Alternative Lebensformen

Guter Spitzel, böser Spitzel

Die Empörung war groß im Hauptstadtquartier der erklärten Geheimdienstgegner. Nach einer Sitzung des Verfassungsschutz-Ausschusses am vergangenen Donnerstag war Renate Künast, Fraktionschefin der Bündnisgrünen im Abgeordnetenhaus, kaum zu bremsen: Unter der Ägide von Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) könne wohl "jede verkrachte Gestalt", "jeder kriminelle Intrigant" oder Stasi-Mitarbeiter "V-Mann werden", schimpfte sie in die Mikrofone.

Unter der Parole "Schönbohm lügt" forderte sie den Rücktritt des für die Kontrolle des Verfassungsschutzes zuständigen Ex-Generals - nur so könne die "demokratische Kontrolle" über den Berliner Verfassungsschutz zurückgewonnen werden. Über die einst von den Grünen geforderte Auflösung des VS verlor Künast kein Wort.

Was war geschehen? Anfang letzter Woche hatte der Spiegel berichtet, daß das Berliner Landesamt für Verfassungsschutz mindestens drei ehemalige Mitarbeiter der DDR-Staatssicherheit beschäftigt.

Ebenfalls Thema der geheimen Besprechung: der "Fall Otto Dreksler". Weil der Berliner Polizeidirektor Anfang des Jahres in einem anonymen Schreiben der Scientology-Mitgliedschaft beschuldigt wurde, schaltete Schönbohms Staatssekretär Kuno Böse (CDU) den Verfassungsschutz ein. Dieser bestätigte den Verdacht - einzige Quelle war einer der früher für die Stasi tätigen V-Männer. Ende März wurde Dreksler entlassen; im Juli stellte sich heraus, daß an den Verdächtigungen nichts dran war.

Darüber, daß der Berliner Nachrichtendienst personell, strukturell und organisatorisch erneuert werden müsse, sind sich Schönbohm und Künast einig. Was die beiden trennt, ist lediglich die moralische Bewertung des Falls. Während sich Künast über die Beschäftigung ehemaliger Stasi-Mitarbeiter empört, verteidigt Schönbohm die Anwerbungen pragmatisch: "Es kann nicht sein, daß sich das Landesamt nur aus sich selbst heraus rekrutiert." Der Einsatz von Ex-Stasis sei "nur auf den ersten Blick unmoralisch", schließlich seien sie "nicht hauptamtlich beschäftigt", sondern nur als V-Leute.

Wo Künast in gute West- und böse Stasi-Spitzel unterteilt, hat Schönbohm ein realistisches Bild von "geheimdienstlicher Professionalität": Der Umgang mit V-Leuten sei insgesamt keine edle Angelegenheit, aber zur "Geschäftsgrundlage eines erfolgreich tätigen Nachrichtendienstes" gehöre es nunmal, auf die bestmöglichen Informationen zurückzugreifen.

Auch wenn es selten vorkommt - wo Schönbohm recht hat, hat er recht: Wer wie Künast die als "Umstrukturierung des Verfassungsschutzes" getarnte Perfektionierung des Überwachungsstaats im Sinn hat, sollte von Moral nicht reden.