Samenspenden und Spendenbetrug

Mit der Veröffentlichung der Untersuchungsergebnisse von Kenneth Starr ist aus einer moralischen Diskussion über den US-Präsidenten eine parteitaktische geworden

Während das US-Unterhaus entschied, den Bericht Kenneth Starrs über die Affären und Lügen von Präsident William Clinton zu veröffentlichen, tagte gleichzeitig der Telekommunikations-, Handels- und Verbraucherschutz-Ausschuß des Unterhauses. Thema der Sitzung: Pornographie im Internet. Die Ausschußmitglieder waren sich der Ironie durchaus bewußt - Starrs Bericht enthält verbale und graphische Beschreibungen der sexuellen Beziehung zwischen Clinton und der Praktikantin Monica Lewinsky und wäre somit, wie Repräsentant Edward Markey es ausdrückte, "offensichtlich nicht für Achtjährige geeignet". Dennoch schien es den selbsternannten Sittenwächtern wichtiger, Clinton bloßzustellen, als den Internetnutzern die sexuellen Details der Beziehung zwischen Clinton und Lewinsky vorzuenthalten.

Ein Großteil von Starrs Bericht füllt die Erläuterung dieser Beziehung, die sich in Teilen wie ein einfallsloser Pornoroman (vgl. Dossier, Seite 15-18) liest. Was die Internet-Nutzer, die nach Veröffentlichung des Berichts das Netz zusammenbrechen ließen, nur wenig interessiert haben dürfte, ist der juristisch brisante Teil des Berichts: Ein kleines Kapitel mit dem unhandlichen Titel "Es gibt beträchtliche und glaubwürdige Informationen, daß Präsident Clinton Taten begangen hat, die eventuell Grund für ein 'Impeachment' (Amtsenthebungsverfahren) wären".

Elf mögliche Gründe werden aufgezählt, die sich auf verschiedene Situationen beziehen, in denen Clinton über sein Verhältnis zu Monica Lewinsky gelogen habe. Es geht um Meineid, Justizbehinderung, Amtsmißbrauch und die politischen Folgen: Wird Clinton abgesetzt? Wird er zurücktreten?

Kommentatoren und Politiker konzentrieren sich dabei auf das Impeachment. Eine Zweidrittelmehrheit in beiden Parlamentskammern könnte in dem Amtenthebungsverfahren Clinton ab-wählen. In diesem Fall würde Vizepräsident Al Gore an seine Stelle treten und während der restlichen Amtszeit regieren, also bis zum Januar 2001. Neuwahlen sind im US-System nicht vorgesehen.

Auch die Demokraten wissen an diesem Punkt nicht weiter. Stehen sie - trotz allem - zum Präsidenten, dessen Politik bis vor ein paar Wochen in Umfragen immer noch große Zustimmung erhielt, oder distanzieren sie sich von einem Mann, dessen Affären auch sie in den Abgrund ziehen könnten? Mitglieder des Kabinetts erklärten vergangene Woche, daß sie Clinton vorbehaltlos unterstützten - aber auch, daß sie keine "Überraschungen" mehr dulden würden.

Den Rücken gestärkt hat den Demokraten dabei die prompte Reaktion des Weißen Hauses. Punkt für Punkt versuchten die Anwälte Clintons noch am Wochenende alle Anschuldigungen Starrs zu widerlegen. Und in der Tat ist der Bericht juristisch dürftig: Langatmige Aneinanderreihungen der Namen von Präsidentenberatern, die gelogen haben, von Clinton belogen oder mit unzureichenden oder falschen Informationen versorgt wurden, müssen die juristische Beweisführung ersetzen.

Eine wichtige Rolle bei den taktischen Überlegungen der Parteien spielen die Wahlen im November. Dann wird über die Sitzverteilung in beiden Häusern des Kongresses entschieden - zur Zeit halten die Republikaner im Senat und im Repräsentantenhaus die Mehrheit. Bis vor wenigen Tagen schien es Umfragen zufolge wahrscheinlich, daß die Demokraten diese Mehrheit zumindest im Repräsentantenhaus kippen könnten. Nach der Veröffentlichung des Berichts ist sich aber niemand mehr sicher, ob die Demokraten überhaupt ihre jetzigen Sitze halten können.

Ein Vorteil für Clintons Partei ist, daß in den letzten Wochen zwei seiner einflußreichsten Gegner - die republikanischen Kongreßmitglieder Dan Burton und Helen Chenoweth - ebenfalls Affären zugeben mußten. Burton hat sogar ein außereheliches Kind gezeugt.

Was etwa in Frankreich nicht weiter erstaunt, ist in den USA ein mittlerer Skandal, zumal es sich bei Burton um einen besonders sittenstrengen Vertreter einer Partei, die sich als Moralinstanz der USA profilieren will, handelt. Die Öffentlichkeit hat bislang in Umfragen zwischen den "persönlichen Fehlern" Clintons und seiner Politik unterschieden - diese hatte letzte Woche immer noch recht hohe Zustimmungswerte. Nach der Veröffentlichung des Starr-Berichtes scheinen jedoch aus Lügen Gründe zu werden, um einen Präsidenten abzuwählen. Die Zustimmungswerte sind stark gefallen.

Trotzdem sind sich viele Politiker nicht sicher, wie heftig Clinton attackiert werden soll. Selbst Newt Gingrich, Sprecher des Repräsentantenhauses und vehementer Clinton-Gegner, warnte vor persönlichen Angriffen gegen den Präsidenten und ermahnte seine Parteikollegen, Clinton den Bericht erst verdauen zu lassen.

Diese ungewöhnliche Zurückhaltung hat zwei Gründe. Einerseits gilt es, das internationale Ansehen der USA nicht weiter zu beeinträchtigen. Angesichts der ökonomischen Krisen in Rußland und anderswo will man sich von Schritten, die die USA schwächen und die Börsenkurse beeinträchtigen könnten, fernhalten. Vor allem aber dominieren taktische Überlegungen die Haltung der Republikaner. Trotz fallender Sympathiewerte für Clinton in Blitzumfragen ist noch nicht klar, wie die US-Öffentlichkeit zum Thema Impeachment steht.

Und dann ist da noch das Problem Al Gore, den die Republikaner nicht ungewählt zum Präsidenten küren wollen. Auch die Demokraten tun sich mit der Rolle von Clintons Vize schwer: Trotz gegensätzlicher Beteuerungen könnten sie auf das Impeachment oder - wie Joseph Liebermann, Senatsmitglied und Unterstützer des Präsidenten, öffentlich überlegt hat - einen freiwilligen Rücktritt setzen.

So würde der Partei die Möglichkeit gegeben, sich noch vor den Präsidentschaftswahlen im November 2000 von dem Skandal zu befreien und sich mit Al Gore neu zu profilieren. Das Problem dabei ist nur, daß auch gegen Gore zur Zeit ermittelt wird. Es besteht der Verdacht, daß Gore sein Amt für die Eintreibung von Spenden mißbraucht hat. Aber wen interessiert schon eine politische Affäre, wenn sie keine sexuelle war?