Kopf- und Weltschmerz

"The Last Dog and Pony Show" - Bob Mould zieht Bilanz

"I hate alternative rock", hieß es auf der letzten Soloplatte Bob Moulds. Solche Ironie mußte dem Sänger und Gitarristen, der in den Achtzigern mit Hüsker Dü das Genre quasi mitbegründet hatte, im Jahre 1996 total verunglücken. Das Pathos, mit dem Mould die Substanzlosigkeit und kommerzielle Vereinnahmung des Indierock anprangerte, klang inzwischen albern und anachronistisch und gehörte als feste rhetorische Figur längst zum Basisrepertoire des Alternativrock. Da das Album aber auch sonst völlig mißlungen war, glaubte man, Mould schon abschreiben zu können: Immer noch derselbe hochgradig depressive Mann, der starr vor Angst in seinem Zimmer sitzt und anschließend allen Leuten mit seiner Distanzlosigkeit auf die Nerven geht - nur, daß seine Musik nun leider niemandem mehr gefiel.

Demgegenüber wartet die neue Platte "The Last Dog and Pony Show" doch mit einer erheblichen Überraschung auf: Sie ist wunderschön. Was Moulds Schaffen seit den Tagen Hüsker Düs auszeichnet - krachende Gitarren, anrührende Gesangslinien, vielschichtig daherperlendes Pop-Songwriting - wird hier als Resümee einer bald zwanzigjährigen Laufbahn im Rockzirkus aufbereitet. Solch ein Rückblick will das Album aber auch sein, denn Mould hat angekündigt, daß von ihm danach keine weiteren elektrischen Werke zu erwarten seien.

Schließlich sei er ein gezeichneter Mann, der den Lärm auf der Bühne kaum noch aushalte und auf Tour deswegen eimerweise Kopfschmerztabletten verzehren müsse. 37 sei er, da gelte es, in Würde alt zu werden und nicht auf ewig den berufsjugendlichen Rockkasper zu geben. Akustischen Projekten wolle er sich in Zukunft vielleicht widmen, oder einfach "was ganz anderes machen".

Deutlicher kann man wohl nicht werden, ohne offen zu gestehen, daß man sich zum Abschied gewissermaßen mit einem Best of zurück in die Herzen der treuen Gefolgschaft schmeicheln will. Die meisten der zwölf neuen Songs erinnern deshalb auch nicht so sehr an die drei vorangegangenen Soloalben, von denen vor allem "Black Sheets of Rain" von 1990 Maßstäbe setzte, was vertonte Depression und düstere Aggression im Rockkontext anging. Sie nehmen sich vielmehr die abgeklärte Melancholie der späten Hüsker Dü- und gesamten Sugar-Phase (1992 bis 1994) zum Vorbild, die ja immer von plötzlichen Ausbrüchen grundloser Heiterkeit hochgerissen wurde, von sarkastisch vorgetragenen Kaugummi-Popsongs, in denen sich ein zerschmettertes Ego Mut zusingt.

Solches Pfeifen im Wald braucht die Szene wahrscheinlich, der Mould entstammt und die mittlerweile ebenfalls in die Jahre gekommen ist. Als Galionsfiguren des Hardcore waren Hüsker Dü in den frühen Achtzigern angetreten, hatten sich aber schon früh von dessen expliziter Politik gelöst. Bob Mould und sein Band-Rivale Grant Hart bohrten sich von Platte zu Platte obsessiver in ihre persönlichen Psycho- und Beziehungsleiden, die sie mit giftiger Intensität in einem äußerst kompakten Post-Punk unterbrachten. In den Texten und Riffs dieser rasanten Musik schimmerte dabei immer die Ahnung auf, daß Seelenqual und ruinierte Liebschaften nicht allein persönlichem Versagen und mangelnder Integrationsfähigkeit geschuldet sind. Grau ist die Welt der Wohnblocks, Betriebe und Einkaufszentren, trostlos sind die Gepflogenheiten ihrer Bewohner und metallisch grau waren auch die musikalischen Projektile, die das Trio auf diese Welt schoß.

Nach dem Auseinanderbrechen von Hüsker Dü 1988 - Hardcore war ebenfalls am Ende, und Bands wie Bad Religion wurden später Stadionrocker - leckten Hart und Mould ihre Wunden und setzten ihre selbstzerstörerischen Wege fort: Hart eher mit Heroin, Mould eher mit fanatischer Introspektion, wie sein erstes Solalbum "Workbook" zeigte. Hier sang einer, dem jeder menschliche Kontakt suspekt geworden und jede Illusion zerstoben war. Manchmal schienen für Momente die schwarzen Wolken aufzureißen; in denen muß er dann ganz schnell seine Songs geschrieben und aufgenommen haben.

Während Independent Rock zu Corporate Grunge wurde, kam Mould mit Sugar wieder. Die Band wurde zu Recht eine Weile als Indie-Supergruppe gehandelt, denn neben dem bestechenden Pop-Ansatz seines Songwriting konnte Mould auch in puncto Hoffnungslosigkeit und Integrität glänzen, den Markenzeichen jener Ära, und also mühelos mit den adoleszenten Rebellen aus Seattle mithalten. Mitte der Neunziger war damit allerdings Schluß, HipHop und Electronica absorbierten nun das Interesse des flatterhaften jugendlichen Publikums.

Heute, auf "The Last Dog and Pony Show", besingt Mould immer noch abwechselnd seine Beziehungsunfähigkeit und das zerbrechliche Glück, wenn es doch einmal klappt mit der Liebe. Mit Pop oder Punk hat das nichts mehr zu tun. Es schließ vielmehr an die klassisch maskuline Rocktradition an und bedient dort einen Hörerkreis, der zufällig mit Punk groß geworden ist. Das traurige Lied des einsamen Mannes mit der Gitarre mag sich in seinem Zorn längst noch nicht überlebt haben - es ist aber komplett zur Privatsache geworden.

Bob Mould: "The Last Dog and Pony Show". Sony/Epic