Keine Stimme für Deutschland!

Wer die linken nationalen Alternativen unterstützt, betreibt Weißwäscherei.

Im Wiedervereinigungsjahr 1990 hat der noch nicht völlig verblödete Rest der westdeutschen radikalen Linken unter dem Motto "keine Stimme für Deutschland" zum Wahlboykott aufgerufen. Obwohl dieser Aufruf seiner Wirkung nach kaum mehr als eine Geste war, hatte er erhebliche Bedeutung.

Die Begründung für den Boykottaufruf war denkbar einfach: Wenn die Parlamentarier aller Parteien inklusive der Grünen angesichts der Öffnung der DDR-Grenze spontan die Nationalhymne singen, wenn alle linksliberalen Verbände und Organisationen und die Intellektuellen sich auf die kritische, aber konstruktive Begleitung des Programms Großdeutschland einschwören, ohne daß sie dazu auch nur im mindesten gedrängt wurden, dann gibt es für Kommunisten und Anarchisten, Antifaschisten und Antirassisten nur eine Antwort: Radikaler Bruch mit jeder Politik im herkömmlichen Sinn, also auch der eigenen und damit das Ende jeder taktischen Unterstützung von Parteien oder Institutionen, die sich als das bessere Deutschland begreifen, also im tatsächlichen sich häuslich einrichten.

Seither sind acht Jahre vergangen, und wer die Verlautbarungen der damaligen Boykotteure wieder liest, findet noch die schlimmsten Prophezeiungen von der Realität übertroffen. Das würden heute viele Linke, die gleichwohl eine Einmischung ins Wahlgeschehen fordern, sogar zugestehen.

Was sie nicht sehen wollen, ist, daß damals nicht nur eine rasante Zunahme von Antisemitismus und Rassismus, faschistischen Morden, völkischem Denken, Geschichtsrevisionismus und Großmachtbestrebungen des nunmehr wieder souveränen Deutschland vorausgesagt wurden, sondern darüber hinaus die vollständige Einebnung jeglicher Unterschiede zwischen den im Bundestag vertretenen Parteien und den von ihnen Repräsentierten. Damals war immerhin noch einigen 10 000 klar, daß eine Partei, die "Deutschland, einig Vaterland" schreit, kaum daß sie sich gegründet hat, ein genauso unmenschlicher Haufen sein müsse wie die anderen auch. Daß die Grünen ein jämmerlicher Verein von Mittelständlern ist, die wegen größerer ökonomischer Abhängigkeit vom Staat als die Anhänger anderer Parteien jede praktische und ideologische Straffung des Staatsziels eilfertig nachvollziehen, war eigentlich schon vor dem Herbst 1989 bekannt.

Haben sich die Partei für die Wahrung von Zonenbefindlichkeit und die Lobby für Lehrer, Krankenschwestern und Sozialarbeiter inzwischen etwa geändert? Oder muß man wegen der Bedrohung von rechts, das herrschende Lager nun wieder auseinanderdeklinieren in größere und kleinere Übel?

Vielen Besorgten, die in ihrer bereichspolitischen Arbeit gegen Rassismus, Faschismus etc. so sehr befangen zu sein scheinen, daß ihnen der Blick auf die Totalität spätkapitalistischer Vergesellschaftung in diesem Land einfach nicht mehr möglich ist, erklären plötzlich, was bislang Sache von Günter Grass oder ganz besonders dummen Trotzkisten war: Kohl muß weg. Angeblich deshalb, weil seine Partei die Faschisten und Rassisten begünstige und zuhauf in ihren Reihen hätte und die Opposition dagegen resistenter wäre. Dabei kann jede Rechnung mit Schönbohm, Filbinger und wie die Frondeure des neuen und alten Rechtsradikalismus in der Union auch heißen mögen, mit der Gegenrechnung aus Einsiedels und Ostrowskis, den in den Grünen organisierten Bürgerrechtlern und friedensbewegten Kriegstreibern gekontert werden. Helmut Kohl ist übrigens einer der letzten einflußreichen Politiker, die in Sachen Holocaustmahnmal sich noch nicht dem antisemitischen Konsens, wonach endlich Schluß mit Erinnern sein müsse, gebeugt haben und somit wenigstens in dieser Frage eine humanistische Alternative zum SPD-Kandidaten und seinem Naumann.

Parteien, die Einwanderungsquoten schaffen wollen wie die Grünen, schieben die nicht Quotierten ab, Parteien, die von deutschnationalen Mordbrennern gewählt werden wollen wie die PDS, fördern die Faschisten nicht weniger als die CDU und wenn dreimal das Bekenntnis vom Antfaschismus im Programm steht. Parlamentarische Opposition in Deutschland kann nichts anderes formulieren als den widerspruchsfreien Willen, mitzutun für Deutschland. Ob die nächste Koalition rot-grün oder wie gehabt oder groß wird, ob die PDS im Bundestag sitzt oder nicht - für die Opfer, die dieses Land täglich produziert, wird sich nichts ändern.

Wenn Linke eine dieser Alternativen lauthals unterstützen, ändert das zwar genauso wenig wie der Boykottaufruf von 1990. Es beweist aber, daß immer mehr aus dem winzige Haufen der Kritiker am umfassenden Einverständnis der Deutschen mit ihrer Nation sich anschicken, genau dort anzukommen.

Wer die Warnung vor der wachsenden Zahl bekennender und praktizierender Nazis mit dem Aufruf zur Unterstützung der linken nationalen Alternativen verbindet, betreibt nicht nur billigste Weißwäscherei der parlamentarischen Opposition, er beschreitet mit Notwendigkeit den Weg, den die Grünen schon hinter sich haben: Die Opfer des Mobs oder der Staatsgewalt werden als Argument für den eigenen Anspruch auf Beteiligung an der Herrschaft vorgewiesen. Die zelebrierte Betroffenheit über den ermordeten Ausländer dient der Begründung einer besseren Ausländerpolitik, genauso wie ein von der Polizei 1981 in den Tod getriebener Hausbesetzer zur Legitimation für grüne Polizeipräsidenten 15 Jahre später wurde.