Piëchs Liste

Ist Zivilgesellschaft schön! Und in Deutschland erst: Steven Spielberg bekommt das Bundesverdienstkreuz für "Schindlers Liste" und seine Shoah-Foundation, und ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter des Volkswagen-Konzerns bekommen "humanitäre Hilfe".

In den Medien nimmt die Selbstbeweihräucherung kein Ende, die selbstzufriedene Inszenierung einer Nation, die fünfzig Jahre alles unterlassen hat, dessen man Spielberg vergangene Woche ehrte: Als wäre es nicht die Aufgabe Deutschlands gewesen, ein Projekt wie die Shoah-Foundation, die Berichte von Überlebenden auf Video dokumentiert, wenigstens zu finanzieren. Statt dessen verteilt der Bundespräsident Noten in Sachen Vergangenheitsbewältigung. Dem VW-Konzernsprecher Klaus Kocks kamen bei der Ankündigung des Entschädigungsfonds fast die Tränen.

Das Rührstück, in dem die Moral über die Macht siegt, muß allerdings erst noch geschrieben werden. Denn VW hat sich keineswegs vom Leid der wenigen noch lebenden ehemaligen Arbeitssklaven davon überzeugen lassen, ihnen "humanitäre Hilfsleistungen" zukommen zu lassen.

Vielmehr stand VW jahrzehntelang in vorderster Reihe der Abwehrfront gegen jede Form der Anerkennung dieses Leids und der Profite, die aus diesem geschöpft wurden. Und eine Sinneswandlung hat man auch nicht durchgemacht: Nach wie vor wird jede juristische Verantwortung zurückgewiesen; nach wie vor bestehen alle deutschen Unternehmen auf der Geschichtslüge, Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus den besetzten Ländern Europas seien ihnen vom NS-Staat aufgezwungen worden.

Deshalb verkauft der VW-Konzern seine Geste auch als "humanitär" im Sinne von: "Wir haben das Geld übrig." Eine arrogante Geste. Und das Geld kommt viel zu spät. Die meisten der 17 000 ehemaligen VW-Arbeitssklaven sind, sofern sie nicht schon vor 1945 ermordet worden waren, längst gestorben.

Zeitlich paßt die "humanitäre" Geste lediglich zur Expansion des Konzerns auf den amerikanischen Märkten. Die "Nazi-car firm", wie VW in den USA immer noch heißt, will ihr schlechtes Image los werden. Die geschätzten etwa 2000 noch lebenden ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter auf Pi'chs Liste sind gerade genug dafür, einen Sinneswandel vortäuschen zu können - allerdings auch zu wenige, um von Entschädigung überhaupt noch zu sprechen. Beides ist ganz im Sinne der Konzerne.

Passend war auch der Termin zwei Wochen vor der Bundestagswahl: Der Kandidat Schröder steht für jene Fraktionen des Kapitals, die Konsumgüter produzieren. Einige dieser Firmen haben sich in den vergangenen Monaten dazu durchgerungen, über Zahlungen nachzudenken: Das ist der Preis der Weltmarktkonkurrenz. Firmen wie Krupp und MAN hingegen, die für einen anderen Markt produzieren, haben solche Gesten nicht nötig und lehnen sie auch folgerichtig ab. Eine gemeinsame Verhandlungsposition, die der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) vermitteln wollte, kam deshalb auf einem Treffen der von Klagen betroffenen Firmen vergangene Woche nicht zustande.

Wenn Deutschland Zivilgesellschaft spielt, wird die kleinste Selbstverständlichkeit zur Großtat aufgeblasen, um damit den wirklichen Skandal vergessen zu machen, der darin besteht, daß fünfzig Jahre lang mit den schäbigsten Begründungen keine (oder nur minimale) Zahlungen geleistet wurden.

Die Selbstverständlichkeit, mit der in den Medien darauf verzichtet wurde, auf diese Tatsache hinzuweisen, ist ebenso wie die Ehrung Spielbergs, die eigentlich nur deutlich gemacht hat, was versäumt worden ist, Ausdruck der Versöhnung mit der Nazi-Vergangenheit - die Wiedergutfühlmachung für die Nation.