagesspiegel vom letzten Montag, der sich auf UN-Diplomaten beruft: Die Fabrik habe im Auftrag der Uno veterinärmedizinische Stoffe an den Irak liefern sollen. Dennoch sei es möglich, daß auch Chemiewaffen dort hergestellt worden seien.

Der sudanesische Präsident Omar al-Beshir will jedenfalls eine Verurteilung der US-Aktion, bei der insgesamt 27 Menschen getötet worden sein sollen, durch die Vereinten Nationen (UN) erwirken.

Die Einhaltung von UN-Charta und Völkerrecht - in islamischen Staaten normalerweise als Werkzeug Washingtons gegeißelt - forderten auch die Regierungen Malaysias, Irans, Ägyptens, Pakistans, Jemens und Jordaniens sowie die Arabische Liga. Die USA, die 1996 per Gesetz ihrem Präsidenten freie Hand bei Militär- und Geheimdienstaktionen gegen "von internationalen Terroristen genutzte Infrastruktur" zusprachen, berufen sich auf "das naturgegebene Recht zur individuellen Selbstverteidigung" nach Artikel 51 der UN-Charta. Schließlich habe Bin Laden ihnen den Krieg erklärt.

Die Washington Post wies allerdings darauf hin, daß zur Zeit des Vergeltungsschlages FBI-Teams noch "auf Händen und Knien" durch die Botschaftsruinen von Nairobi und Daressalam robbten, um nach Beweisen für die Täterschaft der Islamisten zu suchen. Für den ehemaligen Antiterror-Experten im US-Außenministerium, Robert Oakley, hat der Raketenangriff vor allem eine psychologische Dimension: Die USA dürften keine Schwäche zeigen, da dies "Terroristen zum Angreifen ermutigt". So waren Ermittlungen nach den Anschlägen auf Militärstützpunkte der USA in Saudi-Arabien 1996, die Clinton jetzt Bin Laden anlastet, bislang nicht aufgeklärt worden.

Während Israel, Japan und die EU-Staaten die Aktion unterstützten, sich der russische Präsident Boris Jelzin bei seinem US-amerikanischen Amtskollegen beschwerte, vorher nicht gefragt worden zu sein, hat das islamistische Lager den Angriff dankend aufgenommen: Sudans Präsident Beshir erhielt telefonischen Zuspruch des libyschen Staatschefs Muhammar al-Gaddafi, aus Bagdad bekundete das irakische Außenministerium seine Unterstützungsbereitschaft.

Auch die palästinensische Hamas, die ägyptisch-islamistische Gamaat al-Islamija sowie Bin Laden selbst und die ihn protegierenden afghanischen Taliban drohten den USA mit Vergeltung für die Vergeltung: Der "heilige Kampf" gegen US-amerikanische und israelische Einrichtungen werde nun fortgesetzt, hieß es am Wochenende. Zuvor hatte bereits die ägyptische Terrororganisation Jihad Islami den USA den "heiligen Krieg" erklärt.

Alle Genannten sind alte Bekannte, nicht nur für interessierte Beobachter, sondern auch untereinander. Gemeinsames Bindeglied war über lange Zeit Hassan al-Tourabi, sudanesischer Regime-Theoretiker, der seit der Machtergreifung einer Gruppe islamistischer Generäle unter Beshir 1989 für die umfassende Islamisierung des Sudan verantwortlich ist. Tourabi hat in den sechziger Jahren in Westeuropa und den USA studiert, besonders interessiert zeigte er sich an den US-Südstaaten und Indianerreservaten. Gegenüber dem ehemaligen Afrika-Korrespondenten der Washington Post, Keith Richburg, erklärte er bereits vor einigen Jahren, die dortige "Rassentrennung" genau beobachtet zu haben.

Einmal an der Macht, übersetzte der gelernte Jurist seine Studien in die einfache Trennung zwischen "Gläubigen" und "Ungläubigen". Die mehrheitlich im Süden des Sudan lebenden Christen und Angehörigen animistischer Religionen wurden politisch, ökonomisch und sozial stärker denn je ausgegrenzt. Aber streng rechtsstaatlich: auf der Basis der Anfang der siebziger Jahre im Sudan eingeführten Sharia.

Seit Anfang der neunziger Jahre, als Gerüchte über seine eventuelle Zusammenarbeit mit der CIA - die bis zu dieser Zeit ein Bollwerk gegen afrikanische Bündnispartner der Sowjetunion errichten wollte - plötzlich verstummten, galt Tourabi im Sudan nicht nur als "eigentliche Macht hinter dem Präsidenten" (Richburg), sondern auch als Gründer einer Transnationale des islamistischen Terrors. Bis zu 14 militärische Trainingslager für Gotteskrieger-Azubis, von Tourabi liebevoll "Farmen" genannt, wurden von westlichen Geheimdiensten rund um Khartum gezählt.

Dort sollen sie anfangs alle ausgebildet worden sein: Die Kämpfer von Jihad Islami und Gamaat al-Islamija, Schlächter der algerischen Islamischen Heilsfront (FIS) und deren Absplitterung GIA, Teile der afghanischen Taliban, einzelne Hamas- und Hisbollah-Aktivisten aus dem Libanon sowie Krieger in spe aus Pakistan, Bangladesh und Mitglieder der ultra-islamistischen Opposition Saudi-Arabiens.

Und mittendrin befand sich seit 1991 auch der Exil-Saudi Bin Laden. Kurz zuvor war er aus seinem Herkunftsland geworfen worden. Nach mehrjährigen Kämpfen an der Seite von CIA und Taliban in Afghanistan, hatte Bin Laden das Herrscherhaus Saudi-Arabiens einer für Islamisten unverzeihlichen "Sünde" geziehen: Im Zweiten Golfkrieg (1991) hätten die Sauds um König Fahd auf der falschen Seite gestanden, auf der von "Juden und Christen". Damit seien in Saudi-Arabien die Heiligen Stätten entweiht worden, das Königshaus müsse nun "verschwinden".

Einen Teil seines nicht geringen Erbes konnte Bin Laden in den Sudan mitnehmen und dort investierten: In "Farmen", Gerbereien, hauptsächlich aber in Baufirmen. Alle Prestigestraßen im Sudan wurden von seinen Ingenieuren errichtet. Dazu kamen Paläste, offizielle militärische Ausbildungslager und der Bau eines "pharmazeutischen Betriebs" in der Nähe der Hauptstadt. Derselbe, den die USA vergangene Woche mit Cruise Missiles wieder abgetragen haben. Bin Laden gilt als enger Vertrauter des religiösen Führers der Gamaat al-Islamija, Scheich Omar Abd el-Rahman, der in den USA wegen eines Anschlags auf das World-Trade-Center (1993) in Haft sitzt.

1994 wurde Bin Laden die saudische Staatsangehörigkeit entzogen. Damit erhöhte sich auch der Druck auf das sudanesische Regime, das zuvor von den Regierungen Ägyptens, der USA und einzelnen europäischen Staaten beschuldigt wurde, gesuchte Terroristen zu decken. Der "bekannteste arabische Militante" (New York Times) mußte schließlich 1996 den Sudan verlassen. Er ging nach Afghanistan, wo mit seinem auf rund 300 Millionen Dollar geschätzten Vermögen neue "Farmen" sowie - zur Unterstütung der Taliban-Offensive gegen die Nord-Allianz - neue Straßen gebaut wurden.

Nach Informationen verschiedener Geheimdienste, Journalisten und Angehöriger von Hilfsorganisationen wurden seit dieser Zeit mehrere Tausend Gotteskrieger auf Bin Ladens Farmen ausgebildet. Im Februar dieses Jahres gründete der Multimillionär zudem zusammen mit Jihad-Chef Ayman al-Zawahri und weiteren Islamisten aus Ägypten, Pakistan und Bangladesh die Internationale Islamische Front für den heiligen Krieg gegen Juden und Kreuzfahrer, die künftig ihrem Namen alle Ehre machen will.